Verdacht des Steuerbetrugs Razzia bei 72 Bauernhöfen am Niederrhein

Geldern/Kleve · Steuerbetrug in Millionenhöhe vermutet die Staatsanwaltschaft bei Schweinezüchtern am Niederrhein. Sie sollen sich über ihren Vermarktungsverein einen illegalen Vorteil verschafft haben.

 Geht bei der Schweinezucht in NRW etwas nicht mit rechten Dingen zu? (Symbolfoto)

Geht bei der Schweinezucht in NRW etwas nicht mit rechten Dingen zu? (Symbolfoto)

Foto: dpa, msc tba

Die Staatsanwaltschaft Kleve hat 72 Bauernhöfe am Niederrhein durchsucht, weil sie ihnen und der Schweinevermarktung Rheinland e.V. "bandenmäßige Steuerhinterziehung" unterstellt. Dies erfuhr unsere Redaktion aus informierten Kreisen. Die Staatsanwaltschaft Bonn und die Erzeugergemeinschaft, die 550 Bauern als Mitglieder hat, bestätigen den Vorgang. "Wir gehen von vorgetäuschtem Zwischenhandel mit Tieren aus", erklärt Oberstaatsanwalt Günter Neifer. "Um dies zu überprüfen, haben wir Unterlagen bei mehreren Privatpersonen und in einer Reihe an Büros beschlagnahmt." Es gehe um mögliche Steuerschäden in Höhe von einigen Millionen Euro.

Auch bei den drei Geschäftsführern des Vereins wurden Privaträume und Büros durchsucht. Das berichten Insider. "Wir unterstützen die Aufklärung des Sachverhaltes uneingeschränkt", erklärt einer der Geschäftsführer gegenüber unserer Redaktion auf Anfrage. "Zum laufenden Verfahren wollen wir uns nicht äußern, sehen uns aber als unschuldig an."

"Die Telefone laufen heiß"

Für Aufregung sorgt die Razzia auch beim Rheinischen Bauernverband in Bonn. "Die Telefone laufen heiß", sagt eine Mitarbeiterin. "ähnliche Ermittlungen könnten auch anderen Bauern und Vermarktungsfirmen drohen."

Denn die Staatsanwaltschaft legt die Axt an ein umstrittenes Geschäftsmodell: Bauern, die ihre Ferkel an einen Mäster verkaufen, müssen auf den Preis in der Regel pauschal 10,7 Prozent Mehrwertsteuer aufschlagen. Diesen Aufpreis dürfen sie dann gemäß einer Sonderregel behalten, wogegen die Käufer die Mehrwertsteuer dann vom Fiskus erstattet bekommen.

Auch in Westfalen läuft ein Verfahren

Die Züchter am Niederrhein verkaufen ihre Ferkel aber zuerst an ihre eigene Vermarktungsfirma, die das Tier dann mit dem für lebende Tiere vorgesehenen Mehrwertsteuersatz von nur sieben Prozent (zuzüglich Frachtkosten und Gebühren) an den Mäster oder andere Käufer weitergeben: Als Ergebnis macht die Firma einen Sondergewinn: Sie erhält den bezahlten Mehrwertsteueraufschlag von 10,7 Prozent vom Staat zurück, muss aber nur sieben Prozent aufschlagen - dies erlaubt rein kalkulatorisch 3,7 Prozent zusätzlicher Gewinnmarge. "Die Vermarkungsfirma findet den Aufschlag angemessen, um ihre Arbeit zu finanzieren", erklärt dazu Ralf Stephany, Geschäftsführer der auf Landwirte spezialisierten Steuerberatungsfirma Parta aus Bonn, "die Staatsanwälte sehen den Verkauf über die Schweinevermarktung als eine Art Scheingeschäft an."

Damit ist auch klar, warum der Streit um die steuerliche Behandlung des Schweinehandels zu Razzien führte. "Die Justiz will nun wohl anhand der Unterlagen herausfinden, ob die Bauern ihre Tiere doch in Wahrheit selbst vermarkten" meint ein Kenner des Verfahrens. "Das lässt sich aus den Steuerunterlagen der Bauern und der Vermarktungsfirma selber nicht erkennen."

Wie schwierig das Thema ist, zeigt eine ähnliche Untersuchung in Westfalen. Da wurden Büros und Bauernhöfe bereits Anfang vergangenen Jahres durchsucht - das Verfahren läuft noch.

Dabei ist in der EU sowieso umstritten, dass deutsche Bauern Mehrwertsteuer kassieren dürfen, ohne diese an den Staat abgeben zu müssen. Die französischen Bauern kritisieren dies als heimliche Subvention, aber die EU hat die Regel akzeptiert. Ein Grund: Zumindest kleinere deutsche Bauern erhalten beim Kauf von Maschinen oder Futter die gezahlte Mehrwertsteuer in der Regel nicht erstattet.

(RP)
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