Prozess um Gewaltattacke bei Fußballspiel Geständige Angeklagte, schweigende Zeugen

Der Prozess um den so genannten Jülicher Sportplatzüberfall ist vor dem Landgericht Aachen mit Haftstrafen von bis zu drei Jahren und drei Monaten zu Ende gegangen. Der Richter bezeichnete den Platzsturm, bei dem neun Menschen verletzt worden waren, als "Racheakt".

 Zwei Angeklagte sitzen zwischen Rechtsanwälten in Aachen im Landgericht (Archivbild vom 30. April).

Zwei Angeklagte sitzen zwischen Rechtsanwälten in Aachen im Landgericht (Archivbild vom 30. April).

Foto: dpa, obe vge

Bevor der Vorsitzende Richter Norbert Gatzke das Urteil spricht, wendet er sich an die Zuschauer im Saal: "Ich bitte darum, während der Verkündung von Missfallensausrufen oder Beifall abzusehen — wer sich nicht daran hält, muss mit Ordnungshaft rechnen." Es bleibt still unter den Angehörigen und Freunden der Angeklagten, während er dann die Entscheidung der 4. Großen Strafkammer verkündet: Drei der acht Männer müssen wegen gefährlicher Körperverletzung in Haft, die Strafen liegen zwischen zwei Jahren und drei Monaten und drei Jahren und drei Monaten. Vier werden zu Bewährungsstrafen bis zu zwei Jahren verurteilt, sie müssen ein Anti-Aggressionstraining absolvieren und bis zu 250 Stunden Sozialstunden ableisten. Einen der Angeklagten spricht das Gericht frei, ihm konnten die Ermittler nicht nachweisen, dass er am 6. November vergangenen Jahres am Tatort war.

Die Angeklagten, die zwischen 21 und 42 Jahre alt sind, nehmen das Urteil reglos auf. Der Vorsitzende sagt: "Das war kein alltäglicher Fall." Die Tat sei ein Ausbruch von Gewalt und Brutalität gewesen, ein Akt der Selbstjustiz. Die Verteidigung hatte den Platzsturm mit einer Prügelei auf dem Schützenfest verglichen — Richter Gatzke nennt diesen Vergleich eine Bagatellisierung. "Ein friedliches Fußballspiel wurde an einem Sonntagnachmittag durch einen Ausbruch purer Gewalt beendet", sagt er.

Die Kammer sieht es als erwiesen an, dass sieben der Angeklagten in einer Gruppe von etwa 30 Männern ein Spiel des SV Grün-Weiß Welldorf-Güsten gegen die Sportfreunde Düren auf einem Fußballplatz in Jülich gestürmt haben. Mit Baseballschlägern und Eisenstangen droschen sie auf die Spieler ein und traten auch dann noch zu, als einige schon am Boden lagen. Im Blick hatten sie vor allem einen deutsch-libanesischen Spieler, mit dem ein Freund der Angeklagten zwei Tage zuvor auf offener Straße aneinandergeraten war. Der Platzsturm war nach Überzeugung des Gerichts ein Racheakt der Männer, die überwiegend türkische Wurzeln haben. Die Ehre des Freundes sollte wiederhergestellt werden. Dass auch viele Frauen und Kinder am Spielfeldrand waren und Unbeteiligte verletzt wurden, nahmen sie damals in Kauf.

Vor allem ein Video brachte die Ermittler auf die Spuren der Angeklagten. Es stammt aus einer Kamera, die an einem Flutlichtmasten des Sportplatzes hing. Zunächst war der Verdacht entstanden, Hintergrund der Tat könne eine Clan-Fehde sein. "Sie hätte aber auch von Deutschen ohne Migrationshintergrund begangen werden können", sagt Gatzke. Es sei schlicht eine Straftat aus falsch verstandenem Ehrgefühl. Er betont, im Verfahren Angeklagte erlebt zu haben, die "sich einsichtig und geständig gezeigt haben" — auch deshalb habe das Gericht den Prozess schnell zu Ende bringen können, eigentlich waren mehr Verhandlungstage eingeplant.

Der Vorsitzende geht aber auch auf die Zeugen und Geschädigten ein, die "kein Interesse an einer Strafverfolgung hatten". So hatten Zeugen ärztliche Atteste über ihre Verletzungen nicht vorgelegt oder gar nicht erst weiter vor Gericht ausgesagt, nachdem sie zuvor bei der Polizei noch viel mehr erzählt hatten. Einer hatte abgewiegelt, es könne auch sein, dass er sich den Arm beim Fußballspiel verletzt habe. "Es sind Tendenzen erkennbar, die auf Vereinbarungen hindeuten, die den Rechtsstaat untergraben können", sagt Gatzke. Ein Zeuge muss mit einem Verfahren wegen Falschaussage rechnen. Er soll im Zeugenstand gelogen haben, um die Angeklagten zu entlasten. Nach der Tat hatten sich Angreifer und Geschädigte wohl zu "Friedensgesprächen" getroffen. Dabei wurden von den Opfern offenbar Verzichtserklärungen unterschrieben. Bis auf einen hatten sich im Prozess alle Angeklagten bei den Opfern entschuldigt, zwei Angeklagte hatten 500 beziehungsweise 1000 Euro Schmerzensgeld bezahlt. Doch gerade weil viele Zeugen sich mit ihren Aussagen zurück hielten, seien die Geständnisse der Angeklagten "sehr wertvoll" gewesen, wie Gatzke sagt.

Die meisten der Täter, die den Platz gestürmt haben, konnten bis heute nicht ermittelt werden.

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