Misshandlungen in Flüchtlingsheimen Polizeigewerkschaft beklagt Staatsversagen

Düsseldorf · Die Misshandlungsfälle in Asylunterkünften lenken den Blick auf die Praxis, private Sicherheitsdienste einzusetzen. Der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, wirft dem Staat vor, seiner Verantwortung für die Flüchtlinge nicht gerecht zu werden. Die Opposition im NRW-Landtag attestiert Innenminister Jäger Kontrollverlust.

 Dieses Handy-Bild zeigt die Misshandlung eines Mannes.

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Foto: Polizei

Nach der Misshandlung von Flüchtlingen in der Notunterkunft in Burbach durch Wachleute haben das Land und der private Betreiber Konsequenzen gezogen. Dem Sicherheitsdienst sei gekündigt worden, teilte die Bezirksregierung Arnsberg mit, die in der Region für die Asylunterkünfte des Landes zuständig ist.

Scharfe Kritik von der Polizeigewerkschaft

Der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, übte scharfe Kritik an der Praxis, in Asylbewerberunterkünften private Sicherheitsdienste einzusetzen."Hier wird eine hoheitliche Aufgabe auf ein gewinnorientiertes Unternehmen übertragen und gleichzeitig der Kardinalsfehler begangen, die Tätigkeit von Subunternehmen im Vertrag nicht zu verbieten", erklärte Wendt am Montag im ZDF-"Morgenmagazin". Damit seien die "Scheunentore weit geöffnet" für Kriminelle. "Zynisch möchte man sagen: Willkommen im schlanken, privatisierten Staat", sagte der Polizeigewerkschafter.

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Foto: dpa, jst fdt

Wendt vermisst ausreichende Unterstützung von Bund und Ländern für die Kommunen. Sie müssten in die Lage versetzt werden, eine größere Zahl von Flüchtlingen auch aufnehmen zu können, so Wendt in im Fernsehsender n-tv. Die Polizei stößt bei dieser Aufgabe aus seiner Sicht an ihre Grenzen. Mit dem vorhandenen Personal gehe das leider nicht immer. Deshalb sei es auch notwendig, mitunter private Unternehmen zu beschäftigen. Diese müsse man aber sorgfältig auswählen und genau überwachen.

Am Montag wurden nach dem durch Bildmaterial belegten Skandal aus Burbach weitere Fälle aus Essen und Bad Berleburg bekannt. Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln inzwischen gegen insgesamt sechs Verdächtige. Zudem wollen die Behörden klären, ob es sich um Einzelfälle handelt oder noch weitere Heime betroffen sind.

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Der Fall in Burbach

Den Skandal ins Rollen gebracht, hat am Sonntag Bildmaterial aus einem Flüchtlingsheim im siegerländischen Burbach. In der Notunterkunft hatten Wachmänner demnach einen etwa 20 Jahre alten Algerier misshandelt und gedemütigt. Der Vorfall ist auf einem Handy-Foto festgehalten. Darauf sind ein gefesselt am Boden liegender Mann und zwei uniformierte Sicherheitsleute zu sehen. Einer der beiden setzt dem Opfer seinen Fuß in den Nacken.

Mittlerweile habe man anhand ihrer Stimmen die beiden Männer gefunden, die auf dem Video zu sehen sind, sagte der Siegener Oberstaatsanwalt Johannes Daheim am Montag. Ein von den Männern aufgenommenes Video hatte die Ermittlungen ins Rollen gebracht. Von der Vernehmung der beiden Männer erhoffe man sich auch, den Zeitraum eingrenzen zu können, in dem der Vorfall passierte. "Dann können wir hoffentlich auch das Opfer finden und vernehmen", sagte Daheim.

Seit dem Wochenende werden Hunderte Bewohner der Notunterkunft in Burbach befragt. Seit Freitag laufen die Ermittlungen. Inzwischen seien etwa 100 der insgesamt rund 700 Bewohner der Unterkunft befragt worden. Nach Angaben der Polizei gibt es Hinweise auf weitere Körperverletzungsdelikte, an denen zum Teil Mitarbeiter des Wachdienstes beteiligt gewesen sein könnten.

Bad Berleburg und Essen

Auch in einer Flüchtlingsunterkunft in Bad Berleburg sollen zwei 30 und 37 Jahre alte Beschäftigte eines Sicherheitsunternehmens einen Bewohner verletzt haben. Gegen sie werde wegen gefährlicher Körperverletzung ermittelt, sagte Daheim. Die beiden Männer sollen für eine andere Firma als die Wachleute in Burbach gearbeitet haben. Weitere Einzelheiten wurden zunächst nicht bekannt.

Außerdem ermittelt die Polizei auch in Essen. "Uns liegen drei Strafanzeigen wegen einfacher Körperverletzung vor", sagte ein Sprecher der Polizei am Montag. Die Anzeigen stammten aus einem Heim, die Ermittlungen liefen. Auch in Essen soll es Übergriffe von Mitarbeitern eines privaten Sicherheitsdienstes gegeben haben.

Nach Auskunft der für die Flüchtlinge zuständigen Bezirksregierung in Arnsberg wird das Essener Heim vom gleichen privaten Betreiber geführt wie die Unterkunft in Burbach im Siegerland. Dieser habe dort auch denselben Sicherheitsdienst engagiert.

Auslöser für die Ermittlungen und Durchsuchungen war ein Video: Ein Journalist hatte den Ermittlern am Freitag die Aufnahmen übergeben, die einen anderen Übergriff auf einen Flüchtling in der Einrichtung in Burbach zeigt. In der etwa 10- bis 15-sekündigen Sequenz ist nach Angaben der Polizei ein Mann zu sehen, der neben Erbrochenem auf einer Matratze sitzt und unter Androhung von Schlägen gezwungen wird, sich hinzulegen.

Jäger will hart durchgreifen

Die Bundesregierung hat eine umfassende Aufklärung möglicher Misshandlungsfälle gefordert. "Es ist vollkommen klar, diese Vorgänge müssen rasch und sie müssen gründlich aufgeklärt werden", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. Wenn es sich bestätige, dass in diesen Einrichtungen in der Tat Flüchtlinge misshandelt wurden, dann wären das "widerwärtige Taten". Dann müssten die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden, betonte Seibert. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums verwies darauf, dass primär die Kommunen für die Unterbringung der Flüchtlinge verantwortlich seien.

NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) will sofort mehr Personal zur Überwachung der Standards in Flüchtlingsheimen bereitstellen. "Wir müssen feststellen, dass wir noch mehr kontrollieren müssen, dass unsere Vertragspartner nicht alle vertraglichen Bedingungen eingehalten haben."

Das Kontrollpersonal sei bereits in der Vergangenheit deutlich aufgestockt worden. "Wir tun das jetzt noch mal mit dem klaren Auftrag, die vereinbarten Qualitätsstandards kontinuierlich kontrollieren zu können." Dass so viele Flüchtlinge nach NRW kämen, dürfe nicht dazu führen, die Standards und die Verpflichtung, eine menschliche Unterkunft zu bieten, zu vernachlässigen, sagte der Minister. "Dazu gehört auch, dass sie in den Einrichtungen geschützt sind", fügte er hinzu.

Der Minister erklärte, überwiegend hätten die Vertragspartner, darunter auch viele karitative, in den vergangenen Jahren seriöse Arbeit abgeliefert. "Aber was nicht geht, ist, dass diese Unternehmen sich Subunternehmen bedienen, deren Tätigkeit sie nicht kontrollieren, und wir anschließend feststellen müssen, dass sich unter dieses Personal auch Kriminelle gemischt haben."

Opposition attackiert Innenminister

CDU-Landeschef Armin Laschet macht auch die rot-grüne Landesregierung verantwortlich. "Die Regierung hat die Aufsichtspflicht nicht wahrgenommen wie das erforderlich wäre", sagte Laschet, der auch CDU-Bundesvize ist, am Montag vor der Sitzung des CDU-Präsidiums in Berlin. "Was diese privaten Sicherheitsdienste da machen, das erfordert jetzt eine schnelle Aufklärung."

Laschet beklagte ferner, Nordrhein-Westfalens Kommunen würden mit der Flüchtlingsbetreuung alleingelassen. So gebe es - anders als etwa in Bayern - keine komplette Kostenerstattung durch das Land.

Auch andere Spitzenpolitiker der CDU zeigten sich entsetzt über die am Sonntag bekanntgewordenen Vorfälle. Parteivize Julia Klöckner sagte, wenn das das Ergebnis von Outsourcing sei, müsse man sich ernsthaft Gedanken machen. Kanzleramtschef Peter Altmaier ergänzte: "Ich gehe davon aus, dass der Vorfall aufgeklärt wird und dass die notwendigen Konsequenzen gezogen werden."

"Die Kontrolle verloren"

FDP-Chef Christian Lindner hat NRW-Innenminister Jäger wegen der Ausschreitungen in Flüchtlingsheimen scharf angegriffen. "Der Innenminister hat offensichtlich vollständig die Kontrolle verloren", sagte Lindner unserer Redaktion. Weder würden die Menschen in höchster Not mit dem nötig Respekt behandelt noch erhielten die Kommunen und ihre Bürger hinreichende Unterstützung. Lindner: "Herr Jäger muss sich um sein Kerngeschäft kümmern."

Ihr Entsetzen über die Misshandlungen hat die Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge Pro Asyl zum Ausdruck gebracht. Offenbar habe es keinerlei Kontrolle gegeben, kritisierte Pro Asyl am Montag in Frankfurt. Flüchtlingsunterkünfte dürften kein rechtsfreier Raum sein. "Wenn in Flüchtlingslagern zwei Wochen lang durch einen privaten Sicherheitsdienst gefoltert wird, dann stimmt etwas grundsätzlich nicht", so Pro Asyl. Aus der Not der Flüchtlinge werde ein Geschäft gemacht und an Sozialarbeitern gespart.

Die Linkspartei hat ein Umdenken in der Asylpolitik gefordert. Die Vorgänge müssten ein Weckruf sein, sagte Linkspartei-Chef Bernd Riexinger dem "Handelsblatt". "Wir müssen weg von der geschlossenen Unterbringung von Flüchtlingen. Das ist inhuman und öffnet Tür und Tor für Machtmissbrauch." Die dezentrale Unterbringung von Asylsuchenden müsse der Regelfall in Deutschland werden.

Monika Düker (Grüne) kritisierte, dass bereits die festeglegten Standards hinsichtlich Fachpersonal und Raumangebot unterlaufen würden: "Die Betreuungsorganisationen bekommen gutes Geld vom Land für die Erfüllung ihrer Aufgaben, und dann müssen diese Verträge auch eingehalten werden."

(lnw)
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