Kettenbrief auf WhatsApp Wie die Horror-Puppe Momo immer wieder zurückkehrt

Düsseldorf · Die Gruselfigur Momo erschreckt Kinder und Jugendliche im Netz, sie soll sie angeblich bis in den Suizid treiben. Für Eltern ist das nicht leicht einzuschätzen. Was steckt wirklich dahinter? Und was sagt man den Kindern?

Momo-Puppe auf WhatsApp: Was Kinder wegen der Horror-Nachricht durchmachen
Foto: Screenshot: Twitter

„Wenn du diese Nachricht nicht weiter leitest, kommt Momo nachts an dein Bett, knabbert dein Bein an und fängt an dich aufzuschlitzen“. Ungefähr so soll die Nachricht gewesen sein, die der zehnjährige Joel aus Düsseldorf gleich in mehreren WhatsApp-Gruppen bekommen hat. „Zusammen mit dem schrecklichen Bild von der Puppe mit den aufgerissenen Augen, der weißen Haut und diesen langen ausgefransten Haaren war das eine echte Horror-Nachricht“, sagt seine Mutter Nadine Hofrichter (34).

Eigentlich wollte Joel davon gar nichts erzählen, aber dann bekam er nachts solche Angst, dass er zu seiner Mutter ins Bett geklettert ist. „Ich habe Angst, dass Momo kommt“ habe er zu ihr gesagt. Schon die Geräusche der Hauskatze im Kinderzimmer waren ihm zu viel. Fast zwei Monate lang konnte Joel nicht mehr alleine in seinem Zimmer schlafen.

Joels Erlebnis ist neun Monate her. Im Sommer 2018 ging die erste Welle von Momo-Kettenbriefen durch WhatsApp-Gruppen von Schülern in ganz Deutschland. Ob die zweite Welle schon vorbei ist, ist bislang unklar. Sowohl die Polizei München, als auch der Förderverein Kinder- und Jugendhilfe Neuss e.V. warnen immer noch vor neuen Momo-Posts. Denn Anfang März tauchte Horror-Momo wieder auf WhatsApp auf und plötzlich auch auf YouTube.

Betroffen waren wohl Kinder, die sich auf „Youtube Kids“ die Serie „Peppa Wutz“ ansehen wollten. In der britischen Zeichentrick-Serie geht es eigentlich um den Alltag einer putzigen Comic-Ferkel-Familie. Die bunten Bilder und lustigen Dialoge wurden jedoch plötzlich durch einen Clip von Horror-Momo unterbrochen. Die Puppe soll unflätige Begriffe benutzt und die Kinder dazu aufgefordert haben, gefährliche Dinge zu tun, wie sich selbst zu verletzen.

„Momo-Challenge“ wird diese Mutprobe im Internet genannt. Gesichert ist inzwischen: Die „Momo-Challenge“ ist höchstwahrscheinlich nur ein Gerücht. Ein Internet-Mythos, der durch Vermutungen verbreitet wurde. So hieß es etwa Mitte März, dass ein 13-jähriges Mädchen aus München wegen der „Momo-Challenge“ Tabletten eingenommen habe und im Krankenhaus gelandet sei. Ermittlungen der Polizei München zeigten jedoch, dass der Verdacht falsch war. Das Mädchen habe viel mehr Probleme mit nahe stehenden Personen gehabt.

Doch selbst, wenn die „Momo Challenge“ nicht real ist, die Ängste der Kinder sind es eben doch. Und Unbekannte haben tatsächlich einzelne für Kinder gedachte Videos auf Youtube so präpariert, dass diese von einer schaurigen Botschaft unterbrochen werden. Auch am Momo-Kettenbrief auf WhatsApp besteht kein Zweifel.

Allein bei Familie Hofreiter waren 2018 zwei Kinder betroffen. „Mein Neffe hat diese Nachricht ebenfalls bekommen“, sagt Nadine Hofreiter. „Er geht auf die Realschule Volksgarten in Mönchengladbach und war damals schon 13 Jahre alt. Er konnte viel besser damit umgehen.“ Sowohl an der Realschule als auch an der Pahlke Grundschule in Mönchengladbach, auf die ihr Sohn Joel damals ging, war der Aufruhr wegen der Nachrichten groß, berichtet Hofrichter. „Unheimlich viele Grundschüler hatten Angst. Ich habe die Schule auch nach Informationen für die Eltern und pädagogische Hilfe für die Kinder gefragt, unternommen wurde aber nichts“.

Dabei wäre Hilfe von Experten durchaus angebracht, denn Horror-Momo stellt nicht nur Kinder, sondern auch Eltern vor eine Herausforderung: Wie geht man richtig damit um? „Ich habe meinem Sohn damals gesagt, dass ich froh bin, dass er mit mir darüber redet, und mir die Nachricht gemeinsam mit ihm angesehen“, sagt Hofreiter. „Dann habe ich ihm erklärt, woran man erkennt, dass die Puppe nicht echt ist. Und ich habe ihm gesagt, dass eine Katze der beste Schutz gegen solche Wesen ist, weil die sofort fauchen würde, wenn sie etwas in der Wohnung entdeckt, was feindlich ist.“ Dann hätten sie gemeinsam die Nachrichten gelöscht, und Joel sei aus allen betroffenen WhatsApp-Gruppen ausgetreten.

Laut Cyberpsychologin Catarina Katzer hat Hofrichter damit genau richtig gehandelt: „Ähnlich wie Joel trauen sich viele Kinder erstmal nicht, über solche Erlebnisse zu reden, weil sie Angst haben, dass man ihnen das Smartphone abnimmt“, sagt Katzer. „Eltern sollten ihren Kindern deshalb signalisieren, dass sie sich mit allem an sie wenden können. Es ist wichtig, dass die Kinder das Vertrauen entwickeln, darüber zu reden.“ Am besten sollten Eltern unabhängig davon, ob ein Kettenbrief gerade umgehe oder nicht, mit ihren Kindern darüber sprechen, dass sie so etwas geschickt bekommen könnten und dass sie darauf nicht reagieren müssten.

Klar ist: Niemand muss vor Momo Angst haben. Sie ist eine Kunstfigur. Hinter ihr steht also keine Person oder Gruppe, die die Bedrohung gezielt verbreitet. Um genau zu sein, wurde die Puppe von einer japanischen Firma als Filmrequisite hergestellt. Fotos von ihr wurden dann im Netz zweckentfremdet. Inzwischen soll die Firma die Puppe zerstört haben, um weiteren Schaden zu vermeiden.

Dass es keinen konkreten Absender gibt, hat aber auch einen Nachteil. Es bedeutet nämlich, dass jeder zum Absender werden kann, der das Foto googelt. Entsprechend nutzen sogar Kinder und Jugendliche in betroffenen WhatsApp-Gruppen die Horror-Puppe, um anderen Mitschülern gezielt Angst zu machen. „Bei Joel war das so. Mitschüler haben ihm Druck gemacht, als sie gesehen haben, dass er die Nachricht nicht weiter geleitet hat.“ In Direktnachrichten und in der Gruppe schrieben sie, was ihm Momo alles antun würde, weil er ihre Anweisungen nicht befolgt hat.

„Das ist schon eine Form von Cybermobbing“, sagt Katzer. Was sie damit meint ist, dass sich Beleidigungen und Drohungen, die früher vor allem auf dem Schulhof stattgefunden haben, immer mehr aufs Smartphone verlagern. „Das bedeutet auch, dass die Opfer sogar zuhause nicht mehr vor den Anfeindungen geschützt sind, weil sie ihr Smartphone mit ins Kinderzimmer nehmen“, sagt Katzer. „Entsprechend sollten Eltern ihren Kindern zeigen, dass sie sie ernst nehmen und dass es keine Kleinigkeit ist, wenn man im Netz drangsaliert wird - egal, ob es sich dabei um eine Nachricht von Unbekannt oder von einem Mitschüler handelt.“

Bei Joel bleibt seitdem jedenfalls ein Nachtlicht an. So kann er sehen, ob sich nachts im Zimmer etwas bewegt.

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