NRW Nachhilfe — eine Fünf für Schulen

NRW · Rund 2,3 Millionen Schüler bekommen heute in Nordrhein-Westfalen ihre Halbjahrszeugnisse. Manche Eltern erfahren jetzt zum ersten Mal, dass die Versetzung ihrer Sprösslinge gefährdet ist. Sie machen sich auf die Suche nach einem Nachhilfelehrer.

 Schüler René Küchmeister (15) und Lehrerin Christina Kuhlmann (33) beim Nachhilfe-Unterricht.

Schüler René Küchmeister (15) und Lehrerin Christina Kuhlmann (33) beim Nachhilfe-Unterricht.

Foto: RP, Thomas Bußkamp

Donnerstagnachmittag in Düsseldorf -Benrath. René Küchmeister (15) hat nach Schulschluss um 13.30 Uhr noch eben zu Hause Mittag gegessen. Jetzt sitzt der Hauptschüler in einem Lernraum der Benrather "Schülerhilfe" und paukt den englischen Satzbau.

Von 14 bis 15.30 dauert der Nachhilfeunterricht von Englischlehrerin Christina Kuhlmann. "Das ist ganz schön anstrengend", räumt René ein. Dafür kann er in diesem Jahr dem Zwischenzeugnis, das er heute Morgen erhalten wird, ohne Herzklopfen entgegensehen. Dank Nachhilfe hat sich seine Mathe-Note von Fünf auf Zwei, seine Englisch-Note von Vier auf Drei verbessert.

Für Nachhilfeinstitute wie die "Schülerhilfe" mit bundesweit 1100 oder den "Studienkreis" mit 1000 Niederlassungen bedeutet die Ausgabe der Januar-Zeugnisse den Beginn der Hochsaison. "Manche Eltern erfahren da erst, dass die Versetzung ihrer Kinder gefährdet ist", berichtet Gabriele Haman, Leiterin der Benrather Einrichtung. Sie bietet deshalb am morgigen Samstag einen Tag der offenen Tür an.

Der Boom auf dem Nachhilfemarkt hält seit Jahren an. Nach unterschiedlichen Schätzungen geben deutsche Eltern pro Jahr zwischen einer und drei Milliarden Euro für die private Förderung ihrer Sprösslinge aus. Fast jeder achte Schüler, so der "Studienkreis", dürfte im Laufe dieses Jahres Nachhilfe erhalten. Rund 70 Prozent des Marktes wird von Schülern, Studenten und Lehrern abgedeckt, die sich privat etwas dazuverdienen.

Die privat organisierte Nachhilfe muss nicht die schlechtere sein, meint Peter Silbereisen, Vorsitzender des Philologenverbandes NRW. "Am besten fragen Eltern, die auf der Suche nach Nachhilfelehrern sind, zuerst den Fachlehrer oder richten sich nach der Mund-zu-Mund-Propaganda." Der Pädagoge hat durchaus Verständnis für Eltern, die ihren Kindern so zu einem besseren Zeugnis verhelfen wollen.

René zum Beispiel möchte auf dem Berufskolleg seinen Realschulabschluss machen, um später einmal Landschaftsgärtner zu werden. Dafür braucht er auf der Hauptschule gute Noten. Das lassen sich seine Eltern, beide Zollbeamte von Beruf, seit März 2008 jeden Monat 126 Euro kosten. Experte Silbereisen hingegen befürwortet Nachhilfe nur als befristete Maßnahme oder dann, wenn persönliche Umstände wie Umzug, Scheidung der Eltern oder Krankheit das Kind belasten.

Mit Sorge beobachtet er, dass verstärkt auch Grundschüler privaten Zusatzunterricht erhalten, damit ihre Noten in der vierten Klasse gut genug für eine Empfehlung zum Gymnasium sind. "Der Boom bei der Nachhilfe", sagt Silbereisen, "ist ein Stachel im Fleisch des öffentlichen Schulwesens und bedeutet eine Ungleichbehandlung der Schüler."

Ähnlich äußert sich auch Barbara Kols-Teichmann von der Landeselternschaft für Gymnasien: "Die Förderung der Kinder muss in der Schule erfolgen."

Das Schulministerium in Düsseldorf sieht sich selbst auf gutem Weg. Es verweist auf die Festschreibung der individuellen Förderung im Schulgesetz. Ministeriumssprecherin Nina Schmidt: "Langfristig könnte der Ausbau der Ganztagsschule den Nachhilfeunterricht überflüssig machen."

Auch Marion Lauterbach von der Zentrale der "Schülerhilfe" bestätigt, dass gut funktionierende Ganztagsschulen schon jetzt örtlich zu einem Rückgang von Nachhilfeschülern geführt habe. "Aber es wird auf Schulen immer Schüler geben, die zum unteren Drittel gehören — und Eltern die das ändern möchten."

(RP)
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