Mutmaßliche Hochstaplerin Wie eine Frau aus NRW sich ein Luxus-Leben in New York erschlich

New York · Mit einer Kombination aus selbstsicherem Auftreten, dreisten Lügen und gefälschten Dokumenten soll eine Deutsche sich in New York ein luxuriöses Leben ermogelt haben. Jetzt steht Anna Sorokin vor Gericht. Ihr droht lange Haft - und die Abschiebung nach Deutschland.

Anna Sorokin vor einem New Yorker Gericht (Archivfoto).

Anna Sorokin vor einem New Yorker Gericht (Archivfoto).

Foto: AP/Richard Drew

Abendessen für Tausende Dollar, Privatjets, Urlaub in einer Villa in Marokko für 7000 Dollar pro Nacht. Glaubt man Berichten über den Lebensstil von Anna Sorokin, könnte man sie - wie sie selbst wohl behauptete - für eine schwerreiche Erbin mit Treuhandfonds im Rücken halten. Aber die Lebensgeschichte der Deutschen steckte Ermittlern zufolge voller Lügen, mit denen sie das Vertrauen der New Yorker High Society gewann und ihre Opfer um mehr als eine Viertelmillion Dollar (etwa 240.000 Euro) betrogen haben soll. Ab dem heutigen Mittwoch steht die mutmaßliche Hochstaplerin vor Gericht.

Die Geschichte der 28-jährigen Anna Sorokin, die das „New York Magazine“ im Mai 2018 aufdeckte, liest sich wie das Abschlusskapitel im Meisterkurs für Trickbetrüger. Mit einer Kombination aus Lügen, selbstsicherem Auftreten, gefälschten Dokumenten und Ausreden soll sie Bekannte, Hotels, Restaurants und Banken reihenweise hinters Licht geführt haben. Sorokin wurde in Russland geboren, zog 2007 im Alter von 16 Jahren mit ihren Eltern und ihrem jüngeren Bruder nach Deutschland und ging in Eschweiler in der Nähe von Aachen zur Schule.

Obwohl die Familie in eher bescheidenen Verhältnissen lebte, galt sie nach außen hin dennoch als überdurchschnittlich gut betucht. Das zumindest geben zwei ehemalige Mitschüler im Interview mit der „Aachener Zeitung“ an. An mehrere Millionen wollen aber beide nicht so recht glauben. In der Schule sei Anna Sorokin nicht besonders motiviert gewesen. „Auffällig ruhig. Gegenüber Lehrern und auch gegenüber ihren Mitschülern“, erinnert sich ein Klassenkamerad, der sie aber nicht besonders gut gekannt haben will.

„Ich habe sie immer sehr für ihre Intelligenz bewundert“, erinnert sich eine ehemalige Klassenkameradin, die bis vor wenigen Jahren noch regelmäßig Kontakt zu ihr hatte. Sorokin soll sprachbegabt gewesen sein und trotz russischer Wurzeln gut Deutsch gesprochen haben.

„Sie hatte ein engelhaftes Gesicht mit blauen Augen und Schmollmund“, schreibt Fotoredakteurin Rachel Deloache Williams vom Magazin „Vanity Fair“, die Sorokin um 62.000 Dollar (55.000 Euro) betrogen haben soll. Ihr Kleidungsstil war ein zusammengewürfelter Mix aus Designerstücken, die für Mitglieder der New Yorker Luxusszene zum kleinen Einmaleins gehören, und die Sorokin teilweise trug wie Billigware. Gerade dieses „schlampige“ Aussehen habe die junge Frau wirken lassen, als sei sie wirklich reich, urteilte die Website „Vice News“. Sorokin trat unter dem Pseudonym Anna Delvey auf.

Niemand wusste offenbar, woher diese rothaarige Anna kam oder woher sie all das Bargeld hatte, mit dem sie neue Bekannte zu teuren Esssen einlud. Sie schien geschickt darin, sich mit den richtigen Leuten an den richtigen Orten zu umgeben. „Treuhandfonds-Kids rennen überall herum. Jeder ist dein bester Freund und du weißt über niemanden etwas wirklich“, sagte Marketing-Experte Tommy Saleh, der Sorokin 2013 in Paris während der Modewoche kennenlernte. Auf Kunstmessen und in Galerien mischte sie sich unters Volk. „Nachmittags-Bellini“, schrieb sie etwa von der Biennale in Venedig 2015.

Der Haken war nur: Anna Delvey gab es nicht, und Anna Sorokin zahlte ihre Rechnungen nicht. Laut Staatsanwaltschaft fälschte sie Schecks, beglich Schulden nicht und legte bei Banken gefälschte Unterlagen vor, um etwa einen Kredit über 22 Millionen Dollar (20 Millionen Euro) zu sichern. Darin gab sie demnach an, im Ausland über mindestens 60 Millionen Euro zu verfügen. Sie sprach davon, einen privaten Club mit Filialen in Los Angeles, London, Hong Kong und Dubai öffnen zu wollen. Zur Höchstform ihrer Trickserei lief Sorokin laut Ermittlern zwischen November 2016 und August 2017 auf.

Sie habe oft von der großen weiten Welt geschwärmt, erinnert sich die Schulfreundin. „Es war klar, dass sie nicht in der Region Aachen bleiben, sondern in den großen Metropolen leben würde.“ Auch sei Anna Sorokin immer offen und ehrlich gewesen. „Ich kann mir beim besten Willen nicht erklären, wie der Mensch, an den ich mich erinnere, mit der Frau zusammenpassen soll, die jetzt in den amerikanischen Medien beschrieben wird“, sagt die ehemalige Schulfreundin. Vielleicht habe Anna die Realität aus den Augen verloren; bei ihrem Praktikum in Paris soll sie Models und Shootings für Fashion-Weeks in der ganzen Welt organisiert haben. Zumindest habe Sorokin das erzählt. „Wenn man immer mit reichen und berühmten Menschen Zeit verbringt, verliert man vielleicht den Bezug zum Geld, den Boden unter den Füßen.“

Inzwischen sitzt sie im berüchtigten New Yorker Gefängnis Rikers Island ein, am Mittwoch sollte mit den Eröffnungsplädoyers ihr Strafprozess beginnen. Ihr wird mehrfacher schwerer Diebstahl vorgeworfen, im Fall einer Verurteilung droht ihr eine jahrelange Haftstrafe. Unabhängig vom Urteil könnte sie nach Deutschland abgeschoben werden, da sie ihr 90 Tage gültiges Visum für die USA nach Angaben der Polizeibehörde ICE bereits überzogen hat.

Ob Sorokin Reue spürt? Sicher habe sie einige Dinge falsch gemacht, sagte sie dem „New York Magazine“ - „das mindert aber nicht die hundert Dinge, die ich richtig gemacht habe“. Der spektakuläre Fall hat längst das Interesse Hollywoods geweckt: TV-Produzentin Shonda Rhimes („Grey's Anatomy“) will die Geschichte für Netflix in eine Serie verwandeln, parallel ist ein Titel mit Jennifer Lawrence oder Margot Robbie als Sorokin in der Hauptrolle im Gespräch.

Womöglich waren die Monate in der High Society nicht ihr letzter Streich: Laut „Variety“ hat Sorokin aus dem Gefängnis selbst Kontakt nach Hollywood, um mit darüber zu entscheiden, wer ihre Rolle spielt. Ihr gehe es darum, auch während ihrer Strafe im Gespräch zu bleiben. Die Website „Mashable“ glaubt: „Es war sicher nicht das letzte Mal, dass wir von der schwer fassbaren Anna Delvey hören, und womöglich war dies ihr größter Betrug überhaupt.“

(dpa)
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