72-Jährige aus Meschede angeklagt Sexuell belästigter Pfarrer will einfach nur Ruhe

Arnsberg/ Meschede · Anrufe, SMS, E-Mails oder Liebesbriefe mit teilweise perversen Sex-Fantasien: Eine 72-Jährige belästigt seit 14 Jahren einen Pastor in Meschede. Im Berufungsprozess wird derzeit geklärt, ob ihr Liebeswahn krankhaft ist.

 Die Seniorin kann von diesem katholischen Pfarrer nicht loslassen. Jetzt verhandelt das Gericht wegen Stalkings.

Die Seniorin kann von diesem katholischen Pfarrer nicht loslassen. Jetzt verhandelt das Gericht wegen Stalkings.

Foto: dpa, mg hpl

Mittlerweile ist der Pastor frustriert. "Ich will nur meine Ruhe. Und der Rechtsstaat hilft mir nicht", schimpft Michael Hammerschmidt, als er das Landgericht Arnsberg verlässt. Dort saß am Donnerstag eine 72 Jahre alte Frau auf der Anklagebank, die Hammerschmidt nur zu gut kennt: Sie stellt dem Geistlichen seit 14 Jahren nach. Dafür wurde sie vom Amtsgericht bereits zu 14 Monaten Haft verurteilt. Nun geht es in der Berufung um die Frage: Ist die Frau krank oder kriminell?

 Das Amtsgericht in Meschede verurteilte die 72-Jährige im März 2014 zu 14 Monaten Haft. Am Donnerstag startete der Berufungsprozess.

Das Amtsgericht in Meschede verurteilte die 72-Jährige im März 2014 zu 14 Monaten Haft. Am Donnerstag startete der Berufungsprozess.

Foto: dpa, mg jhe kat soe

Fast täglich bekommt Hammerschmidt eindeutige Nachrichten von seiner Verfolgerin. Die macht keinen Hehl daraus: Sie liebe den Pastor. Der aber dürfe nur wegen des Zölibats ihre Gefühle nicht erwidern, erzählt sie dem Richter.

Elegant gekleidet und sorgfältig gestylt sitzt sie auf der Anklagebank. Während der Verhandlung versteckt sie ihr Gesicht zeitweise hinter ihrem schwarzen Hut mit auffälliger Krempe. Sie gibt zu, dass sie immer wieder leicht bekleidet durch den Garten des Pfarrhauses der katholischen St.-Nikolaus-Gemeinde im Mescheder Ortsteil Freienohl tänzelt. Oft dekoriere sie den Vorgarten des Pfarrhauses: "Blumen, Rosen, Luftballons, auf die ich schreibe "Ich liebe Dich", oder auch Möhren und Gurken", erzählt die Angeklagte. Hammerschmidt sagt: Er werfe den ganzen Müll in die Tonne. "Das ist eine Never-Ending-Story."

Auf dem Weg zur Kirche oder zum Friedhof werde er immer wieder mit eindeutigen sexuellen Angeboten überrascht, berichtet der Pastor. "Ich weiß ja nie, wann sie zuschlägt." Der 61-Jährige erduldet die Situation vordergründig gefasst, doch Ärzte führen seine gesundheitlichen Probleme auf den Stress durch das Stalking zurück. "Aber man entwickelt im Laufe der Jahre Überlebensstrategien", sagt Hammerschmidt.

Die wird der Pastor möglicherweise auch weiterhin brauchen. Denn während im Prozess im März 2014 ein Gutachter die Frau als voll schuldfähig eingestuft hatte, zeichnet sich nach der Befragung von vier Experten im Gerichtssaal eine Wendung ab.

"Was sollte eine Frau, die 58 Jahre lang ein normales Leben und 40 Jahre lang eine nach außen unauffällige Ehe führt, dazu bringen, ihr Leben auf den Kopf zu stellen, sich ins soziale Abseits zu begeben, Therapie und Gefängnis auf sich zu nehmen?", fragte der Sachverständige Norbert Leygraf. "Nennen Sie mir dafür einen Grund, der nicht krank ist."

Leygraf geht davon aus, dass die Frau unter einem "Liebes-Wahn" leide. Sollte das Gericht dieser Einschätzung folgen, müsste die Frau freigesprochen werden. Dann steht zwar theoretisch auch eine Unterbringung in einer Psychiatrie im Raum. Aber dafür sei die Seniorin zu wenig gefährlich.

Klar ist für den Gutachter indes, dass die 72-Jährige weitermachen wird: "Um es mal mit einem passenden Bild zu formulieren: Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche." Der Pastor müsse die Nachstellungen vermutlich weiter hinnehmen, sagt Leygraf.

Für Experten ist der Fall der liebeskranken Seniorin nicht ungewöhnlich. Insbesondere Priester würden häufiger als Opfer auserkoren, weil diese Liebe unerwidert bleibe. Bei den meisten Stalking-Fällen gebe es aber eine reale Beziehung zwischen Täter und Opfer. Meist würden Ex-Partner, Arbeitskollegen oder Bekannte gestalkt, sagt Stalking-Fachmann Jens Hoffmann aus Darmstadt. Allein in NRW würden jährlich mehr als 6000 Anzeigen mit mehr als 5000 Tatverdächtigen aufgenommen, heißt es beim Landeskriminalamt. Bundesweit gab es 2014 fast 22.000 polizeilich registrierte Stalking-Fälle.

Hammerschmidt bangt weiter: Der Prozess am Landgericht in Arnsberg wird am kommenden Mittwoch fortgesetzt. Dann soll ein Urteil gesprochen werden.

(top/met/ lnw)
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