Solingen Pendler atmen auf

Solingen · Heilfroh sind die Bahnpendler, dass der "Müngstener" wieder über die Brücke fährt. "Das ist ein wunderbares Gefühl." Schon heute graust es ihnen vor den im nächsten und übernächsten Jahr angekündigten Brückensperrungen.

Rasch nimmt der "Müngstener" am Bahnhof Schaberg Fahrt auf. Kein Abbremsen, kein Ruckeln, aber auch keine Lautsprecherdurchsage im Zug, um die Fahrgäste auf die so lang vermisste Überfahrt der Müngstener Brücke einzustimmen. "Das ist Normaltempo. Herrlich!", freut sich Pendler Ingo Saure. Gerade hat die Regionalbahn RB 47 mit den rund 100 Fahrgästen die mit 107 Metern höchste Stelle über der Wupper passiert.

Technischer Defekt eines Zuges

Nach sieben quälenden Monaten ist der lästige Schienenersatzbus endlich Vergangenheit. Am Montag Morgen konnte der Solinger das erste Mal wieder auf direkten Schienenweg seinen Arbeitsplatz in Remscheid erreichen: "Ein wunderbares Gefühl. Man kommt wieder pünktlich zur Arbeit." Immer wieder hat er sich in den vergangenen Monaten schwarz geärgert.

Ganz ohne Panne verlief der Neustart des "Müngsteners" allerdings nicht: Ein Triebwagen ist gestern Mittag wegen eines technischen Defektes ausgefallen, so dass ein kompletter Zugumlauf wegfiel. Erst nach 17 Uhr habe ein Ersatzzug zur Verfügung gestanden, erklärt Bahnsprecher Udo Kampschulte.

Geht es nach dem Gefühl der gebeutelten Pendler, müssten nun eigentlich Sektkorken knallen. "Das macht das Leben wieder leicht", freut sich Rainer Knecht über die Öffnung der Brücke. Auch er ist heilfroh, dass seine Fahrzeit zum Arbeitsplatz wieder verlässlicher wird. Rahel Haack geht es ebenso. Die 18-jährige Schülerin pendelt täglich von Remscheid zum Technischen Berufskolleg nach Solingen.

Zum Feiern ist Ingo Saure allerdings nicht zumute, wenn er an die Zukunft denkt. Im nächsten und übernächsten Jahr hat die Bahn während der Herbst- und Sommerferien bereits Brückensperrungen wegen weiterer Sanierungsarbeiten fest eingeplant und den Schienenersatzbus zwischen Solingen-Mitte und Remscheid-Güldenwerth quasi bereits vorbestellt. "Davor graust es mir schon jetzt", sagt Saure.

5000 Bahnreisende passieren täglich Deutschlands höchste und schönste Eisenbahnbrücke. Befürchtungen des bergischen Regionalverbundes des Verkehrsclubs Deutschland, die Bahn wolle die Strecke entweder ganz aufgeben oder sie mit den möglichst geringsten Kosten in Betrieb halten, weist Bahnsprecher Udo Kampschulte zurück: "30 Millionen Euro sind für die Sanierung schon bereitgestellt." Die Bahn wolle und könne die Strecke alleine doch gar nicht stilllegen.

Aber die scheinbare Leichtigkeit, mit der der Müngstener gestern den Normalbetrieb über die Brücke wieder aufgenommen hat, trügt. Ob sie durch einen Betonneubau ersetzt wird, ob eine Lösung für die Abellio-Züge mit den schwereren Achslasten gefunden wird und ob jemals wieder Güterzüge passieren werden – über das Schicksal der Brücke will die Bahn Ende des Jahres entscheiden, wenn sie alle Informationen zusammengetragen hat.

Brücke als Weltkulturerbe?

Lars Gähl, der am Bahnsteig des "Müngsteners" im Remscheider Hauptbahnhof wartet, fände es richtig gut, die Brücke in die Liste des Unesco-Weltkulturerbes aufzunehmen: Dies bringe mehr Touristen in die Region. Für Pendler Ingo Saure wäre eine schnöde Betonbrücke über dem Tal in Müngsten als Ersatz für den imposanten Stahlkoloss ein Unding. "Als ob man Solingen die Messer wegnehmen würde. Das geht gar nicht." Trotz der Pannenserie bei den statischen Berechnungen hat "Müngstener"-Fahrgast Rainer Knecht beim Überqueren der Brücke aber kein mulmiges Gefühl. Er habe Vertrauen in die Prüfungen des Eisenbahnbundesamtes, sagt er.

Ob die Brücke sicher sei, fragen Kinder der dritten Klasse der Freiherr-vom-Stein-Grundschule aus Lennep, während sie sich bei der atemberaubenden Überfahrt die Nasen an den Fenstern der RB 47 platt drücken. Sie bräuchten sich keine Sorgen zu machen, entgegnen Begleiter der Klasse. Die Brücke sei doch erst repariert und vielfach kontrolliert worden.

(RP)
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