Innenminister Reul zur Lage in NRW Kein Beleg für zunehmende häusliche Gewalt nur wegen Pandemie

Düsseldorf · Das Lagebild des Landeskriminalamts ist besorgniserregend: Die bekannt gewordenen Fälle häuslicher Gewalt haben in NRW zugenommen. Anlass für eine Aktuelle Stunde des Landtags.

 Reul sprach am Freitag im NRW-Landtag.

Reul sprach am Freitag im NRW-Landtag.

Foto: dpa/Federico Gambarini

Der Anstieg der Fallzahlen häuslicher Gewalt in Nordrhein-Westfalen lässt sich laut Innenminister Herbert Reul (CDU) nicht eindeutig auf die Auswirkungen der Pandemie zurückführen. Die Kriminalstatistik allein gebe das nicht her, sagte er am Freitag in einer Aktuellen Stunde des Düsseldorfer Landtags. Das Land sei aber beim Gewaltschutz gut aufgestellt. Seit 2017 habe die Regierung hier 12,4 Millionen Euro mehr investiert als die Vorgängerregierung - das sei ein Plus von 54 Prozent. Insofern sei die von der AfD-Opposition beantragte Aktuelle Stunde „voll daneben“.Anlass der Debatte war das jüngste Lagebild des Landeskriminalamts. Demnach ist die Zahl der bekannt gewordenen Fälle häuslicher Gewalt im vergangenen Jahr um 5,5 Prozent im Vergleich zu 2020 gestiegen.

Insgesamt wurden fast 31 000 Fälle erfasst. Die große Mehrheit der Opfer (69,1 Prozent) war weiblich. Die meisten gab es bei Fällen einfacher Körperverletzung, gefolgt von gefährlicher und schwerer Körperverletzung, Bedrohung, Misshandlung von Schutzbefohlenen und sexuellem Missbrauch von Kindern. 35 Opfer - davon 23 Frauen - starben durch Mord oder Totschlag. Diese Zahl sank im Vergleich zu 2020 um ein Fünftel. 28 190 Tatverdächtige wurden 2021 im Bereich der häuslichen Gewalt ermittelt; 76 Prozent der Täter waren Männer.

Häusliche Gewalt sei „keine Privatangelegenheit und auch kein Bagatelldelikt“, sondern strafbar, betonte Reul. „Und damit ist mein Grundsatz klar: Wer schlägt, der geht.“ Das Problem betreffe alle Bildungs- und Einkommensschichten, Altersgruppen, Religionen und Kulturen.

Die von der AfD geforderten niedrigschwelligen Hilfen gebe es in NRW aber bereits, sagte der Innenminister: „telefonisch, persönlich, rund um die Uhr kostenlos und bei Bedarf auch anonym“. Das Netz in NRW umfasse 62 Frauenberatungsstellen, 64 Frauenhäuser und 52 Fachberatungsstellen speziell gegen sexualisierte Gewalt.

Hinzu kämen zahlreiche weitere Beratungsangebote mit Schwerpunkten wie Menschenhandel, Zwangsheirat, Genitalbeschneidung, Gewalt gegen Behinderte oder gegen Männer sowie die Opferschutzbeauftragten in 47 Kreispolizeibehörden. „Fest steht: Wer Hilfe sucht, findet und bekommt sie.“

Im AfD-Antrag zur Aktuellen Stunde heißt es: „Es bedarf eines flächendeckenden Beratungsangebots für Opfer häuslicher und sexualisierter Gewalt, um die Folgen der Pandemiepolitik aufzufangen.“ Dazu bemerkte die SPD-Abgeordnete Anja Butschkau: „Eigentlich geht es der AfD um Polemik gegen die Pandemiepolitik.“ Auch Abgeordnete aller anderen Fraktionen nannten den Vorstoß unglaubwürdig und nutzlos. Das „vermottete Frauenbild“, das die AfD vermittle, sei die eigentliche Ursache für Gewalt gegen Frauen, meinte Butschkau.

CDU und SPD sehen allerdings bei zwei Punkten weiteren Handlungsbedarf: Jetzt müsse vordringlich dafür gesorgt werden, dass die vertriebenen Frauen und Kinder aus der Ukraine nicht Menschenhändlern in die Hände fielen, warnte Butschkau. Die CDU-Abgeordnete Simone Wendland sagte: „Die Zeit nach dem Frauenhaus macht mir Sorgen.“ Viele Frauen hätten danach keine Perspektiven und würden erneut Opfer von Gewalt.

Tatsächlich werde jede dritte Frau in ihrem Leben Opfer von Gewalt, stellte Grünen-Fraktionschefin Josefine Paul fest. Dazu zählten auch Bedrohungen, Beschimpfungen oder Beleidigungen - persönlich oder auch im Netz. „Jeden Tag versucht ein Partner oder Ex-Partner, eine Frau zu töten und jeden dritten Tag gelingt es.“

AfD-Vizefraktionschef Martin Vincentz appellierte an alle Opfer: „Man sollte niemals zögern, frühzeitig die Polizei einzuschalten!“ Minister Reul sagte, inzwischen gebe es auch soziale Trainingsprogramme für Täter nach dem Motto „Vorbeugen statt Draufhauen“. Besonders schlimm sei es, wenn Kinder zuhause Gewalt als Mittel der Konfliktlösung erlernten. Die FDP-Abgeordnete Susanne Schneider hob hervor, dass das Hilfe-Telefon gegen Gewalt an Männern bundesweit nachgeahmt werde. In NRW gebe es inzwischen auch Schutzwohnungen für betroffene Männer.

Die AfD-Abgeordnete Iris Dworeck-Danielowski nannte es verstörend, dass den Regierungsfraktionen trotz der steigenden Fallzahlen nichts Besseres einfalle, „als zu polemisieren und sich selber zu beweihräuchern“. Das sei ein Armutszeugnis.

(ldi/dpa)
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