Emotionale Debatte Verbot von Ferkel-Kastration ohne Betäubung rückt näher

Münster · Millionen männliche Ferkel werden jedes Jahr in Deutschland wenige Tage nach der Geburt ohne Betäubung kastriert. Das sorgt für emotionale Debatten und belastet die Branche. Die Betriebe wollen das stoppen - doch das können sie nicht allein.

 Ein Ferkel wird in einem Stall untersucht (Symbolbild).

Ein Ferkel wird in einem Stall untersucht (Symbolbild).

Foto: dpa/Carmen Jaspersen

Millionen männliche Ferkel in Deutschland erleben wenige Tage nach ihrer Geburt eine schmerzhafte Operation: Sie werden ohne Betäubung kastriert. Der von Tierschützern scharf kritisierte Eingriff ist aus Sicht der Bauern bisher nötig, weil das Fleisch einiger männlicher Schweine einen unangenehmen Geruch entwickelt, wenn die Tiere älter werden. Die Bauern suchen jedoch verstärkt nach Alternativen - weil die emotionale Debatte dem Image der Branche schadet und ein gesetzliches Verbot der betäubungslosen Eingriffe ab 2021 immer näher rückt.

Bisher gebe es keine befriedigende Lösung für den Ausstieg aus der Kastration, schrieben die nordwestdeutschen Sauenhalter vor kurzem in einem gemeinsamen Brief. „Wenn wir so weitermachen wie bisher, gibts uns in zehn Jahren nicht mehr“, sagt der Geschäftsführer des größten deutschen Ferkelzuchtbetriebes LFD, Jörn Göbert, der Deutschen Presse-Agentur. „Dann ist Deutschland in Europa bald nicht mehr konkurrenzfähig und unser Fleisch kommt aus unbekannten ausländischen Kanälen.“

Wie Göberts Betrieb aus Sachsen-Anhalt wollen auch die Bauernverbände der großen Schweinezuchtländer wie NRW, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern gemeinsam weg von der Kastration. Als „bessere Alternative“ biete sich an, das Wachstum der Schweinehoden mit einer Immunbehandlung zu blockieren, so dass die Tiere bis zum Zeitpunkt der Schlachtung noch keinen Geruch entwickeln, sagte der Vize-Hauptgeschäftsführer des westfälisch-lippischen Bauernverbandes, Bernhard Schlindwein, in Münster. Das Fleisch dieser Tiere sei „aromatisch und nach Aussage von Vermarktern als Frischfleisch und für die Vermarktung geeignet“. Daneben könne man Jungeber auch ohne Kastration mästen, übelriechende Tiere schlicht auszusortieren und in der Verarbeitung für andere Produkte verwenden.

Voraussetzung ist natürlich, dass die großen Lebensmittelkonzerne mitspielen, die das Fleisch abnehmen. Hier gebe es gute Signale aus der Industrie, sagt Schlindwein. So erklärte sich Kaufland - Teil der Lidl-Gruppe - Ende September bereit, das Fleisch immunbehandelter also nicht kastrierter Schweine zu testen. Ähnliche Zusicherungen gebe es auch von Aldi und Rewe, sagt Schlindwein.

Die deutsche Schweinezucht schrumpft und konzentriert sich immer mehr auf große Höfe, zugleich geht die Gesamtzahl der Tiere zurück. Allein von November 2018 bis Mai 2019 mussten etwa NRW-weit 190 Betriebe schließen; die Zahl sank auf gut 6800. Zugleich ging die Zahl der Schweine laut Statistischem Landesamt von knapp 7,4 Millionen Tieren Mitte 2014 auf gut 6,9 Millionen im Mai 2019 zurück. Bundesweit verringerte sich die Zahl der Ferkel und Jungschweine innerhalb von vier Jahren von 13,9 Millionen auf 13,1 Millionen in 2018.

Göbert zufolge liegt das nicht nur am öffentlichen Streit um die Kastration und andere Themen wie die Stallhaltung der Tiere. Daneben habe die Branche auch ein Vermarktungsproblem. Schweinefleisch müsse am Markt - wie Rindfleisch - offensiver und auch mit Premiumangeboten auftreten, forderte Göbert. Alte Schweinerassen mit besonders schmackhaftem Fleisch sollten wiederbelebt und Schweinefleisch an der Theke auch sprachlich selbstbewusster verkauft werden. „Beim Rind gibts T-Bone, Porterhouse, Rib-Eye und Entrecote, das wär auch beim Schwein möglich, aber da verkaufen wir nur "Kotelett".“

Sein Unternehmen werde ab 2021 gar nicht mehr kastrieren, sagte Göbert. Auf den Eingriff verzichteten außerdem die meisten Betriebe in Spanien sowie in den Niederlanden. Ein Hinweis „ohne Kastration erzeugt“ könne doch im Handel ein wirkungsvolles Qualitätssignal für den Verbraucher setzen, schlug Göbert vor.

(mba/dpa)
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