Nachrufe auf Menschen in NRW Neun von 14.800 Corona-Toten

Auch in Nordrhein-Westfalen sind die Totenzahlen der Pandemie erschütternd hoch. Bis Mitte April sind mehr als 14.000 Menschen gestorben. Anlässlich des bundesweiten Corona-Gedenkens an diesem Sonntag erinnern wir an neun Menschen, die eine Lücke in ihren Familien hinterlassen.

 Mit einer Kerze im Fenster wird der Corona-Toten gedacht.

Mit einer Kerze im Fenster wird der Corona-Toten gedacht.

Foto: dpa/Fabian Strauch

Schwester Gunthildis, Mönchengladbach, 8. November 2020

 Schwester Gunthildis

Schwester Gunthildis

Foto: Kloster Neuwerk

Zwei Monate vor ihrem Tod hatte Schwester Gunthildis noch ihren 90. Geburtstag in der katholischen Ordensgemeinschaft der Salvatorianerinnen im Kloster Neuwerk gefeiert. Wegen der Pandemie waren nur wenige Gäste gekommen, dennoch wurde es ein Tag mit vielen Erinnerungen. „Wir haben uns zusammen Fotos auf einem Laptop angesehen“, berichtet Oberin Esther Strauß. Schwester Gunthildis hatte die Ferien immer bei ihren Geschwistern verbracht, zu denen sie stets Kontakt hielt.

Geboren wurde sie am 30. August 1930 in Schönwald/Oberschlesien. Damals hieß sie noch Maria Gillner. Bis zum Kriegsbeginn erlebte sie eine sorglose und glückliche Kindheit, wie sie immer sagte. Aber auch schreckliche Ereignisse prägten ihre Erinnerungen: die Verfolgung der Juden, die eigene Flucht aus der Heimat.

1950 entschloss sich Maria Gillner, die bis dahin auf der Suche nach dem eigenen Lebensweg war, in ein Kloster einzutreten. Zwei Jahre später wurde sie einge­kleidet und erhielt den Namen Schwester Gunthildis. Über Berlin und Köln kam sie 1963 nach Mönchengladbach an den Niederrhein.

Als ausgebildete Medizinisch-Technische Assistentin (MTA) arbeitete sie dort im Krankenhaus Neuwerk, viele Jahre lang leitete sie das Labor. Nachdem ihre Arbeit dort offiziell beendet war, war sie noch in der Krankenhaus-Bibliothek tätig und blieb so weiterhin in Kontakt mit den Klinikmitarbeitern und auch vielen Patienten.

In das Krankenhaus, das den Großteil ihres beruflichen Lebens bestimmte, wurde sie zwei Monate nach ihrem Geburtstag verlegt, weil es ihr immer schlechter ging. „Auch wenn sie im Alter an zunehmender Gedächtnisschwäche litt, so war sie doch bis zum Schluss ein liebenswerter Mensch“, sagt Schwester Esther, die selbst eine Infektion mit dem Corona­virus überstanden hat. Kostenpflichtiger Inhalt Die ganze Geschichte lesen Sie hier.

Alberto Vila, Willich, 7. Januar 2021

Mit Rückenschmerzen wurde Alberto Vila am 14. Dezember 2020 ins Krankenhaus eingeliefert, zwei Tage nach seinem 89. Geburtstag. Dass ihr Mann an einer Corona-Infektion sterben könnte, damit hatte seine Frau Christa (86) aus Willich nicht gerechnet. Wirbelbruch, lautete die Diagnose nach der Einweisung. Die Operation verlief gut, es brauche vier, fünf Tage, schätzten die Ärzte, dann könnte der Patient schon wieder nach Hause.

 Alberto Vila

Alberto Vila

Foto: Birgitta Ronge

Das war an einem Montag. Am Freitag benachrichtigte das Krankenhaus Christa Vila, dass ihr Mann mit dem Corona­virus infiziert sei. Er wurde in ein Einzelzimmer verlegt, durfte keinen Besuch mehr empfangen. Erst zwei Wochen später wurde ihr zum ersten Mal erlaubt, ihn wiederzusehen.

Dann bekam Alberto Vila eine Lungen­entzündung, wurde schwächer und schwächer. Am 7. Januar 2021 verlor er den Kampf gegen das Virus. „Ich vermisse ihn überall“, sagt die Witwe. „Wir haben immer alles zusammen gemacht.“

1963 hatte sich das Paar kennengelernt. 1960 war Alberto Vila aus Spanien nach Deutschland gekommen. Er fand einen Arbeitsplatz in einem Krefelder Unternehmen für Textilausrüstung, und als Christa, die damals Französisch an einem Dolmetscherinstitut lernte, über ein Inserat in der Rheinischen Post einen Konversationspartner suchte, da meldete Vila sich.

Bald gingen sie auch zusammen ins Kino und zum Tanzen. 1965 fuhren Alberto und Christa gemeinsam in Urlaub, 1966 verlobten sie sich, ein Jahr später heirateten die beiden daheim in Willich. 1969 kam ein Sohn auf die Welt, 1976 eine Tochter. Das Paar reiste viel und tanzte oft gemeinsam: „Alberto liebte Musik, und viele seiner Freunde waren Musiker“, erzählt Christa Vila. Sie liebte seine Offenheit, sein Interesse an so vielen Dingen, seine Lebensfreude: „Alberto war nie langweilig.“

Ahmet Dogan, Hückelhoven, 29. Oktober 2020

Er war ein ganz besonderes Kind, ein Geschenk Gottes, sagen seine Eltern Ayten und Tuncay Dogan. Kurz vor seinem 15. Geburtstag starb ihr Sohn Ahmet an den Folgen seiner Covid-19-Erkrankung im Rheydter Elisabeth-Krankenhaus. Als bislang einziger minderjähriger Corona-­Toter im Landkreis Heinsberg erlangte er traurige Berühmtheit.

Ahmet war ein Geschenk, und er hatte viel zu geben. „Alle kannten ihn“, sagt seine Mutter Ayten, „und alle mochten ihn gern.“ Vor rund drei Monaten ging es dem türkischen Jungen, der mit seinen Eltern und seinen beiden Schwestern Zümra (drei Jahre) und Berra (acht Jahre) in der alten Hückelhovener Bergmannssiedlung lebte, plötzlich schlechter. Ahmet litt an schwerer Epilepsie, hatte also eine Vorerkrankung. Im Alter von vier Monaten hatte seine geistige Entwicklung aufgehört.

 Ahmet Dogan

Ahmet Dogan

Foto: Tuncay Dogan

Als es dem Jungen akut schlechter ging, brachten seine Eltern Ahmet ins Elisabeth-Krankenhaus. Das Atmen fiel ihm zunehmend schwer. Die Diagnose: Lungenentzündung. Der Corona-Test fiel positiv aus, auch bei Mutter Ayten, die nicht mehr von der Seite ihres Sohnes wich und mit ihm ein isoliertes Krankenzimmer in der Rheydter Klinik bezog. Dort starb der junge Hückelhovener Ende Oktober.

Ayten Dogan erzählt, dass sie ihrem Sohn in den letzten Tagen und Stunden aus dem Koran vorgelesen hat, da hatte er das Bewusstsein schon verloren. Die gelernte Rettungsassistentin habe seine Stirn gestreichelt. „Du willst gehen, du darfst gehen“, habe sie ihm zugeflüstert. Ahmets Puls sei auf 250 gestiegen. „Dann ist unser Kind friedlich eingeschlafen“, sagt Ayten Dogan.

Obwohl Ahmet unheilbar krank gewesen sei, habe er immer so viel Lebensfreude ausgestrahlt, erinnert sich Tuncay Dogan. Vielleicht weil er auch so viel geschenkt bekam. Die Eltern sind überzeugt: „Unser Ahmet hat gespürt, wie sehr er geliebt wurde.“

Wolfgang Sause, Remscheid, 6. Januar 2021

Nach dem Arbeitsleben zusammen auf ausgedehnte Reisen gehen: Diesen Traum vieler Ehepaare haben sich Helgard und Wolfgang Sause erfüllt. Als der Studien­direktor am Lenneper Röntgen-Gymnasium 2004 in den Ruhestand ging, beendete er nach 45 Jahren in der Kommunalpolitik auch seine politische Karriere in der CDU.

Fast 30 Jahre gehörte er dem Stadtrat an, war zudem Bezirksbürgermeister in Lennep und erster Vertreter des Bürgermeisters. Er habe keiner von der Sorte sein wollen, die nicht aufhören kann, berichtet Helgard Sause. Gemeinsam brachen die beiden nun jedes Jahr zu großen Reisen auf, die sie nach und nach um die ganze Welt führten. Das Paar ging regelmäßig Golf spielen und zweimal in der Woche zum Fitnesstraining.

Die Winter verbrachten sie nicht im Bergischen Land, sondern auf ­Teneriffa. Wegen der Pandemie verzichtete das Ehepaar 2020 aufs Reisen. Und beide infizierten sich mit dem Virus und erkrankten. Helgard Sause erholte sich wieder, ihr Mann dagegen starb am 6. Januar im Alter von 81 Jahren an den Folgen von Covid-19. Daraus machte seine Frau kein Geheimnis. Wolfgang Sause gab der Krankheit und deren möglichen tragischen Folgen damit in Remscheid erstmals ein Gesicht.

 Wolfgang Sause

Wolfgang Sause

Foto: Körschgen, Jürgen (jko)

Wegen der Pandemie verzichtete die Stadt Remscheid darauf, im Rathaus ein Kondolenzbuch für ihren langjährigen Bürgermeister auszulegen. Stattdessen steht seit dem 11. Januar ein virtuelles Kondolenzbuch im kommunalen Internetportal. Bürger, Freunde, politische Wegbegleiter und ehemalige Schüler haben die Gelegenheit genutzt und sich dort eingetragen.

Der längste Eintrag stammt von einem politischen Kontrahenten, dem langjährigen Fraktionschef der SPD, Hans Peter Meinecke. Remscheid, schreibt er dort, habe „einen großen und wichtigen Menschen verloren“.

Manfred „Manni“ Faber, Krefeld, 16. Februar 2021

Manfred „Manni“ Faber war ein Kerl wie ein Baum, eine Erscheinung, die Respekt einflößte. Sein Handschlag war nichts für Zartbesaitete. 177 Kämpfe bestritt der Boxer, 136 beendete er vorzeitig, bei 86 davon schickte er seinen Gegner durch seinen Spezialschlag, einen Leberhaken, auf die Bretter. Manchmal war er ein bisschen laut, bisweilen polternd, aber immer geradlinig. Als Trainer machte er Derya Saki und Magdalena Dalecki zu Weltmeisterinnen im Frauenboxen.

Am 16. Februar ist Faber gestorben – im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Coronavirus. Das hatte seine Schwester bestätigt, weil sie die Nachricht als eindringliche Warnung verstanden wissen will für all diejenigen, die die Erkrankung noch immer als harmlos abtun oder gar leugnen.

Corona-Gedenken: Nachrufe auf Menschen aus NRW - 9 von 14.800
Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Faber hatte sich mit der südafrikanischen Variante des Virus infiziert und zunächst über Symptome wie die einer Bronchitis oder einer starken Grippe geklagt. Als diese schlimmer wurden, kam er ins Krankenhaus. Dort sei sein Zustand rapide schlechter geworden, führte schließlich zu einem multiplen Organversagen.

Neben seinem Sport hatte der leidenschaftliche Fahrer einer Harley-Davidson auch weiche Seiten. Schon als Kind lernte er Gitarre zu spielen, komponierte und brachte 2017 eine CD heraus: „Mit Sand in der Seele“ heißt sie, wie einer seiner Songs. Die Lieder spielte er auch bei Kleinkunstveranstaltungen, zu der er in seine eigene Boxhalle einlud. Die liegt in einem Problemviertel von Krefeld, und dort bot er Seminare für Kinder an, in denen sie neben Boxen auch Prinzipien wie Respekt, Fairness sowie ihre Grenzen kennenlernen durften: ihre eigenen und die der anderen.

Sein letzter Kampf im Leben – der gegen das Coronavirus – war sehr kurz und ging nur über wenige Runden. Manni Faber wurde 58 Jahre alt.

Heinz Boskamp, Kleve, 12. Dezember 2020

Heinz Boskamp fehlt. Seiner Frau, seinen Kindern, der Klever Politik, den Sozialdemokraten. Den Menschen, deren Bedürfnisse er beharrlich in die Ausschüsse und den Rat trug, wo er als SPD-Ratsmitglied daran erinnerte, dass eine Stadt barrierefrei zu sein hat und alte und behinderte Menschen nicht vergessen darf.

Heinz Boskamp starb im Alter von 73 Jahren an und mit Covid-19, plötzlich und unerwartet am 12. Dezember in Kleve, in seinem Zuhause. Wie andere Mitglieder der Klever SPD hatte er sich mit dem Virus infiziert. Doch bei ihm verschlechterte sich der Gesundheitszustand zusehends.

 Heinz Boskamp

Heinz Boskamp

Foto: Markus van Offern (mvo)

Heinz Boskamp arbeitete 43 Jahre lang beim Klever Kinderschuhhersteller Elefanten, war zuletzt vor seiner Rente als Kontrolleur für die Qualitätsprüfung der beliebten Kinderschuhe zuständig. Er engagierte sich im Deutschen Gewerkschaftsbund, in der IG BCE, der Gewerkschaft Leder, und natürlich im Elefanten-Betriebsrat. In der SPD war er Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft AG 60 plus und leitete souverän in der vergangenen Ratsperiode den Generationen-Beirat der Stadt.

Auch seinen politischen Mitstreitern in Kleve fehlt Boskamp. „Er hat sich für eine sozial gerechte Gesellschaft engagiert, in der die unterschiedlich orientierten Generationen fair zusammenleben und ihren entsprechenden Anteil haben. Der Ortsverein und die Ratsfraktion der Klever SPD werden Heinz Boskamp stets ein ehrendes Gedenken bewahren“, sagt Christian Nitsch, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Klever Rat

„Mein Mann hat sich immer für die Menschen eingesetzt“, sagt Maria Boskamp, seine Frau. Sie war immer dabei, beobachtete die Ratssitzungen, begleitete ihn auf allen Wegen im gemeinsamen Leben. Sie waren stets im Doppelpack unterwegs, wie sie sagt. Heinz Boskamp fehlt.

Gerard Verhülsdonk, Goch, 21. Januar 2021

Gerard Verhülsdonk war in der Nachbarschaft beliebt, half gerne, wenn ein Handwerker gefragt war. Auch als Witwer führte der frühere Facharbeiter seinen Haushalt noch weitgehend selbstständig. Am 18. Januar ist der 89-Jährige, der so gerne in diesem Jahr mit der Familie seinen 90. gefeiert hätte, gestorben. Schnell und unerwartet und doch in dem Bewusstsein, alles noch selbst geregelt zu haben, wie es zeitlebens seine Art war.

 Gerard Verhülsdonk

Gerard Verhülsdonk

Foto: H. Meuskens

„Er hatte eine Patientenverfügung, wollte keine lebensverlängernden Maßnahmen, also auch keine Beatmung“, erzählt Schwiegersohn Heinz Meuskens. Gerade einmal drei Tage sei der rüstige Rentner, der körperlich und geistig gut dabei gewesen sei, krank gewesen, dann starb er, am 21. Januar. An Covid-19, wie die Ärzte sagten; der Test bei der Aufnahme ins Krankenhaus war eindeutig, die schnell festgestellten Schäden an beiden Lungenflügeln auch. „Wir wollten an jenem Tag noch mit ihm frühstücken und ihn dann zum Zahnarzt begleiten. Aber er war an dem Morgen nicht wie sonst, da haben wir ihn gleich ins Kevelaerer Marienhospital gebracht.“ Zweimal konnten Tochter Marita und ihr Mann Heinz Meuskens noch mit dem Vater telefonieren, ein Abschied von Angesicht zu Angesicht war der Familie nicht mehr möglich. Zudem hatten sich beide bei ihm angesteckt, der Schwiegersohn entging selbst nur knapp einer stationären Behandlung im Krankenhaus.

„Ich werde seine Erzählungen vermissen, er hatte so viel im Leben mitgemacht“, sagt Meuskens. Kinderarbeit auf den Feldern hat Gerard Verhülsdonk gekannt, die Schule in den Kriegs- und Nachkriegsjahren selten gesehen, eine Bäckerlehre gemacht, aber auf eine Tätigkeit in der Industrie umgesattelt, weil das für die Familie mehr Geld brachte. Er war ein starker Typ, sagen seine Angehörigen, gegen das Virus aber konnte er sich nicht durchsetzen.

Erna Pohle, Straelen, 24. Oktober 2020

Eine klassische Ostpreußin war sie, „eine genügsame, robuste und zähe Person“, sagt Wolfgang Pohle aus Straelen über seine Mutter Erna, die am 24. Oktober mit 98 Jahren starb. „Mit Corona, nicht an Corona“, betont der 71-Jährige. Sie sei vorher schon sehr krank gewesen, geistig fit zwar, aber eben mit den Gebrechen des hohen Alters auf den Rollstuhl angewiesen.

In den letzten Lebensmonaten baute sie nach mehreren Operationen rapide ab. Der Herzschrittmacher, der ihr zwei Jahre zuvor das Leben gerettet hatte, machte ihr schließlich das Sterben schwer. Früher sei sie widerstandsfähig gewesen. Sehr verlässlich, herzensgut und mit trockenem Humor, nennt der Sohn weitere Eigenschaften seiner Mutter.

Sie sei immer für die Familie da gewesen, für den Mann und die zwei Söhne. Bis ihr Ehemann vor 17 Jahren starb, habe sie eher im zweiten Glied gestanden. Nach dem Bauernhof in Ostpreußen verspürte sie keine Sehnsucht. „Heimat ist ihr eher das Sauerland gewesen“, sagt Wolfgang Pohle. Dort lebte sie nach der Flucht rund 40 Jahre lang. Dann zog sie mit der Familie um – erst nach Bayern, später nach Norddeutschland und dann an den Niederrhein. „Sie hat überall neue Freunde gefunden.“

 Erna Pohle

Erna Pohle

Foto: Pohle

Trotz der vielen Umzüge bezeichnet Wolfgang Pohle seine Mutter auch als bodenständig. Wo auch immer sie war, stand für sie die Familie an erster Stelle. Die Familie, die sich wegen der Kontakt- und Quarantänebeschränkungen der Corona-Pandemie eben nicht mehr so intensiv begegnen konnte wie in den Jahrzehnten zuvor.

Am Ende konnten Mutter und Sohn nicht mehr Abschied nehmen voneinander, dem Angehörigen blieb der Zugang ins Pflegeheim wegen der Corona-­Schutzmaßnahmen verwehrt. Die Beerdigung fand erst sechs Wochen nach Erna Pohles Tod im engsten Familienkreis statt.

Marlene Glasmacher, Neuss, 17. Dezember 2020

Seit April lebte Marlene Glasmacher in freiwilliger Isolation, umsorgt nur von zweien ihrer vier Kinder. Die versuchten alles, um ihre 89-jährige Mutter vor dem Coronavirus zu schützen – und waren es möglicherweise selbst, die den Erreger übertrugen. Eine Woche nach dem ersten positiven Corona-Schnelltest starb die Neusserin im Krankenhaus. „Ich hatte schon vorher wenig Verständnis für Leute, die diese Krankheit auf die leichte Schulter nehmen“, sagt ihre Tochter Susanne. „Mit dieser Erfahrung verstehe ich sie noch weniger.“

Marlene Glasmachers Leben hatte sich mit fortschreitendem Alter in immer kleineren Kreisen bewegt. Das Herz war ihr kritischer Punkt, ja. Aber das war nicht lebensgefährlich. Ohne Corona wären ihr vielleicht noch ein paar Lebensjahre geschenkt worden, in ihrer eigenen Wohnung und damit in der Nähe ihrer Familie, ihrer Musik – und ihrer Bücher.

Die Freude an der Literatur hatte eine Lehrerin der Mädchenschule auf der Furth in ihr geweckt. Die hatte den Ehrgeiz, die ihr anvertrauten Mädchen so zu bilden, dass man ihnen nicht anmerkte, dass sie „nur“ die Volksschule besucht hatten.

 Marlene Glasmacher und ein Urenkel.

Marlene Glasmacher und ein Urenkel.

Foto: Familie Glasmacher

Marlene Glasmacher, geborene Breuer, war das dritte von fünf Kindern. Ihr Vater: Eisenbahner. Das hatte zur Folge, dass die Familie schon zur Sommerfrische in die Berge fuhr, als andere das Wort Urlaub noch nicht kannten. Ausgebombt wurden die Breuers im Krieg zwar, sie überlebten aber alle.

Nach Schule und Pflichtjahr absolvierte Marlene in einem Ledergroßhandel eine kaufmännische Ausbildung, wechselte zu einer Spedition und lernte dort ihren Ehemann Christian kennen; einen Schlosser, der sich bis zum Techniker weiterqualifizierte, ein Musiker überdies – und ihre große Liebe. Sie gründeten eine Familie: Die Kinder, die Enkel und Urenkel waren für sie das große Glück.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel wurde erstmals im Februar 2021 veröffentlicht. Anlässlich des bundesweiten Gedenens an die Opfer der Corona-Pandemie an diesem Sonntag (18. April 2021) bieten wir ihn noch einmal zum Lesen auf RP ONLINE an.

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