Schwere Unfälle in NRW Polizei ist bei Lkw-Kontrollen überfordert

Köln · Immer häufiger kommt es zu Unfällen mit Lkw. Doch: Die Verkehrsdirektionen der Polizei sind offenbar meist mit älteren Beamten besetzt, die dorthin versetzt wurden. Normale Streifenpolizisten können Manipulationen an Lastwagen oft nicht feststellen.

Mönchengladbach: Polizei kontrolliert Lkw an der A61
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Polizei kontrolliert Lkw an der A61 bei Mönchengladbach

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Den Rettungskräften bot sich ein entsetzliches Bild, als sie an der Unfallstelle eintrafen. Ein Lastwagen war auf einer Autobahn bei Köln an einem Stauende ungebremst in einen stehenden Lkw gefahren. Der Fahrer war sofort tot. Die Unfallursache klärte sich auf, als die zusammengedrückten Laster mit schwerem Gerät auseinandergezogen wurden. "Der tote Fahrer hatte ein iPad im Gesicht kleben", sagt Martin Lotz, Direktionsleiter Verkehr im Polizeipräsidium Köln. "Durch das Gerät war er abgelenkt und übersah das Stauende."

Fast täglich kommt es auf den Autobahnen in NRW zu schweren Verkehrsunfällen, an denen Lkw beteiligt sind - und häufig enden sie tödlich. In diesem Jahr hat es bereits mehr als 100 schwere Verkehrsunfälle gegeben, weil Lastwagenfahrer nicht mehr rechtzeitig gebremst haben. "Bei uns im Bezirk Köln hat es in diesem Jahr schon doppelt so viele Verkehrstote gegeben wie im vergangenen Jahr", sagt Kölns Polizeipräsident Jürgen Mathies gestern beim Verkehrsforum der Gewerkschaft der Polizei (GdP). "Diese Entwicklung macht mir große Sorgen", betont Mathies.

Es magelt an Platz und Kompetenz

Zu den häufigsten Unfallursachen gehören Ablenkung, Übermüdung, plötzlicher Fahrstreifenwechsel und zu geringer Abstand zum Vordermann. Politik und Polizeiführung wissen um das wachsende Problem - doch wirklich viel unternommen haben sie dagegen offenbar nicht. "Bei den Verkehrskommissariaten liegt einiges im Argen", sagt Lotz. "Da kommen meist nur ältere Kollegen hin, die man woanders nicht mehr braucht, die eine Verwendungseinschränkung haben. Sie kommen nicht aus Überzeugung zu uns", sagt der Kölner Direktionsleiter Verkehr. "Dabei brauchen wir dringend mehr jüngere leistungsstarke Polizisten in der Verkehrsüberwachung, die entsprechend ausgebildet sind", fordert Lotz.

Schon jetzt seien die Kontrollen der Lkw deutlich zu gering. Auch seien Streifenpolizisten einer solchen Überprüfung nicht gewachsen. "Manipulationen an den Lastern zu entdecken, ist hochkomplex. Da muss man spezialisiert sein. Die normalen Beamten sind damit überfordert", so Lotz. Um Schwerlasttransporter überhaupt gründlich überprüfen zu können, bedarf es Platz. Und an dem mangele es häufig, sagt Frank Kubicki, Direktionsleiter Verkehr im Düsseldorfer Polizeipräsidium. So sei es zum Beispiel nur schwer möglich, Lkw nachts oder an Wochenenden auf den Rastplätzen zu kontrollieren. "Die Plätze sind dann so voll mit den Lkw, dass eine vernünftige Kontrolle schwerfällt", so Kubicki.

"Stehen vor gewaltigen Herausforderungen im Verkehr"

Dabei werden die Aufgaben für die Verkehrsüberwachung in den nächsten Jahren noch deutlich mehr werden. Denn der Schwerlastverkehr auf den Straßen nimmt seit Jahren zu. So ist allein die Zahl der Lkw, die ein amtliches Kennzeichen aus NRW haben, von 472.860 im Jahr 2010 auf 571.593 in diesem Jahr gestiegen - Tendenz deutlich steigend. Beim Innenministerium sei deswegen eine Arbeitsgruppe eingesetzt worden, die in enger Abstimmung mit dem Verkehrsministerium an Lösungen für das wachsende Verkehrsaufkommen arbeite, sagt Rüdiger Wollgramm, Leitender Polizeidirektor im Innenministerium. "Wir stehen vor gewaltigen Herausforderungen im Verkehr. Wir müssen den Verkehr sicherer machen", sagt er. Die technischen Voraussetzungen dafür, da sind sich die Experten einig, seien eigentlich gegeben. Doch die entsprechenden Gesetze, um die Technik einzusetzen, fehlten.

So gebe es eingebaute Abstandsmessgeräte in den meisten Lkw, die abbremsten, wenn man zu dicht auf den Vordermann auffahre. "Aber es gibt keine Pflicht, die auch zu benutzen. Deshalb schalten viele Fahrer die Geräte erst gar nicht an", sagt Lotz. Das Gleiche gelte für Geschwindigkeitsregler. "Wenn die Technik genutzt werden würde, könnten viele Leben gerettet werden", sagt Lotz. Davon sei er fest überzeugt.

Statt auf erlaubte Technik setzten Speditionen vielmehr auf illegale. "Uns macht die zunehmende Manipulation der digitalen Fahrtenschreiber Sorge", betont Kubicki. "Meist sind es aber nicht die Fahrer, die die Manipulationen an den Geräten vornehmen, sondern die Spediteure", ergänzt Kubicki. Er wisse um den Druck, den die Fahrer von ihren Arbeitgebern hätten.

Bei den gesetzlich vorgeschriebenen Lenkzeiten von maximal 48 Stunden in der Woche (neun Stunden am Tag) sei es für sie nicht leicht, die Touren in der vorgegebenen Zeit zu schaffen. Um hinterm Steuer nicht einzuschlafen, würden viele Fahrer Drogen nehmen. Aufputschmittel seien weit verbreitet. "Cannabis und Amphetamine spielen eine große Rolle", betont ein GdP-Mitglied aus dem Rhein-Erft-Kreis. Doch darauf werden die wenigsten Fahrer kontrolliert - wenn sie überhaupt mal kontrolliert werden. "Das ist leider so", sagt er.

(csh)
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