Offener Brief eines Radfahrers Ihr seht mich einfach nicht
Düsseldorf · Seit einem halben Jahr fährt unser Autor mit dem Rad zur Arbeit – dass noch alle Knochen heil sind, liegt nicht an aufmerksamen Autofahrern, sondern guten Bremsen. Ein offener Brief.
Liebe Autofahrer,
ich weiß, was Ihr gleich wieder sagen werdet, da schalten meine Ohren auf Durchzug. Die Radfahrer, ja also die seien ja in Wahrheit die größten Rambos, aber das dürfe man ja heutzutage nicht mehr sagen.
Das hier ist mein Brief. Meiner. Und nein, ich halte mich an so ziemlich jede Verkehrsregel, jede Ampelfarbe, ich weiche sogar Schnecken aus, so ein rücksichtsvoller Verkehrsteilnehmer bin ich.
Seit mehr als einem halben Jahr also fahre ich mit dem Rad zur Arbeit. 24 Kilometer hin, 24 Kilometer zurück. Von Mönchengladbach, über Kaarst, durch Neuss, über den Mitarbeiterparkplatz zum überdachten Fahrradabstellplatz (Danke, Arbeitgeber). Spaß macht mir das nur, wenn ich daran denke, dass ich sonst auf der A52 im Stau stehen würde.
Das liegt nicht nur, aber besonders an Euch, Ihr Krone der Verkehrsteilnehmer-Schöpfung. Ein paar Beispiele der letzten Wochen:
- Ein Autofahrer kommt von der Autobahn und rast bei Rot über die Ampel, die doch mir Grün zeigt, damit ich die Landstraße auf dem Radweg überqueren kann. Ich hänge so sehr an meinem Leben, dass ich bremse.
- Ein Autofahrer fährt auf einer großen Straße in der Stadt einfach über Rot, als ich auf dem Überweg Grün habe. Das Auto fährt nicht einmal schnell.
- Eine Frau biegt vor mir rechts ab und hält auf dem Radweg, um ihre Kinder aus dem Auto zu lassen.
- Ein Auto steht auf dem Radweg, ein anderes parkt daneben auf dem Bürgersteig. Ich steige ab, um in der schmalen Lücke dazwischen durchzukommen, ohne die Autos zu beschädigen.
Das sind bloß die auffälligsten Beispiele, denn grundsätzlich rechne ich niemals damit, dass Ihr mich trotz Tageslicht oder Warnweste und überdurchschnittlicher Fahrradbeleuchtung seht und obwohl ich immer auf dem Radweg fahre. Ihr Autofahrer hängt dem Glauben an, Radwege verwandelten sich zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang in Parkplätze. Dem ist nicht so, denn leider verwandeln sich die Straßen, auf die ich dann ausweiche, in dieser Zeit nicht in verkehrsberuhigte Zonen. Den Kampf Metall gegen Säugetier gewinnt mit Ausnahme des Blauwals noch immer Metall. Bisher habe ich noch immer rechtzeitig gebremst.
Euch ist das vermutlich nicht klar, aber Radfahrer haben es auch ohne Euch schon schwer genug. Wir sind dem Regen, dem Wind und der Sonne ausgesetzt. Wir müssen unsere Muskeln nicht nur beim Schalten und Kuppeln bemühen. Eine grüne Welle für Radfahrer ist nicht vorgesehen. Die Radwege, auf denen ich fahre, sind so katastrophal, dass an einer Stelle sogar ein Rasen auf dem Asphalt entstanden ist. Es gibt abgesenkte Bordsteine, die den Namen nicht verdient haben. Auf einigen Passagen haben Baumwurzeln die Wegdecke so sehr in die Höhe gehoben, dass ich auf der Abfahrt neuen Schwung nehmen kann. Ich kenne die schlimmsten Schlaglöcher der Stadt, und ich habe bloß die Wahl, durch welches ich hoppeln möchte. Keine einzige Stadt kann ernsthaft von sich behaupten, der Radverkehr habe Priorität. Einige Städte machen es dem Radfahrer nur nicht ganz so schwer.
Dabei solltet Ihr uns Radfahrern nicht nur mit etwas mehr Aufmerksamkeit begegnen, Ihr solltet uns sogar dankbar sein. Jeder Radfahrer ist ein Autofahrer weniger, der vor Euch im Stau steht. Jeder Radfahrer ist ein Autofahrer weniger, der CO2 und was sonst noch in die Luft bläst. Ihr also, die Ihr noch immer Auto fahrt, nicht nur in Ausnahmen aus Faulheit, könnt Euch deshalb noch etwas länger Zeit lassen, bevor Ihr auf weniger umweltschädliche Fahrzeuge umsteigt. Wir Radfahrer verlängern Euer Autofahrerleben. Verkürzt deshalb bitte nicht unseres.
Herzlich,
Sebastian Dalkowski