Betreuungsnotstand in den Ferien "Wenn gar nichts mehr geht, muss man sich krank melden"

Düsseldorf · Vor siebeneinhalb Wochen hat das neue Schuljahr angefangen. Jetzt sind schon wieder Herbstferien. Viele berufstätige Eltern stellt das vor das Problem, wie sie die Kinder betreuen sollen. Ist die Ferienregelung in Deutschland noch zeitgemäß?

 Leeres Klassenzimmer (Symbolbild).

Leeres Klassenzimmer (Symbolbild).

Foto: Shutterstock/Maroke

Lange schlafen, in Ruhe frühstücken, dann mit Mama und Papa in den Zoo: So könnte ein perfekter Ferientag aussehen. Doch die Realität in vielen Familien sieht anders aus. Weil immer häufiger beide Eltern arbeiten müssen, stellt sich in den Schulferien die Frage, wer die Kinder betreuen soll. Besonders, wenn diese noch jünger sind.

An 75 Werktagen haben Kinder in NRW 2017 ferienbedingt schulfrei, davon sind 12 Tage Samstage. Hinzu kommen Feiertage.

Grundlage ist das "Hamburger Abkommen", auf das sich die Kultusminister geeinigt haben. Das war im Jahr 1964. Darin heißt es: "Die Ferien werden in erster Linie nach pädagogischen Gesichtspunkten festgesetzt." Seither hat sich aber gesellschaftlich viel geändert, immer mehr Mütter arbeiten, immer häufiger auch in Vollzeit. Immer mehr Kinder müssen daher auch in den Ferien in der Offenen Ganztagsbetreuung (Ogata) bleiben.

"Wir hören immer wieder von Eltern, wie stressig es ist, das zu organisieren", sagt Andrea Heck, Landesvorsitzende des Elternvereins NRW in Düsseldorf. "Viele Kinder sind in der Ferienzeit nonstop in der Ogata. Das ist oft belastend. Es ist laut, die Gruppen sind groß, die Kinder kommen müde nach Hause." Weil Grundschulen den Offenen Ganztag häufig selbst organisieren, blieben die Kinder oft zudem in ihren gewohnten Schulräumen: "Es ist eigentlich alles so wie immer, nur ohne Unterricht. Die Kinder spielen dort, lesen, essen zu Mittag - aber es ist immer noch dieselbe Umgebung." Das sei etwas anderes als zu Hause zu entspannen oder die freie Zeit bei Oma und Opa zu verbringen.

"Es gibt zwar Schulen, die Ferienbetreuung sehr schön gestalten, mit Ausflügen und tollen Angeboten", sagt Heck. Diese kosteten aber häufig Geld - was sich nicht jede Familie leisten kann. Die Ogata sei eine gute Lösung, aber sie müsse entsprechend umgesetzt sein - "so, dass bei den Kindern ein Gefühl von Ferien entstehen kann."

Auch Udo Beckmann betont, wie wichtig Erholung für Kinder ist. Beckmann ist Bundesvorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung (VBE); er sagt: "Für ein paar Tage sollten die Kinder die Arbeitsbelastung und den Stress, den sie womöglich in der Schule haben, vergessen können. Schülerinnen und Schüler brauchen Auszeit, um den Kopf frei zu kriegen." Abschalten sei für Kinder genauso wichtig wie für Erwachsene.

Keine gemeinsame Zeit mit Mama und Papa

Doch den Kindern ausreichend Zeit zur Muße in den Ferien zu ermöglichen, ist für viele Eltern schwer. "Viele Unternehmen sind unflexibel bei der Urlaubsplanung. Mal davon abgesehen, dass man gar nicht so viele Urlaubstage hat", sagt Elternvertreterin Heck. Sie berichtet von einer alleinerziehenden Mutter, die drei Jobs gleichzeitig hat: "Wenn diese Frau Urlaub zu einem bestimmten Zeitpunkt möchte, muss sie das bei drei Arbeitgebern beantragen." Oft organisierten Eltern so, dass der Vater eine Woche Urlaub nimmt und die Mutter eine weitere, um die zwei Wochen Herbstferien abzudecken. "Das geht dann aber wieder von der gemeinsamen Familienzeit ab", sagt Heck.

Was das Missverhältnis zwischen Schulferien und verfügbaren Urlaubstagen für Arbeitnehmer in der Praxis bedeutet, sieht man an Sabine Grolle (Name geändert) aus Kaarst. Sie und ihr Mann arbeiten beide in Vollzeit. In den vergangenen Jahren waren Schulferien immer wieder ein Problem für die Eltern des inzwischen zwölfjährigen Sohnes: "Da gehen nur Oma und Opa. Oder Freundinnen. Wenn die Kinder älter sind, gibt es Ferienangebote von den Kirchen oder der Stadt. Das kostet meist extra. Wenn gar nichts mehr geht, muss man sich krank melden."

Sind die vielen Ferientage in Deutschland also nicht mehr zeitgemäß? Bereits vor vier Jahren hatte sich die CDU-Kulturpolitikerin und Bundestagsabgeordnete Monika Grütters für kürzere Ferienzeiten ausgesprochen. "Ich rege an, zu prüfen, die Schulferien zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf um ein bis zwei Wochen im Jahr zu kürzen", sagte sie damals der Berliner Zeitung "B.Z.".

So weit will NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer zwar nicht gehen - dennoch fordert sie eine Diskussion darüber, wie die Schulferien aufgeteilt sind. "Ferien sind wichtig, denn sie dienen der Erholung aller am Schulleben Beteiligten", sagte sie unserer Redaktion. "Bis zum Schuljahr 2023/24 stehen die Ferientermine fest. Für die darauffolgenden Schuljahre sollte die Kultusministerkonferenz eine Debatte führen, wie die Ferienregelung, auch im Hinblick auf die Verteilung der Ferienzeiten, künftig aussehen kann."

Herbert Heermann, Vorsitzender des Landesverbands katholischer Eltern in NRW, sagt: "Die Ferienlänge ist subjektiv. In anderen Ländern wie Spanien, Frankreich oder auch Schweden haben die Kinder noch viel mehr Ferien als bei uns. Die Überlegung aus meiner Sicht wäre eher, die langen Sommerferien zu kürzen und anders aufzuteilen, damit es für berufstätige Eltern einfacher wird."

Einig sind sich Experten und auch Elternvertreter darin, dass es mehr und bessere Betreuungsangebote für Kinder in den Schulferien geben muss - gerade von den Städten, wie Andrea Heck betont. In Düsseldorf zum Beispiel gibt es lediglich die "Düsselferien", die eine ganztägige Betreuung in der schulfreien Zeit bieten. Das Angebot sei immer schnell ausgebucht, bestätigt eine Sprecherin.

Schulte fordert ebenfalls mehr Ganztagsangebote, von den Trägern und in den Schulen selbst. "Und es sind vor allem kommunal organisierte Angebote notwendig, die eine Betreuung ermöglichen, unabhängig davon, ob ein Kind auch sonst in einer Ogata ist oder nicht." Heermann zufolge ist es problematisch, dass in den Ferien oft gerade Freizeitangebote pausieren würden: "Es müsste zum Beispiel die Zusammenarbeit mit Einrichtungen wie Musikschulen, Sportvereinen oder Pfadfindern intensiviert und genauer abgestimmt werden, damit auch dort Betreuungsangebote möglich wären."

(oko / fvo)
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