NRW Polizei will besser schießen können

Düsseldorf · Experten kritisieren, dass Polizisten in NRW zu wenig mit der Schusswaffe trainieren. Zudem fehlt es laut Gewerkschaft der Polizei an Trainingsmöglichkeiten. Das führe dazu, dass einige Polizisten im Jahr gar nicht üben können.

 In „Schießkinos“ trainieren Polizisten realitätsnah den Einsatz an der Waffe. Doch von diesen modernen Schießständen gibt es zu wenige in NRW.

In „Schießkinos“ trainieren Polizisten realitätsnah den Einsatz an der Waffe. Doch von diesen modernen Schießständen gibt es zu wenige in NRW.

Foto: dpa

Dreimal schoss der Polizist im Gocher Stadtpark auf den Angreifer, ehe dieser tödlich getroffen zusammenbrach. Die Kugeln trafen den 37 Jahre alten Mann laut vorläufigem Obduktionsbericht allesamt im Oberkörper. Der Polizist gab an, vor einer Woche aus Notwehr gehandelt zu haben. Der Mann sei mit einem Messer auf ihn und einen Kollegen zugelaufen. Der Erschossene war laut Polizeibericht seit Jahren drogenabhängig und wurde psychiatrisch betreut. Wieso der Beamte gleich drei Schüsse auf die Brust des Angreifers abgab und nicht etwa auf seine Beine zielte, ist allerdings noch nicht bekannt.

Solche tödlichen Einsätze gelten bei der Polizei meistens als bedauernswerte Einzelfälle. Auf den Fluren vieler Polizeipräsidien ist es jedoch ein offenes Geheimnis, dass die Schießausbildung zu kurz kommt. Ein Dienstgruppenleiter bringt es auf den Punkt: "Wir haben Kollegen, die nicht ausreichend geübt im Umgang mit ihrer Waffe sind. Laut wird das aber niemand von denen sagen, weil sie fürchten, dann als Versager abgestempelt zu werden."

In NRW müssen Streifenpolizisten 30 Stunden im Jahr ein sogenanntes Einsatztraining durchlaufen. Dazu gehören Nahkampfschulung und Kommunikation in Not- und Krisensituationen. Maximal sechs Stunden entfallen dabei auf die Schießausbildung. Viel zu wenig, findet der Vorsitzende der Deutschen Polizeitrainer, Eckhard Niebergall. "Das müsste natürlich deutlich mehr sein." Diese Meinung teilt auch Erich Rettinghaus, NRW-Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft. "Je mehr man trainiert, desto besser kann man schießen."

Expertenmeinungen zufolge fehlt es zudem an ausreichenden Trainingsmöglichkeiten für die Polizisten. Die Situation sei so angespannt, dass nicht jeder Polizist ein Schießtraining im Jahr absolvieren könne. "Es hapert an der Quantität. Wir haben zu wenig Trainingsplätze, um alle Beamten im Jahr da durchzuschleusen" , betont Arnold Plickert, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei in NRW. Darum müssten beim Einsatztraining Prioritäten verändert werden. "Das heißt, dass zunächst die Streifenpolizisten das Trainingsprogramm durchlaufen müssen - und erst dann Beamte im Innendienst." Denn seit Jahren steigt in NRW die Gewaltbereitschaft gegen Polizisten - und damit auch die Notwendigkeit der Beamten, zur Waffe zu greifen. Im vergangenen Jahr gab es landesweit laut Innenministerium 7072 Übergriffe auf Polizisten im Einsatz. Das sind noch einmal rund 500 mehr als im Jahr zuvor. "83 Prozent aller gewalttätigen Übergriffe auf Polizisten werden auf Streifenbeamte verübt", betont Plickert. "Darum ist es wichtig, dass sie gut mit ihrer Waffe umgehen können."

Das Innenministerium, zuständig für Polizeiangelegenheiten, versteht die Kritik nicht ganz. "Unsere Polizisten sind alle gut geschult an der Waffe", sagt ein Ministeriumssprecher. Die Grundlagen für den Schusswaffengebrauch würden ohnehin in der Ausbildung gelegt. Polizeitraining ist in Deutschland Ländersache, das heißt, jedes Bundesland legt selbst fest, wie oft die Beamten an den Schießstand müssen. "Die Trainingszeiten unterscheiden sich zwischen den Ländern zum Teil erheblich", sagt Niebergall.

In den vergangenen fünf Jahren sind bundesweit 36 Menschen durch Polizeikugeln getötet worden. Nur sehr wenige der Erschossenen waren Schwerverbrecher. Mehr als zwei Drittel galten als psychisch krank und verwirrt - so wie der getötete Angreifer in Goch. Ebenfalls als psychisch krank wurde ein Mann eingestuft, der vor wenigen Wochen in Heinsberg von der Polizei getötet wurde. Dieser Fall hatte für bundesweites Aufsehen gesorgt. Eine Polizistin hatte den 75-Jährigen in seiner Wohnung erschossen, nachdem dieser zuvor vier Polizisten mit einem Messer angegriffen und schwer verletzt hatte.

Der Waffeneinsatz ist im Polizeigesetz (Paragraf 64) festgelegt. Demnach dürfen Beamte zur Pistole greifen, um "eine gegenwärtige Gefahr für Leib und Leben abzuwehren". Wann eine solche Situation gegeben ist, müssen die Beamten im Ernstfall selbst entscheiden. "Ziel ist es aber immer, nicht von der Schusswaffe Gebrauch zu machen", stellt der Sprecher des Innenministeriums klar. In NRW sind die Polizeipräsidien angewiesen, die gesetzlichen Vorgaben an das Polizeitraining umzusetzen. "Das klappt aus Kapazitätsgründen von Region zu Region unterschiedlich gut oder schlecht", sagt Erich Rettinghaus.

So gibt es etwa in Ostwestfalen ein modernes Trainingszentrum, in dem Beamte aus mehreren Polizeipräsidien trainieren. Die Qualität sei dort sehr gut, sind sich alle Experten einig. Es gibt dort ein interaktives Schießkino mit bewegten Zielen, in denen alltägliche Situationen ziemlich wirklichkeitsgetreu simuliert werden. Doch von diesen Bedingungen können viele Polizisten im Land nur träumen. In manchen Gegenden sei es schon so weit gekommen, berichtet der Dienstgruppenführer, dass Polizisten sich in ihrer Freizeit in privaten Schützenvereinen anmelden, um ihre Schießtechnik zu trainieren und zu verbessern.

(RP)
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