Polizeieinsatz am Hambacher Forst Rückkehr in den vergessenen Wald
Kerpen · 2018 wurde ein kleines Stück Wald zwischen Köln und Aachen zum Mittelpunkt der Klima-Debatte: Der Hambacher Forst. Seitdem ist viel passiert, unter anderem die Kohle-Einigung. Dennoch leben viele Menschen im „Hambi“. Jetzt bekamen sie ungebetenen Besuch.

Polizei räumt Barrikaden am Hambacher Forst
Es erinnert an eine Partie Mikado, was sich am Dienstagmorgen im Hambacher Forst ereignet. Allerdings im XXL-Format und nur optisch: Ein Bagger umklammert einen Holzstamm und zieht ihn weg. Daraufhin fallen andere Stämme wie Holzstäbchen zusammen. Die Nebengeräusche dieses Vorgangs haben dagegen nichts mit einer Runde des beliebten Geschicklichkeitsspiels zu tun. „Verpisst euch!“, schallt es aus dem Wald. Und: „Seid ihr jetzt stolz?“
Die Polizei ist zurück im Hambacher Forst. Diesem umkämpften Stückchen Wald zwischen Köln und Aachen. Es gehe darum, Barrikaden zu beseitigen, die Einsatzwege versperrten, sagt Polizeisprecher Andreas Müller. Daher der Bagger. Waldbesetzer hätten die Aufbauten aus Baumstämmen errichtet, das könne die Polizei nicht hinnehmen. Die Wege müssten für Streifenwagen, Rettungsfahrzeuge oder Feuerwehrautos frei bleiben - etwa wenn es zu einem Brand im Wald komme. Er betont ausdrücklich und immer wieder: Es werde nicht gegen die Baumhäuser vorgegangen. „Es ist kein Räumungseinsatz.“
Dennoch ist der Einsatz - wie immer man sein Ziel nennen mag - natürlich brisant. Grund ist die Vorgeschichte. 2018 stand der Hambacher Forst mitten im Zentrum einer sich hochschaukelnden Klimadebatte. Er sollte für den fortschreitenden Braunkohletagebau gerodet werden. Aktivisten wollten das verhindern, indem sie ihn besiedelten. In einem der größten Polizeieinsätze der NRW-Geschichte wurde der Wald im Herbst 2018 geräumt. Fast 90 Baumhäuser wurden abgerissen.

Waldbesetzer bauen weiter Häuser im Hambacher Forst
Am Ende einigten sich Bund, Länder und Energiekonzerne im Zuge der Kohle-Einigung darauf, dass der Wald doch erhalten werden soll. In der breiten Öffentlichkeit geriet der Forst - auch im Zuge des alles überlagernden Themas Corona - etwas in Vergessenheit. Tatsächlich leben nach Schätzung der Polizei - bei starken Schwankungen - aber immer noch rund 100 Leute im Forst. Auch hätten sie neue Baumhäuser errichtet.
Ein Grund: Der Hambacher Forst ist längst ein Symbol geworden. Ein anderer: Manch einer traut dem Frieden nicht. „Es müssen Menschen da bleiben, um sicherzustellen, dass profitgierige Konzerne ihre Interessen nicht gegen das Recht durchsetzen“, sagt die Sprecherin des Anti-Kohle-Bündnisses „Ende Gelände“. Die Grundwasserversorgung des Waldes sei zum Beispiel gefährdet, weil der Tagebau so nah an ihn herangerückt sei. „Ende Gelände“ verurteilt die Polizeiaktion vom Dienstag. Es handle sich um eine Provokation.
„Das macht mich sauer, wütend und traurig“, sagt eine Aktivistin im Wald. Seit acht Jahren wohne sie nun im Forst. Die Wege über die nun Bagger fahren, hätten sie und die anderen wieder aufforsten wollen. Blumen- und Gemüsebeete hätten sie angelegt. Ein anderer Aktivist zeigt mit dem Finger auf eine Stelle, an der man tiefe Spuren eines Traktorreifens sieht. „Hier war ein Blumenbeet.“ Ein anderer Aktivist nennt die Argumentation der Polizei eine „lächerliche Ausrede“. Die Aufbauten hätten nicht „komplett den Weg gesperrt“.
Aachens Polizeipräsident Dirk Weinspach wiederum findet das „absurd“. Natürlich baue man die Aufbauten hin, damit Fahrzeuge nicht durchkämen. Bei den „Waldbesetzis“, wie sie sich selbst mitunter nennen, unterscheidet der Polizeipräsident gleichwohl. Es gebe Menschen, denen es nur um den Umweltschutz gehe. Es gebe aber auch jene, die „linksextremistisch“ und „anarchistisch“ seien. Sie würden allerdings den kleineren Anteil ausmachen.

So leben die Aktivisten in ihren Baumhäusern im Hambacher Forst
Im Laufe des Dienstags bleibt es verhältnismäßig friedlich, trotz kleinerer Zwischenfälle. Zwei Frauen, die „mehrfach ausgesprochenen Platzverweisen“ nicht nachkommen, werden nach Polizeiangaben zunächst in Gewahrsam genommen. Eine habe versucht, einen Polizisten zu beißen. Zudem sei bei ihrem Transport zur Wache ein Fahrzeug verunreinigt worden. Darüber hinaus hätten Vermummte zwei Polizeifahrzeuge mit Steinen und Holz beworfen.
Verletzt wurde niemand. Die Geschichte des Hambacher Forsts wird dennoch nicht auserzählt sein.