Video von Einsatz vor Shisha-Bar in Essen „Die Polizisten machen einen überforderten Eindruck“

Düsseldorf · In Essen kam es vor einer Shisha-Bar zu einem Polizeieinsatz gegen eine Gruppe Libanesen. Nun liegt eine Strafanzeige gegen die Polizei vor. War der Einsatz unangemessen? Wir haben einem Polizeiexperten die Videoaufnahmen von der Nacht gezeigt.

Was ist bei einer Auseinandersetzung mit der Polizei wirklich geschehen? Diese Frage ist nicht immer leicht zu beantworten. So auch in einem Fall in Essen. Die Polizei sollte dort eine Routinekontrolle in einer Shisha-Bar vornehmen. Vor der Bar kam es dann zu Handgreiflichkeiten zwischen der Polizei und einer Gruppe Libanesen. Jetzt wird der Fall von der Justiz geprüft. Bei der Staatsanwaltschaft ist eine Strafanzeige gegen die Polizei eingegangen. Die Anzeige richte sich gegen den Polizeipräsidenten in Essen wegen übler Nachrede und Verleumdung sowie gegen mehrere Beamte wegen Körperverletzung im Amt. Auf Anfrage unserer Redaktion bei der Polizei Essen wollte sich der Sprecher nicht zu dem Fall äußern. Direkt nach dem Einsatz hatte die Polizei berichtet mehrere „libanesisch-stämmige Personen“ hätten die Beamten angegriffen, sie geschlagen, getreten und gewürgt. Die Staatsanwaltschaft will nun ein Video prüfen, das die Auseinandersetzung zeigt. Wir haben das Video Oliver von Dobrowolski gezeigt. Er ist erster Vorsitzender des Vereins PolizeiGrün, eines bundesweiten Zusammenschlusses von Polizeibediensteten, die der grünen Partei nahestehen.

Das Video zeigt eine zweiminütige Auseinandersetzung zwischen der Polizei, mehreren jungen Männern und zwei Tierschützern, die der Polizei zur Hilfe kommen. Ist das Vorgehen der Polizisten so üblich?

Oliver von Dobrowolski Man muss solche Videosequenzen immer mit Vorsicht betrachten, denn sie zeigen nur einen Ausschnitt. Die Vorgeschichte und somit auch die Dynamik, die zu der Situation geführt hat, ist meistens nicht zu sehen. Auch bei diesem Video kann man nicht erkennen, was der Grund für das Einschreiten der Polizisten war. Ich kann also nicht sagen, ob es gerechtfertigt war. Erkennbar ist aber, dass die Person, die festgenommen werden soll, sich wehrt und schwer überwältigt werden kann. Inwiefern der Einsatz von Pfefferspray oder Tierabwehrspray verhältnismäßig ist, kann ich ohne Hintergrundwissen auch nicht beurteilen.

Wie wirken die Polizisten auf Sie?

Dobrowolski Die Polizisten machen einen überforderten Eindruck. Die vielen Zuschauer können zwar nervös machen, allerdings geht von den Zeugen nicht so viel Aggression oder gar Gewalt aus, wie man es von anderen Einsatzlagen kennt, die öffentlich diskutiert wurden.

 Oliver Dobrowolski ist Vorsitzender des Vereins PolizeiGrün.

Oliver Dobrowolski ist Vorsitzender des Vereins PolizeiGrün.

Foto: Oliver Dobrowolski/Erik Marquardt

Fällt Ihnen etwas Ungewöhnliches auf?

Dobrowolski Ich finde es bemerkenswert, um genau zu sein äußerst skurril, dass zwei Menschen in Medic-Einsatzkleidung mit in die Situation eingreifen. Wenn das wirklich Mitglieder der Tierrettung sind, bedeutet das, dass sie weder die nötige Ausbildung noch eine rechtliche Legitimation haben, um polizeilich zu handeln oder die Polizei zu unterstützen. Man sieht in dem Video nicht, ob diese Helfer von den Polizisten aufgefordert wurden zu helfen, also, wie wir es nennen „polizeipflichtig“ gemacht wurden. Aber auch dann müsste man dieses Vorgehen zumindest einer gesonderten Überprüfung unterziehen.

Einer der Tierretter hat einen Mann sogar auf dem Boden festgehalten und mit reizendem Spray besprüht.

Dobrowolski Ja, das ist beachtlich. Denn das bedeutet, dass durch ein Mitglied der Tierrettung in erheblicher Weise auf die Freiheit und die körperliche Unversehrtheit der Person eingewirkt wurde.

Was sagen Sie zum Ablauf des Einsatzes?

Dobrowolski Die Gestaltung des Einsatzes wirkt nicht besonders gelungen auf mich. Wie gesagt, die Polizisten wirken überfordert. Das erkennt man auch daran, dass die Polizeibeamtin erst ziemlich spät laut ausspricht, dass Verstärkung benötigt wird - ich kann aber nicht erkennen, dass sie die Verstärkung auch per Funk anfordert. Ohnehin ist es seltsam, dass sich die Kollegin nicht an der Festnahme - die sich offensichtlich schwierig gestaltet - beteiligt. Und das, obwohl es nicht so aussieht, als wäre sie damit beschäftigt, die Umstehenden in Schach zu halten. Es hätte sich auch angeboten, den Umstehenden die Maßnahme zu erklären und die Situation somit zu beruhigen.

Sie hätte also Verstärkung rufen müssen?

Dobrowolski Sagen wir es so: Ich weiß nicht, ob es stimmt, dass die Personen, die festgenommen werden sollten, polizeibekannte Mitglieder eines Clans sind oder nicht. Aber wenn dem so ist, dann stellt sich um so mehr die Frage, warum nicht gleich mehr Polizisten für den Einsatz angefordert wurden. Und umgedreht, wenn sie letztlich doch keine Clanmitglieder sind, dann handelt es sich hier möglicherweise um den Versuch, nicht gerade optimales polizeiliches Verhalten im Nachhinein zu legitimieren.

Sie kennen dieses Vorgehen?

Dobrowolski Ich weiß, dass es häufig nicht vor allem darum geht, Bürgerrechte zu schützen, sondern darum die Deutungshoheit über eine strittige Situation zu behalten. Aber die Polizei muss sich darüber klar werden, dass rechtsstaatliches Verhalten wichtiger denn je ist. Denn heute kann jeder Umstehende mit seinem Smartphone Fotos und Filme machen und somit wertvolle Beweise zu einem Verfahren beisteuern.

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