Karneval Phänomenal egal - meine 30 Jahre mit Karneval

Düsseldorf · Zuerst war es Liebe, dann kam der Hass. Nun ist da bloß Gleichgültigkeit. Unser Autor analysiert seine 30 Jahre mit dem rheinischen Karneval.

Autor Sebastian Dalkowski fühlt sich mittlerweile im jecken Treiben wie Buddha - er ist die Ruhe selbst.

Autor Sebastian Dalkowski fühlt sich mittlerweile im jecken Treiben wie Buddha - er ist die Ruhe selbst.

Foto: Grafik: Phil Ninh

Zwischen all den Cowboys, Indianern, Bienen, Kapitänen, Krokodilen, Teufeln, Krankenschwestern, Hexen, Bären und Chirurgen saß auch ein Buddha. Er hatte sich nicht verkleidet. Der Buddha war ich.

In meiner Betriebskantine hatten sie auch in diesem Jahr an Altweiber um Punkt 11.11 Uhr die wildeste Phase des Karnevals begrüßt. Die Musik wummerte noch in der zweiten Etage unter meinen Füßen. Gegen halb eins verließ ich meinen Arbeitsplatz, ging hinunter, ließ mir eine Frikadelle und Kartoffelsalat auf einem Teller geben, drückte mich an einer Polonaise vorbei und setzte mich an einen leeren Tisch. Ich kaute. Und schaute. Und schaute. Und fühlte nichts. Endlich.

Weil ich in einem niederrheinischen Dorf großgeworden bin, war ich schon früh gezwungen, eine Haltung zum Karneval zu entwickeln. Als Kind entschied ich mich für Begeisterung, wobei Entscheidung das falsche Wort ist. Ich konnte mir einfach keine andere Haltung vorstellen. Am Dienstag vor Altweiber sah ich mir so lange die Prunksitzung bei RTL an, bis meine Eltern mich ins Bett schickten. Am nächsten Tag erzählten wir uns die besten Witze des Vorabends im Schulbus. Doch vor allem war Karneval war für mich die Zeit des Jahres, in der es kostenlos so viele Süßigkeiten gab, wie in meine zwei Stoffbeutel passten.

Am Rosenmontag zog der große Zug durch mein Dorf. Weil er aber doch nicht so groß war, zog er einmal hin und einmal zurück. Ich konzentrierte mich auf Chips- und Popcorntütchen. Kaum war der Zug vorbei, drängte ich meine Mutter zum Aufbruch, damit wir rechtzeitig zum Karnevalszug im Nachbarort an der Straße standen. Der war zwar länger, sie warfen nie so viel, aber es gab immer einen Wagen, der ausschließlich Chipstüten vom Himmel regnen ließ.

Mein Zorro hatte eine Spezialwaffe

Verkleidet war ich meistens als Zorro. Mit der historischen Wahrheit nahm ich es allerdings nicht sehr genau. Mein Zorro trug neben dem Degen auch einen Colt. Zuerst wurde der mit diesen Papierrollen geladen, später mit diesen Plastikringen, die höchstens zwölf Schuss hatten, aber viel lauter und zuverlässiger knallten. Der Coolness-Gewinn war enorm. Bis meine Vorstellungen von Coolness sich erneut veränderten.

Als die Pubertät unsere Körper und Gedanken für immer zu verändern begann, begann sich auch unser Ideal eines Rosenmontags zu verändern. Es wurde nun verlangt, sich möglichst wenig zu verkleiden, dafür aber möglichst viel zu trinken und den Mädchen aus der Klasse nach dem Karnevalszug in den Kneipen und Festzelten möglichst nahe zu kommen. Vielleicht war dies der Punkt, an dem meine Liebe zum Karneval endete.

Ich trank einfach nichts. Im Sinne von nie. Im Sinne von niemals. Ich vergaß einfach, ein Bedürfnis nach Alkohol zu entwickeln. Ein paar Mal versuchte ich, der Feierei auch ohne Schnaps etwas abzugewinnen, aber es funktionierte nicht. Ich fühlte mich wie ein Ausgestoßener, wie ein Stock unter Springseilen. Erst viel zu spät begriff ich, dass es nicht reichte, wenn nur das Mädchen betrunken war. Mein größter Erfolg war es, mit einem Mädchen Hand in Hand nach Hause zu gehen. Ein langweiligeres Mädchen habe ich nie getroffen.

Karneval in Krefeld-Uerdingen 2019: So war die Party an Altweiber 2019 im Festzelt
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Altweiber-Party im Festzelt in Krefeld-Uerdingen

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Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Meine Liebe zum Karneval verwandelte sich in eine Mischung aus Verachtung und Hass. Ich konnte einfach nicht glauben, dass sich Mitglieder der Spezies Mensch für etwas begeistern konnten, das ausschließlich die niedrigsten Instinkte bediente. Das von so einer Geistlosigkeit war, dass der Staat es hätte unter Strafe stellen müssen. Karneval, das waren für mich DJ Ötzi, Witze von Fips Asmussen, Geschlechtskrankheiten und Menschen, die in ihrer eigenen Kotze schliefen. Ich beschloss, nie wieder einen Karnevalszug oder eine Karnevalssitzung zu besuchen. Ich beschloss, Spaß zu haben, wenn ich Spaß haben wollte, und nicht, wenn es der Brauchtumskalender verordnete.

Mein Umzug nach Köln nach dem Zivildienst bestärkte mich in dem Gedanken. An Altweiber besuchten mich einmal zwei Freunde, die in der Altstadt gefeiert hatten und eine Pause bei mir einlegen wollten. Ich brachte sie danach zurück. Aber nur bis zu der Straßenabsperrung, die die Trennung zwischen Vernunft und Wahnsinn markierte. Ich sah mir den Wahnsinn fünf Sekunden an, wie man sich einen Luftangriff im Fernsehen ansieht. Dann kehrte ich um. In den fünf Jahren, in denen ich in Köln gewohnt habe, war ich an keinem Rosenmontag in der Stadt. Köln war eine tolle Stadt, aber ich hasste zwei ihrer drei kulturellen Grundpfeiler: den FC und Karneval.

Mein Versuch, eine Büttenrede zu halten

Den Zustand der Gleichgültigkeit, die Erkenntnis, dass Hass auf Karneval viel zu viel der Ehre wäre, erreichte ich erst einige Jahre später. Dieser Zustand war nicht das Ergebnis systematischer Bemühungen. Ihm gingen einige schmerzhafte Erlebnisse voraus.

Mein Tätigkeit als Journalist zwang mich in den vergangenen Jahren zu einigen Aufeinandertreffen mit dem Karneval. Ich musste über mehrere Karnevalszüge schreiben. Ich musste auf einem Karnevalswagen mitfahren, die Hose des Hippie-Kostüms war dermaßen minderwertig, dass ich noch heute diese roten Fussel in meinem Kleiderschrank finde. Ich musste eine Damensitzung besuchen und mir Anzüglichkeiten auf die Wange malen lassen.

Das traumatischste aller Ereignisse liegt jedoch ziemlich genau fünf Jahre zurück. Ausgestattet mit einer LKW-Ladung Naivität und einer Schiffsladung Größenwahn hatte ich beschlossen, eine Büttenrede auf einer Sitzung am Mönchengladbacher Stadtrand zu halten und über meine Erfahrungen zu berichten. Der Artikel war ein großer Erfolg — weil die Büttenrede, die ich für absolut annehmbar hielt, ein einziges Debakel war. Nach 20 Minuten trat ein Mann hinter mich. Er sagte, ich solle besser zum Ende kommen. Und er meinte: zum Ende kommen, bevor das Publikum vollständig auf der Toilette verschwunden war. "Selten so gelacht" lautete die Überschrift.

Der Karneval füllt eine Lücke

Es ist zwar etwas billig, schmerzhaften Erlebnissen auch etwas Heilsames zuzuschreiben, aber ich könnte mir vorstellen, dass an diesem Tag aus Hass allmählich Gleichgültigkeit wurde. Eventuell war es dieser Tag, an dem ich akzeptierte, dass der Karneval und ich einfach nichts miteinander zu tun haben sollten, nicht als Freunde, nicht als Feinde. Ich verstand, dass der Karneval bei anderen eine Lücke füllte, ein Ventil war. Dass er ihnen Freude brachte, Ablenkung, Anlässe zum Trinken und Aus-der-Rolle-fallen. Ich verstand, dass ich mit Karneval deshalb nichts anfangen konnte, weil ich dieses Ventil nicht brauchte und der Karneval nicht in der Lage war, meine inneren Lücken zu füllen.

Ich akzeptierte also, dass wir Bewohner unterschiedlicher Planeten waren. So weit voneinander entfernt wie Griechenland von einer Haushaltssanierung. Als ich danach über einen Karnevalszug schreiben musste, es war sogar der in Düsseldorf, hätte ich auch über die Pressekonferenz des Schützenvereins schreiben können. Es hätte ebenso wenig in mir ausgelöst.

Wenn am Montag et Trömmelche jeht, jehe ich bloß zur Arbeit und wundere mich nur kurz, warum das Büro so leer ist. Und damit können beide Seiten sehr gut leben.

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