Spitzenreiter und Schlusslicht Warum Münster eine Corona-Inzidenz unter 50 hat – und Hagen bei über 200 liegt

Münster/Hagen · Die Pandemie trifft nicht alle Städte in Nordrhein-Westfalen gleich. In Münster sinkt die Inzidenz seit Tagen, in Hagen steigt sie stetig. Woher kommen die Unterschiede?

 Münster hat als erste Großstadt in NRW die Maskenpflicht eingeführt (Symbolbild).

Münster hat als erste Großstadt in NRW die Maskenpflicht eingeführt (Symbolbild).

Foto: dpa/Bernd Wüstneck

Unterschiedlicher könnte die Infektionslage in zwei Städten kaum sein. Dabei liegen sie im gleichen Bundesland. Münster hält bereits seit mehr als einer Woche die Sieben-Tage-Inzidenz unter 50, die Stadt könnte nach der Corona-Schutzverordnung des Landes die Einschränkungen jetzt schon lockern. In Hagen übersteigt die Inzidenz aktuell die Grenze von 200, dort müsste man die Maßnahmen verschärfen. Worin unterscheiden sich der Spitzenreiter und das Schlusslicht in NRW?

Münster Markus Lewe (CDU) und das Presseamt der Stadt Münster werden nicht müde zu betonen, dass die niedrigen Inzidenzwerte eine Momentaufnahme seien. Die Lage könne sich jederzeit wieder ändern. Dabei ist Münster etwas gelungen, das bisher in keinem anderen Kreis und keiner anderen Großstadt in NRW klappt: Eine Sieben-Tage-Inzidenz unter 50, und das schon seit mehr als einer Woche. Am Freitag liegt die Inzidenz nach Daten des Robert Koch-Instituts bei 32.

Es lägen in der Stadt eine Reihe von hilfreichen Faktoren vor, sagt André Karch, Leiter der Klinischen Epidemiologie an der Universität in Münster. „Die Bevölkerungsstruktur zeichnet sich durch viele Ein- und Zwei-Personen-Haushalte aus“, sagt Karch. Kleinere Haushalte, weniger Kontakte, es ist eine einfache  Rechnung. Dazu kommt die Arbeitsstruktur in der Universitätsstadt. „Sie ist überwiegend durch Büroarbeit gekennzeichnet“, sagt Karch – und die lässt sich eher ins Homeoffice verlagern. Günstig für die Eindämmung der Pandemie ist auch das Umland. „Die Lage der Stadt mit ihrem ländlichen Umfeld ist ideal, um die Zahl der Infektionen niedrig zu halten.“ Pendler kämen nach Münster zudem häufiger mit dem Auto als mit der Bahn.

Die Stadt handelt aber auch schnell. Als erste Großstadt in NRW führte Münster im April die Maskenpflicht im öffentlichen Raum ein. Auch bei der Gründung eines Krisenstabs war die Stadt unter den ersten. Eine Sprecherin  sagt, dass auch die Haltung der Münsteraner etwas mit dem Erfolg zu tun haben könnte. Die Bürger seien diszipliniert und solidarisch, sagt sie. „Man sieht im Straßenbild nur sehr selten Menschen ohne Mund-Nasen-Schutz.“

Epidemiologe Karch ist da zurückhaltender. Das schnelle Handeln der Stadt spiele „im Gesamtkontext nur eine untergeordnete Rolle“, sagt er. Ja, die Bevölkerung hätte die Maßnahmen gut angenommen, größere Probleme habe es nicht gegeben.  „Dies trifft allerdings auch auf viele anderen Städte und Regionen zu, die aktuell mit einer höheren Krankheitslast zu kämpfen haben.“ Man soll den Zufall nicht unterschätzen, stellt Karch klar.

Eine Lockerung der Maßnahmen kommt für die Stadt  nicht in Frage – auch wenn die NRW-Corona-Schutzverordnung das zulässt. Bleibt ein Kreis oder eine kreisfreie Stadt an sieben aufeinanderfolgenden Tagen unter der Inzidenzgrenze von 50, können die Schutzmaßnahmen in Absprache mit dem Gesundheitsministerium gelockert werden. „Das ist aktuell nicht geplant“, sagt eine Sprecherin der Stadt. Münster wolle keine „fahrlässige Lockerungen in Aussicht stellen“. Es gebe dafür keinerlei Anlass, insbesondere im Hinblick auf die in Deutschland aufgetauchten Corona-Mutationen.

Hagen Seit Anfang des Jahres gingen sie fast immer Hand in Hand: Die Sieben-Tage-Inzidenz in Hagen und die des Landes.  Zeitweise lag die Stadt sogar leicht unter dem Landesschnitt. Seit dem 14. Januar gehen die Werte stetig auseinander. Aktuell liegt die Inzidenz in Hagen bei 213, Tendenz steigend. Die NRW-Inzidenz ist indes bei 90, Tendenz sinkend. Gemessen an der Einwohnerzahl breitet sich das Corona-Virus in Hagen aktuell in NRW mit großem Abstand am schnellsten aus. Doch warum ausgerechnet dort?

„Einzelne größere Ausbrüche, zum Beispiel in Altenheimen oder Pflegeheimen, können enorme Effekte auf die Sieben-Tage-Inzidenz haben“, sagt Epidemiologe Karch aus Münster. Während seine Stadt davon verschont bleibt, passiert in Hagen genau das Gegenteil, und zwar immer wieder.

Der jüngste Ausbruch in Hagen ist im Helmut-Turck-Zentrum geschehen, einem Altenheim der Arbeitswohlfahrt (AWO). Die Stadt meldet das Geschehen am Dienstag als „akuten Ausbruch.“ 17 Personen sind in der Einrichtung der AWO mit dem Corona-Virus infiziert. In der Seniorenresidenz Curanum, weniger als sechs Kilometer weiter, gibt es 14 Infizierte. Hinzu kommen noch 90 positiv Getestete, die sich auf neun weitere Alten- und Pflegeheimen aufteilen.

Seit ein paar Tagen kommen in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung in Hagen weitere Ausbrüche hinzu. Zunächst registrierte das Gesundheitsamt positive Fälle in einer Werkstatt für behinderte Menschen, danach in einer Wohneinrichtung im benachbarten Ennepe-Ruhr-Kreis. Die Gruppen vermischten sich: Am Arbeitsplatz, in den Wohneinrichtungen, auf den gemeinsamen Fahrten. Inzwischen sind fünf Wohneinrichtungen davon betroffen. Die Stadt bestätigte dort nach einer ersten Testwelle mehr als 50 positive Fälle, dazu noch 20 weitere Beschäftigte, die privat wohnen.

Seit Anfang des Jahres testet Hagen aber auch anders. „Wir haben unser Testregime geändert und testen Kontaktpersonen der Kategorie Eins zweimal“, sagt Anjali Scholten, Leiterin des Hagener Gesundheitsamts. Es wird nun nicht nur zu Beginn der Quarantäne getestet, sondern auch kurz vor ihrem Ende. „Somit erkennen wir Infektionen, die ohne die zweite Testung wahrscheinlich unerkannt geblieben wären“, sagt Scholten.

Hagener Rathaus

Hagener Rathaus

Foto: Bernd Thissen / dpa

Ein Blick auf das Umland von Hagen zeigt, dass die Stadt gegenüber Münster auch geografisch im Nachteil ist, zumindest was die Bekämpfung der Pandemie angeht. Dortmund, Wuppertal, Essen: Sie alle liegen nur wenige Kilometer von Hagen entfernt.

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