Potentielle Amoktäter Ein Jahr „Periskop“ — So viele Menschen wurden in NRW überwacht

Düsseldorf · Nach Amokläufen zeigt sich regelmäßig, dass die Täter schon vorher auffällig waren. Daher wurde in Nordrhein-Westfalen vor einem Jahr ein bundesweites Pilotprojekt zur Früherkennung potenzieller Amokläufer gestartet.

Mitarbeiter der Spurensicherung der Polizei arbeiten im April 2018 nach einer Amokfahrt in Münster am Tatfahrzeug.

Mitarbeiter der Spurensicherung der Polizei arbeiten im April 2018 nach einer Amokfahrt in Münster am Tatfahrzeug.

Foto: Marius Becker/dpa

Nach den Amokfahrten von Münster, Volkmarsen und Trier bot sich den Ermittlern ein deprimierendes Bild: Die Täter waren allesamt vor ihren Amoktaten auffällig gewesen. Sie machten Andeutungen, fielen bei Routinekontrollen auf oder bombardierten die Behörden als „Vielschreiber“ mit Briefen. Sie hatten Warnsignale gesendet, die aber nicht als solche interpretiert worden waren. Solche „tickenden Zeitbomben“ rechtzeitig zu erkennen, ist in Nordrhein-Westfalen seit einem Jahr Ziel eines Projekts namens „Periskop“.

Die nach mehreren Amoklagen unter diesem Namen eingeführte Früherkennung ist die Abkürzung für „Personen mit Risikopotenzial“ und hat innerhalb eines Jahres zur Überprüfung von gut 2520 Menschen geführt. Das hat das NRW-Innenministerium auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mitgeteilt. Die Früherkennung war im Mai 2022 nach einer Pilotphase landesweit eingeführt worden.

„Wir richten unseren Blick verstärkt auf psychisch auffällige Menschen, von denen eine Gefahr ausgehen könnte, losgelöst von einer gefestigten politischen oder religiösen Ideologie“, sagte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) der Deutschen Presse-Agentur.

Die Vorgehensweise erinnert an die bei jugendlichen Intensivtätern: Die Polizei arbeitet mit örtlichen Netzwerkpartnern wie Jobcentern und Sozialpsychiatrischem Dienst in Fallkonferenzen und bei Runden Tischen zusammen.

Ziel ist es, zu schweren Gewalttaten neigende Menschen zu stabilisieren. Zum Prüffall werde nur, wer bereits als gewalttätig in Erscheinung getreten sei. Dies sei bislang 2522 Mal der Fall gewesen.

Es gibt bei den Prüffällen zwei Stufen. Nur etwa jeder fünfte Fall landet in der zweiten Bearbeitungsstufe, nämlich immer dann, wenn ein Risiko nicht ausgeschlossen werden kann. Für die Risikoanalyse fortgebildete Mitarbeiter der Polizei erarbeiten dann - zum Teil unter Mitwirkung von Psychologen - individuelle Maßnahmen.

Die Polizei selbst gibt nur Impulse, wenn es um medizinische, soziale, psychologische oder sonstige Betreuung geht. Sie kann aber Risikopersonen etwa an eine Schuldnerberatung oder psychiatrische Einrichtung vermitteln.

Die Polizei nennt zwei exemplarische Beispiele: In einem Fall habe ein Mann sich in einer nahezu ausweglosen Lebenssituation befunden und durch gewalttätiges Verhalten bereits mehrere Polizeieinsätze verursacht.

Er habe an einer schweren Form der Schizophrenie gelitten und ein deutliches Risikopotenzial aufgewiesen. In seinem Fall sei es gelungen, ihn in einer Fachklinik unterzubringen und anschließend, als es ihm besser gegangen sei, in einem betreuten Wohnen.

In einem anderen Fall konnte ein gewalttätiger Mann, der konkrete Drohungen aussprach, ebenfalls einer psychiatrischen Einrichtung zugeführt werden. Dort wurde festgestellt, dass er seine Medikamente abgesetzt hatte, die ihm verordnet worden waren. Der Mann habe stabilisiert und in sein Wohnumfeld entlassen werden können.

Dass Periskop kein Allheilmittel ist, hat die Explosion in einem Ratinger Hochhaus mit 35 Verletzten vor einigen Wochen gezeigt: Der mutmaßliche Täter war zwar zuvor durch Gewalt aufgefallen, doch nur durch kleinere Delikte wie Ohrfeigen, wie sie viel zu häufig vorkommen, um Alarm auszulösen. Zudem war seine psychische Auffälligkeit nicht rechtzeitig aktenkundig geworden. Somit war er kein Fall für Periskop, wie die Ermittler erklärten.

(dtm/dpa)
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