Missbrauch in der Kirche Ehemaliger Bischof räumt schwere Fehler ein

Münster · Viel Verständnis für die Täter, kein Kontakt zu den Opfern, Überforderung bei der Kirchenleitung: Ein hoher Geistlicher aus Münster beschreibt das Versagen der Kirche beim Thema sexueller Missbrauch. Auch mit sich selbst geht er hart ins Gericht.

Eine Kirchturmspitze vor wolkenverhangenem Himmel (Symbolbild).

Eine Kirchturmspitze vor wolkenverhangenem Himmel (Symbolbild).

Foto: dpa/Friso Gentsch

Im Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche hat der ehemalige Hamburger Erzbischof Werner Thissen schwere Fehler in seiner Zeit in Münster eingestanden. „Diejenigen, die des Missbrauchs beschuldigt wurden, waren ja Priester, die wir gut kannten. Da kommt sehr schnell der Mitleidseffekt auf“, sagt der heute 80-Jährige in einen Interview der Bistumszeitung „Kirche und Leben“. Thissen kritisiert die fehlende Distanz zu den Tätern: „In einer Personalkonferenz fragte mal jemand: "Muss der Täter denn nicht bestraft werden?" Die übereinstimmende Meinung war: Der hat sich doch durch sein Vergehen am meisten schon selbst bestraft.“ Das Bistum hatte am Mittwoch vorab über das Interview informiert, das am 10. November veröffentlicht wird.

Thissen trug in seiner Zeit von 1978 bis 1999 im Bistum Münster als Leiter der Hauptabteilung Seelsorge-Personal und später als Generalvikar und damit als Stellvertreter des Bischofs Personalverantwortung.

Thissen bezeichnet es in dem Interview als großen Fehler, dass er in dieser Zeit zu den Opfern kaum Kontakt hatte. Er habe daher keine Vorstellung gehabt, was der Missbrauch für einen Schaden bei jungen Menschen angerichtet habe. Erst nach Gesprächen in seiner Zeit als Erzbischof von Hamburg sei ihm das klar geworden.

Kritisch sieht der Priester im Ruhestand auch, wie die Personalkonferenz im Bistum Münster damals gearbeitet habe. „Es fehlten jegliche Standards professioneller Personalführung“, sagte Thissen. Es habe im System gelegen, dass die Personalkonferenz für den Umgang mit Missbrauchsfällen zuständig gewesen sei. „Aber sie war dazu gar nicht in der Lage. Da hätten Fachleute dazu gehört.“ Der sexuelle Missbrauch sei nur ein Nischenthema gewesen, dass an Ärzte und Therapeuten abgeschoben wurde.

In einer Stellungnahme begrüßt Münsters Bischof Felix Genn die Äußerungen Thissens. „Betroffene sagen uns immer wieder, wie wichtig es für sie ist, zu erfahren, wer von den damaligen Verantwortungsträgern dafür zuständig war, dass die Taten sexuellen Missbrauchs nicht an die Öffentlichkeit kamen“, sagt Genn laut Mitteilung. Er sei dankbar, dass der ehemalige Generalvikar sich zu Fehlern bekenne und Verantwortung übernehme. „Dass dabei, wie es Werner Thissen selbst sagt, die Betroffenen nicht im Blick waren, bleibt für uns heute unverständlich.“

Die katholische Kirche hatte im September 2018 eine Studie zu sexuellem Missbrauch vorgestellt. Demnach sollen zwischen 1946 und 2014 mindestens 1670 katholische Kleriker 3677 Minderjährige missbraucht haben. Im Bistum Münster fanden sich bei 138 Klerikern Hinweise auf Beschuldigungen des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger.

Für Empörung hatte im November 2018 die Rolle des 2013 gestorbenen Münsteraner Bischofs Reinhard Lettmann gesorgt. Er hatte als Generalvikar des Bistums in den 1970er Jahren einen verurteilten pädophilen Priester versetzt und damit neuen sexuellen Missbrauch zahlreicher Kinder und Jugendlicher ermöglicht.

Das Bistum hat einen Historiker der Uni Münster beauftragt, die Fälle sexuellen Missbrauchs durch Priester, Diakone oder Ordensleute zu untersuchen. Der Wissenschaftler Thomas Großbölting soll aufzeigen, ob Strukturen im Bistum den Missbrauch erst möglich gemacht haben.

(mba/dpa)
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