Ungenutzte Schweinegrippe-Impdosen NRW verschwendet 41 Millionen Euro

Erst kam die Angst vor der Massenepidemie, dann die Ernüchterung: Die Schweinegrippe löste im vergangenen Jahr Furcht vor zahlreichen Grippe-Toten aus. Die Katastrophe blieb aus, nur ein Bruchteil der Bürger ließ sich impfen. Jetzt entbrennt zwischen dem Land NRW und der Bundesregierung die Diskussion darüber, wer den nicht verwendeten Impfstoff zahlen soll.

Die häufigsten Fragen zur Schweinegrippe-Impfung
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Foto: AP

6,4 Millionen Impfdosen gegen die Schweinegrippe warten in Nordrhein-Westfalen auf ihr Verfallsdatum, weil sie nicht verimpft wurden. Vom ersten Impftag Ende Oktober 2009 bis heute haben sich in NRW rund eine Million Menschen impfen lassen. Der restliche Impfstoff ist noch bis Herbst 2011 haltbar, wird nach Angaben vom Gesundheitsministerium aller Voraussicht nach jedoch nicht mehr verwendet, weil die Krankenkassen die Kosten seit dem 1. August nicht mehr übernehmen.

Dazu kommt, dass der neue Impfstoff gegen die saisonale Grippe laut Ministerium einen Bestandteil gegen die Schweinegrippe enthalten wird. Damit bleibt das Land auf Kosten in Höhe von 41 Millionen Euro sitzen. Insgesamt hatten die Impfdosen 56 Millionen Euro gekostet, die Krankenkassen haben aber die Kosten für vorgenommene Impfungen übernommen.

NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) will deshalb, dass der Bund sich an den Kosten der Länder für nicht genutzten Schweinegrippen-Impfstoff beteiligt. "Der Bund müsste sich kulant zeigen und einen Teil der Ausgaben übernehmen." Ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums sagte, es sei "relativ klar", dass die Länder die Kosten für die Schweinegrippeimpfung alleine tragen müssen, da sie auch die Impfdosen bestellt hätten. Es gebe im Moment lediglich Gespräche darüber, wie die Kosten bei einer zukünftigen Pandemie verteilt werden.

Auf das Land warten auch noch weitere Kosten. "Der Impfstoff ist bald verfallen und dann Sondermüll und muss kostenpflichtig entsorgt werden", sagt der Arzneiexperte Wolfgang Becker-Brüser. Seiner Meinung nach haben vor allem die großen Pharmakonzerne von der Schweinegrippe profitiert, da in "Geheimverträgen" mit den Bundesländern große Impfstoffmengen zu hohen Preisen bestellt worden seien.

Dass das Land eine so hohe Zahl an Impfdosen "Pandemrix" des Pharmakonzerns GlaxoSmithKline gekauft hat, hält Gabriele Ahlemeyer vom Landesinstitut Gesundheit und Arbeit in Münster dennoch im Nachhinein für richtig. "Wir haben über den neuen Krankheitserreger wenig gewusst." Ihrer Meinung nach gab es zahlreiche Gründe dafür, dass sich viele nicht impfen lassen wollten.

"Zum einen war die Diskrepanz zwischen dem, was den Leuten erzählt wurde und dem, was die Leute erlebt haben, sehr groß." Während vor einer Pandemie mit vielen Toten gewarnt wurde, habe es im näheren Umfeld der meisten Bürger nur wenige leichte Fälle gegeben. Zum anderen seien die Menschen wegen widersprüchlicher Meinungsäußerungen von Laien im Internet zögerlich gewesen.

Kritik gab es auch wegen der sogenannten Adjuvantien im Impfstoff, die die Immunreaktion verstärken und so schneller zu einer Resistenz führen sollen. "Mit dem Wirkungsverstärker in Pandemrix gab es nur unzureichende klinische Prüfungen", sagt Becker-Brüser. Es habe im Vergleich zu entsprechenden Impfstoffen ohne Wirkverstärker etwa doppelt so häufig Nebenwirkungen gegeben. Die Bürger seien mit aus der Luft gegriffenen Argumenten dazu gedrängt worden, sich impfen zu lassen. "Das hat dem Impfgedanken nicht gut getan."

Das für die Zulassung von Impfstoffen verantwortliche Paul-Ehrlich-Institut spricht von einem "positiven Nutzen-Risiko-Verhältnis". Zwar habe es "definitiv häufiger" leichte Impf-Nebenwirkungen mit Lokalreaktionen und Erkältungs-ähnlichen Symptomen gegeben, bei den schweren Nebenwirkungen sei die Zahl aber genau so hoch wie bei der Impfung zur saisonalen Grippe. Bisher gebe es einen bekannten Fall, bei dem ein Mensch an der Impfung gestorben sei.

"Behörden und deren Experten haben Aktionismus betrieben, aber wenig zielgerichtet", lautet das Fazit von Wolfgang Becker-Brüser. "Das war eine Generalprobe für eine Pandemie, und die ist gründlich daneben gegangen."

Der erste Fall der Schweinegrippe wurde Anfang April 2009 in Mexiko bekannt. Ende April gab es auch in Deutschland den ersten bestätigten Fall. 2009 und 2010 hat es nach Angaben des NRW-Gesundheitsministeriums rund 40 700 gemeldete Fälle von Erkrankungen mit dem H1N1-Virus gegeben. Die Zahl der Todesfälle liegt in dem Zeitraum laut Ministerium bei 62 Fällen - davon 12 in diesem Jahr. Deutschlandweit seien über 231 800 Erkrankungen und 256 Todesfälle gemeldet worden. Die Weltgesundheitsorganisation hatte die Pandemie am 10. August offiziell für beendet erklärt.

(DDP/born)
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