„Vor nichts habe ich so viel Angst“ Feuerwehrmann muss zu Unfall des eigenen Sohnes ausrücken

Ennepetal/Düsseldorf · Als ein Feuerwehrmann zu einem Unfall in Hattingen kommt, sieht er seinen schwer verletzten Sohn auf dem Boden. Auf Facebook berichtet er anschließend über den wohl schwierigsten Einsatz seines Lebens. Damit rührt er Menschen weit über NRW hinaus.

 Bei dem Verkehrsunfall in Hattingen waren zwei Autos frontal zusammengestoßen.

Bei dem Verkehrsunfall in Hattingen waren zwei Autos frontal zusammengestoßen.

Foto: Jens Herkströter/Feuerwehr Hattingen

Die Nachricht erreicht Frank Schacht mitten in der Nacht: Verkehrsunfall, mehrere Verletzte, Personen noch im Fahrzeug. Der Feuerwehrmann zieht sich an - noch geht er von einem Einsatz aus, wie er ihn schon so erlebt hat. Doch dann klingelt das Handy seiner Frau, und ein Freund ihrer Söhne stammelt etwas von einem Unfall ins Telefon. „Von einer Sekunde auf die nächste ist nichts mehr wie sonst“, berichtet Schacht.

Der 51-Jährige ist einer von 99.000 haupt- und ehrenamtlichen Feuerwehrleuten in Nordrhein-Westfalen. Er leitet die Feuerwehr in Ennepetal, zusätzlich ist er in seinem Wohnort Hattingen in der Freiwilligen Feuerwehr. Er ist es gewohnt, mitten in der Nacht zu einem Verkehrsunfall gerufen zu werden und anderen Menschen zu helfen. Dafür wurde er ausgebildet, er hat es schon viele Male gemacht. Aber er ist auch Vater und Ehemann. „Seit Jahrzehnten habe ich vor nichts so viel Angst: Gott, lass mich niemals meine eigene Familie retten müssen.“ An diesem Sonntag tritt genau dieser Fall ein.

 Feuerwehrmann Frank Schacht.

Feuerwehrmann Frank Schacht.

Foto: Pressestelle Stadt Ennepetal

Es ist etwa 1 Uhr. Schacht setzt sich ins Einsatzfahrzeug und fährt zur Unfallstelle, sie ist nicht weit entfernt. Ihm seien viele Gedanken durch den Kopf gegangen, berichtet er später unserer Redaktion. Seine Söhne waren zu einer Geburtstagsfeier eingeladen gewesen und noch nicht wieder daheim. „Die Straße passt. Die Zeit passt“, denkt Schacht und erinnert sich an einen schweren Verkehrsunfall, bei dem der Sohn eines anderen Feuerwehrmannes starb - auch der Kollege war damals zur Unfallstelle gerufen worden.

Dann erreicht Schacht den Einsatzort. Einer seiner Söhne liegt verletzt auf dem Boden, neben ihm kniet die Freundin des 18-Jährigen. Dem Vater stockt der Atem. „Ich bin hingegangen und habe ihm gesagt: ‚Ich bin da’.“ Dann wird aus ihm wieder der Feuerwehrmann. Er verschafft sich einen Überblick. Zwei Autos sind frontal zusammengestoßen, mehrere Personen wurden verletzt. Nach und nach treffen weitere Feuerwehrleute, Polizisten und Ärzte ein. Auch die Einsatzleitung kommt - und schickt Schacht weg.

„Das ist in einer solchen Situation absolut notwendig“, sagt Christoph Schöneborn, Landesgeschäftsführer des NRW-Feuerwehrverbandes. Wenn Einsatzkräfte von einem Ereignis persönlich betroffen seien, würden sie direkt abgezogen. „Sie können sich nicht mehr auf den Einsatz konzentrieren, wenn zum Beispiel ein Angehöriger bei einem Verkehrsunfall verletzt wurde. Wir sind schließlich keine Maschinen, sondern auch nur Menschen.“ Deshalb werde ihnen sofort ein speziell geschulter Kollege zur Seite gestellt, der sich um sie kümmere, später könne auch ein Notfallseelsorger hinzugezogen werden. „Wir lassen niemanden allein.“ Solche Fälle kämen angesichts von zuletzt etwa 650.000 Unfällen in einem Jahr immer wieder vor - erst recht, wenn jemand als Feuerwehrmann dort im Einsatz sei, wo er wohne. So wie Schacht.

Er hat schon einige Male ein Unfallopfer, um das er sich kümmerte, gekannt. Aber jetzt ist es sein Sohn, und Schacht darf nicht eingreifen. Der 51-Jährige weiß, dass die Einsatzleitung „das einzig Richtige“ gemacht hat, als sie ihn wegbringen ließ. Es hilft ihm auch, dass er die Kollegen kennt und weiß, was sie können. Dennoch: „Nicht einzugreifen ist unerträglich.“

Die Verletzten werden auf umliegende Krankenhäuser verteilt. Niemand ist in Lebensgefahr, aber sein Sohn ist schwer verletzt. „Den Rest der Nacht verbringen wir in der Notaufnahme und auf der Intensivstation“, berichtet Schacht später. Aber es scheint glimpflich ausgegangen zu sein - für seinen Sohn und auch für die anderen. „Da waren eine Menge Schutzengel im Spiel.“

Am Abend schreibt er auf seiner Facebook-Seite über den Unfall seines Sohnes. Solche Einsätze habe er bisher immer nur als Feuerwehrmann erlebt, aber nie als Betroffener - deshalb wolle er Danke sagen dafür, wie professionell seine Kollegen gearbeitet hätten. „Egal in welcher Uniform: es sind großartige Menschen, die Dienst am Nächsten leisten“, schreibt Schacht auf Facebook. „Wir können uns auf unser Hilfeleistungssystem verlassen.“

Damit berührt er viele Menschen. Schacht bekommt Nachrichten aus ganz Deutschland, sie wünschen seinem Sohn alles Gute, viele danken den Einsatzkräften für ihre Arbeit. Jemand schreibt: „Ich bin die Frau eines Feuerwehrmannes, ich kenne das Gefühl, wenn nachts der Pieper geht.“ Ein Feuerwehrmann aus Düsseldorf schreibt an Schacht: „Ich weiß, was Du meinst.“ Seine Frau habe nach einem Unfall aus einem Fahrzeug befreit werden müssen. „Wenn es die eigenen Angehörigen trifft, ist es eine völlig neue Situation.“

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