Missbrauchsfälle auf Campingplatz Bürgermeister von Lügde kämpft gegen Hassmails und Vorverurteilungen

Lügde · Der Missbrauchsfall hat den Ort nach Angaben des Politikers bundesweit in Verruf gebracht. Der Bürgermeister der Stadt bekommt viel Hass ab.

Missbrauchsfall in Lügde: So sieht der Campingplatz nach dem Abriss aus
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So sieht der Campingplatz in Lügde nach dem Abriss aus

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Foto: dpa/Guido Kirchner

Der parteilose Bürgermeister des ostwestfälischen Lügde hat seit Bekanntwerden des Missbrauchsfalls in seiner Stadt Hunderte Hassmails und Drohanrufe bekommen. „Sätze wie: Ich sollte mit dem Kinderschänder zusammen in eine Zelle gesperrt werden, gehören noch zu den harmlosen Sätzen, die ich zu hören bekomme“, sagt Heinrich Josef Reker. Viele der Anrufer und Schreiber machten ihn mitverantwortlich. Ihm werde vorgeworfe, nicht eingeschritten zu sein. „Viele wissen nicht, dass ich als Bürgermeister von Lügde nicht verantwortlich bin für das Jugendamt und die Polizei“, sagt der 65-Jährige.

Einschüchtern lässt Reker sich von den Hassmails nicht. Dabei hat sich erst vor sechs Jahren in seiner unmittelbaren Nähe ein Fall zugetragen, der vielen Amtsträgern Angst machte: Der Landrat des für Lügde zuständigen Kreises Hameln-Pyrmont, Rüdiger Butte, wurde von einem 74-jährigen Bewohner seines Kreises in seinem Büro erschossen. „Ich habe keine besonderen Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Ich will der Bürgermeister zum Anfassen bleiben“, sagt Reker.

Die 10.000-Einwohner-Gemeinde an der Grenze zu Niedersachsen steht mittlerweile für viele sinnbildlich für Kindesmissbrauch und Behördenversagen. „Selbst wenn irgendwo anders in Deutschland ein Kind missbraucht wird, zieht man sofort eine Verbindung zu uns“, so Reker. Die Menschen im Ort würden unter Generalverdacht gestellt, stigmatisiert. Wer erwähne, dass er aus Lügde komme, werde verbal angegriffen und angefeindet.

Der jahrelange massenhafte Missbrauch von Kindern im Alter zwischen vier und 13 Jahren auf einem Campingplatz in Lügde soll Ende Juni in einem Prozess strafrechtlich aufgearbeitet werden. Ein 56 Jahre alter arbeitsloser Dauercamper mit einem 34-jährigen Komplizen soll mehr als 40 Kinder missbraucht und dabei gefilmt haben. Die Anklageschrift führt bislang 22 Opfer auf, die zum Zeitpunkt der Taten alle minderjährig gewesen seien. Ein weiterer mutmaßlicher Komplize (49) soll demnach im Besitz von fast 43.000 Bild- und Videodateien mit Kinder- und Jugendpornografie gewesen sein. Auch gegen ihn wurde am Donnerstag Anklage erhoben.

Zusätzlich zum Strafprozess soll der Fall in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss aufgearbeitet werden. Die SPD will einen entsprechenden Antrag stellen. Darin wird es vermutlich in erster Linie um die vielen Polizeipannen während der Ermittlungen gehen sowie um die Versäumnisse des zuständigen Jugendamtes.

 Die Parzelle des mutmaßlichen Täters auf dem Campingplatz „Eichwald“ in Lügde ist mittlerweile abgerissen. Foto: dpa

Die Parzelle des mutmaßlichen Täters auf dem Campingplatz „Eichwald“ in Lügde ist mittlerweile abgerissen. Foto: dpa

Foto: dpa/Guido Kirchner

Viel Unterstützung aus der Landeshauptstadt hat Lügde nach Angaben des Bürgermeisters in der Krise nicht bekommen. Herbert Reul habe ihn bis heute nicht angerufen, sagt Reker. Einen Vorwurf mache er dem NRW-Innenminister daraus aber nicht.

(csh)
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