Digitaler Unterricht Wie sich NRW-Lehrer gegen Schüler-Störungen bei Videokonferenzen wappnen

Düsseldorf · In Düsseldorf haben Schüler mit lauter Musik und seltsamen Geräuschen eine digitale Schulstunde gesprengt. In Wegberg wurden zudem Aufnahmen von Lehrern ins Netz gestellt. Schülerstreiche gibt es auch im Homeschooling – und manche überschreiten Grenzen. Doch man kann sich leicht schützen, sagt ein Experte.

 Computer statt Klassenraum: Ein zwölfjähriger Gymnasiast löst daheim am Bildschirm seine Schulaufgaben, die ihm seine Lehrer für jeden Tag über den Schulserver geschickt haben. (Archivbild)

Computer statt Klassenraum: Ein zwölfjähriger Gymnasiast löst daheim am Bildschirm seine Schulaufgaben, die ihm seine Lehrer für jeden Tag über den Schulserver geschickt haben. (Archivbild)

Foto: dpa/Ulrich Perrey

Das „Ich-bin-blöd“-Klebezettelchen am Rücken des Lehrers oder das Furzkissen auf dem Stuhl des Mitschülers waren gestern: Doch auch im digitalen Schulalltag haben Lehrerinnen und Lehrer mit Störern und Schülerstreichen zu kämpfen. Vieles, was möglicherweise lustig gemeint ist, stößt jedoch Kollegien und Schulleitungen zunehmend übel auf. Mancherorts wurden nach massiven Störmanövern Videokonferenzen zeitweise ausgesetzt, in Elternbriefen ist von erheblichen Persönlichkeitsverletzungen und verstörenden Vorfällen die Rede.

Kostenpflichtiger Inhalt In Düsseldorf am Benrather Annette-von-Droste-Hülshoff-Gymnasium haben einige Zehntklässler Videokonferenzen gestört. Diese sind Bestandteil des aktuell laufenden Distanzunterrichts und gehören zum Konzept des digitalen Lernens. Die Störmanöver reichten von plötzlich eingespielter lauten Musik, falschen Identitäten, und Geräusche, die wirkten, als kämen sie von Tieren oder aus einem Sexfilm.In der Schulgemeinde sorgt das für Diskussionen. Auch in einer achten Klasse soll es zu „massiven Störungen“ des Englischunterrichts „durch Musik und andere Sachen“ gekommen sein. Und am Albert-Einstein-Gymnasium in Düsseldorf haben Schüler mit einem Smartphone Teilnehmer der Videokonferenz abfotografiert, um im Anschluss vermeintlich lustige Sticker daraus zu machen.

„Videokonferenzen sind für uns ein wichtiges Angebot, aber sie bieten ein großes Potential für Unfug“, berichtet beispielsweise Axel Rotthaus, Schulleiter des Städtischen Gymnasiums Gütersloh. Wiederholt war der Einladungslink für die digitalen Unterrichtstreffen offenbar in fremde Hände gelangt, die dann die Schulstunde torpedierten, in dem sie dem Lehrer den Ton abstellten oder laute Musik einspielten. Die Konferenzen mussten mehrfach abgebrochen und zeitweise ganz ausgesetzt werden. Nach technischen Umstellungen, könnten sich nur noch eigene Schüler einwählen.

Ein weiteres Problem reißt ein Elternbrief aus Gütersloh an: „Schnell mal die Videokonferenz aufnehmen, weil ein Mitschüler oder eine Lehrkraft gerade lustig schaut?“. Ohne Zustimmung der Person, handele es sich um eine Straftat, heißt es in Reaktion auf einen Vorfall, bei dem ein solches vermeintlich witziges Filmchen im Videoportal Tiktok hochgeladen wurde.

Ähnliches erlebten auch Lehrer des Maximilian-Kolbe-Gymnasiums in Kostenpflichtiger Inhalt Wegberg. Hier klinkten sich Unbekannte in den Onlineunterricht der Mittelstufe ein, störten mit lauter Musik und obszönen Worten. Die verdatterte Reaktion der Lehrer landete im Netz. „Bei so was sieht ja jeder erstmal blöd aus. In den sozialen Medien ist es dann ein gefundenes Fressen“, sagt Schulleiterin Maj Kuchenbecker. Für ihre Kollegen sei das eine „in höchstem Maße verstörende Erfahrung“ gewesen. Kuchebecker berichtet von üblen Beleidigungen und deutlichen Persönlichkeitsverletzungen. Die Schule zog die Notbremse, stoppte vorläufig alle Videokonferenzen und will sie nun besser gegen anonyme Eindringlinge absichern.

Der Lehrer und Fachberater für Jugendmedienschutz Günter Steppich kennt das Phänomen, das derzeit bundesweit auftrete. Insbesondere bei Tiktok gebe es massenhaft Accounts, in denen Nutzer anbieten, nach Herausgabe von Zugangslinks und etwaigen Passwörtern, Digitalunterrricht zu torpedieren – und dies dann tun. Man könne sich leicht gegen diese erwartbaren Attacken schützen: „Das ist wie beim Abistreich, wenn die Absolventen mit Wasserpistole durchs Schulgebäude ziehen und die Räume verwüsten. Da kann ich als Lehrer auch entscheiden, ob ich die Tür offen lasse oder nicht“, sagt der Experte für Medienerziehung aus Hessen.

Die meisten Konferenz-Tools verfügten über Warteraum-Funktionen, mit denen Lehrer steuern könnten, wer dabei ist und wer nicht. „So etwas müssen sich allerdings im Moment die meisten Lehrkräfte selbst beibringen. Im Umgang mit digitalem Unterricht sind sie so ziemlich auf sich alleine gestellt“, sagt er. Ein Problem, denn an Unis nehme das Thema noch immer geringen Raum ein und die Vielzahl der angebotenen Plattformen sei unübersichtlich.

Zwischen Schülerstreich und Mobbing

Vielem, was den Jugendlichen an digitalen Späßen einfiele, könne man aber mit normalem pädagogischem Geschick und Gelassenheit begegnen, beruhigt Steppich. „Was nützt es, wenn ich vor laufender Webcam ausflippe und mich dann so bei Tiktok wiederfinde. Bei vielen Ideen der Schüler muss man auch einfach Humor beweisen“, sagt er. Sie entwickelten mitunter große Kreativität, um sich vor dem Unterricht zu drücken. Der eine stelle ein so geschickt geschnittenes Video von sich selbst in Dauerschleife als Hintergrund ein, dass der Lehrer gar nicht bemerke, dass er längst was anderes mache. Die andere täusche mit hochgeladenen Sanduhr-Gifs oder simulierten Ruckelbildern Netzprobleme beim Homeschooling vor. „Das sind halt pubertierende Jugendliche“, sagt Steppich.

Einig sind sich Lehrerverbände und Schülervertreter, dass der Umgang mit Störungen zum Schulalltag gehöre, gleichwohl Grenzen zu achten seien: „Die Versuchung mal ein Mikro abzudrehen ist groß, wenn das technisch geht. Aber gerade wenn sich das gegen Mitschüler richtet, ist das natürlich nicht okay, sondern Mobbing“, stellt Johanna Bögermann aus dem Vorstand Landesschüler*innenvertretung NRW klar. Darauf müssten Lehrer reagieren, sensibilisieren und notfalls eben technisch dafür sorgen, dass solche Dinge nicht passieren können.

Ähnlich bewertet auch die Nordrhein-Westfälische Schulministerin die Situation: „Schulstreiche gibt es, solange es Schulen gibt. Aber es gibt natürlich Grenzen“, teilt Yvonne Gebauer (FDP) auf Anfrage mit. Ihr Appell für den „Distanzunterricht in dieser schwierigen Pandemiezeit: „Mit schützenswerten persönlichen Daten darf kein Unfug getrieben werden. Persönlichkeitsrechte sind gerade bei Videokonferenzen zu beachten.“ Auch der virtuelle Klassenraum sei ein geschützter Raum, mahnt sie. Sie sei sich sicher, dass sich dabei alle ihrer Verantwortung bewusst seien.

(top/dpa)
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