Unterwegs mit seinen Unterstützern Das sind die krisenfesten Wendler-Fans

Dinslaken/Oberhausen · Schlagersänger Michael Wendler setzt seine Selbstzerstörungstour unvermindert fort. Seinen Unterstützern bricht er damit fast das Herz, doch noch halten sie ihm die Treue. Unterwegs mit zwei Edel-Fans im Ruhrgebiet.

 Maria Schmitz und Sascha Schunk an der König-Pilsener-Arena in Oberhausen. Michael Wendler hatte hier einen Stern auf dem „Walk of Fame“ - der wurde aber inzwischen entfernt.

Maria Schmitz und Sascha Schunk an der König-Pilsener-Arena in Oberhausen. Michael Wendler hatte hier einen Stern auf dem „Walk of Fame“ - der wurde aber inzwischen entfernt.

Foto: Christoph Reichwein (crei)

Der König des Pop-Schlagers war früher in Dinslaken zu Hause. Für die Fans von Michael Wendler ist die Stadt im Ruhrgebiet immer noch eng mit seinem Namen verbunden. Die Bezeichnung „König“ hat er sich irgendwann selbst verpasst. Ein Kabarettist machte mal den Gag: „Dinslaken ist für zwei Dinge bekannt, die Salafisten und den Wendler. Ihr könnt euch aussuchen, was schlimmer ist.“

Maria Schmitz kennt diese kleinen Gemeinheiten. „Auf Micha wurde schon immer gern rumgehackt“, sagt sie. Auch sie und die anderen Fans würden eher belächelt. Die 53-Jährige lebt in Duisburg und leitet den offiziellen Wendler-Fanclub „Die Volltreffer“, der auf Facebook mehr als 1400 Mitglieder hat. Das ist keine leichte Aufgabe, seit der Sänger im Netz Corona-Verschwörungstheorien verbreitet, vom eigenen Manager als „krank“ bezeichnet wurde und offenbar eng in Kontakt steht mit Vegan-Koch Attila Hildmann, der sich selbst als „ultrarechts“ beschreibt und mit wirren Thesen gegen die „Pharma-Mafia“ und Bill Gates kämpft. Wendler nutzt wie Hildmann zur Verbreitung seiner Botschaften die App Telegram, eine populäre Plattform für Corona-Gegner und Verschwörungsideologien.

Innerhalb weniger Tage hat sich der Schlagersänger mit seinen wirren Äußerungen ins Aus katapultiert. Die Maßnahmen der Bundesregierung in der Corona-Krise seien kriminell, die deutschen Medien gleichgeschaltet, in den USA habe Donald Trump bei der Präsidentschaftswahl einen „Erdrutschsieg“ eingefahren. Die Werbepartner von Michael Wendler und sein Haussender RTL lösten lukrative Verträge mit ihm auf. Sein Manager Markus Krampe hatte im Fernsehen mit Tränen in den Augen zunächst von einer „menschlichen Tragödie“ gesprochen, nun hat auch er die Zusammenarbeit mit Wendler beendet. Was macht das alles mit den Fans des 48-Jährigen? Wie gehen sie mit der Selbstdemontage des Sängers um?

An manchen Tagen postet Maria einfach alte Konzertvideos in der Fangruppe – zur Erinnerung an bessere Zeiten. Oder sie schreibt: „Ich glaube daran, dass wir noch sehr viel Musik von ihm bekommen. Ich hoffe es.“ An anderen Tagen steigt sie ein in die Diskussion und versucht, wütenden Kommentaren etwas entgegenzusetzen – und wenn das nur ein „Die Hoffnung stirbt zuletzt“ ist. Sie versucht, die Stimmung zu beruhigen.

 Immer ganz vorn: Maria (Dritte von links) bei einem Wendler-Konzert im August 2019.

Immer ganz vorn: Maria (Dritte von links) bei einem Wendler-Konzert im August 2019.

Foto: Christoph Reichwein (crei)

An diesem Morgen steht Maria vor der ehemaligen Ranch des Sängers in Dinslaken und erinnert sich an die Partys, die Michael Wendler dort für seine Fans gegeben hat. Das waren Konzerte, zu denen seine Anhänger aus ganz Deutschland anreisten. „Er war immer da für seine Fans, immer nahbar, ein ganz normaler, netter Kerl“, sagt Maria. Sie schaut durch das gusseiserne Tor des Anwesens. „Sieht noch aus wie früher, aber irgendwie unbewohnt.“ Ein Mann geht den Rasen auf dem riesigen Grundstück mit einem Laubbläser ab, ein Hund rennt innen am Zaun entlang und bellt. Vor vier Jahren ist Wendler nach Florida ausgewandert. Die Villa mit den Stallungen und einem Teich wurde verkauft. „Ich hoffe einfach, dass Micha wieder runterkommt von dieser ganzen Verschwörungsklamotte“, sagt Maria.

Im Oktober sollte eigentlich das neue Wendler-Album erscheinen. Ein neues Album, dann eine Tour – das ist es, was Fans wie Maria sich von ihrem Micha wünschen. „Geht erstmal sowieso nicht wegen Corona, aber das waren einfach schöne Zeiten“, sagt sie. Ob Berlin, Hamburg oder Stuttgart, sie kenne überall Fans, bei denen sie jederzeit übernachten könne. „Wir waren eine glückliche, verrückte Truppe, wenn wir durch Micha und seine Musik zusammenkamen.“ Dass der Wendler ein Talent dafür habe, von einem Fettnäpfchen ins nächste zu treten, daran sei man als Fan gewöhnt, sagt Maria. Früher ist er mit einer weißen Limousine durch Dinslaken gefahren oder hat sich in einer Badewanne ablichten lassen, die bis zum Rand mit Goldmünzen gefüllt war. Die Beziehung zu seiner 20 Jahre alten Freundin Laura hat er in vielen Fernsehdokumentationen gefeiert, zusammen waren sie im „Sommerhaus der Stars“. Maria glaubt, das alles hat dem Sänger mehr geschadet als genutzt, weil er dadurch viel Angriffsfläche geboten hat. „Es gibt die Bühnenfigur Wendler und den Mann abseits der Bühne, das sind zwei völlig unterschiedliche Leute.“ Sie mag beide. Vor zwei Jahren hat sie auf einem Wendler-Konzert in ihren Geburtstag reingefeiert. Am nächsten Vormittag entdeckte sie eine Nachricht von Michael Wendler auf ihrer Facebook-Seite: „Herzlichen Glückwunsch, Maria, und tausend Dank für Deine jahrelange Treue.“ Dazu hatte er ein Foto von sich und Maria gepostet. „So ist Micha“, sagt sie.

20 Minuten Autofahrt entfernt von der ehemaligen Wendler-Villa ist die König-Pilsener-Arena in Oberhausen. 2009 bekam der Sänger hier als „Nationale Größe der Showbranche“ einen Stern auf dem „Walk of Fame“, weil er bei insgesamt fünf Konzerten in der Arena 40.000 Tickets verkauft hatte. Die Band Kiss hat auch so einen gravierten Stern aus Granit auf dem Vorplatz der Arena. Udo Jürgens und Helene Fischer sind ebenfalls dort verewigt. Maria ist hier mit Sascha Schunk verabredet, 35 Jahre alt, aus Eschweiler, ein großer Wendler-Fan. Doch das Wiedersehen beginnt mit einiger Verwirrung. Die beiden suchen den Stern von Wendler – und finden nichts. „Der ist weg“, sagt Sascha ungläubig und geht alle Sterne noch einmal ab. Kein Micha weit und breit. Dafür Mark Knopfler und Ozzy Osbourne. Ein Anruf bei der Arena ergibt, dass der Stern des Wendlers wohl nach einer „Erdbewegung“ einen tiefen Riss hatte, und aus Sicherheitsgründen entfernt wurde. Warum er nicht durch einen neuen ersetzt wurde, bleibt unklar. „Sehr seltsam“, sagt Sascha. „Ozzy hat doch auch einen Riss.“

Sascha macht zurzeit eine Ausbildung zum Moderator und Redakteur an der Akademie Deutsche Pop in Köln. Und er ist seit vielen Jahren DJ. „Ich leg auf bei Hochzeiten, in Clubs oder auf Geburtstagen, und 2004 kam der Wendler mit ‚Sie liebt den DJ‘ um die Ecke“, sagt Sascha. „Der Song hat mich total begeistert. Wenn sich jemand etwas vom Wendler wünscht, dann heute noch fast immer diesen Song.“ Überhaupt, die Leute bei den Partys. „Da würden viele einen Bogen um Maria und mich machen, wenn wir sagen würden: Wir mögen den Wendler. Aber wenn Tanzabend ist und ich einen Wendler-Song auflege, dann zerren sich die Paare gegenseitig auf die Tanzfläche und foxen.“ Die Musik gehe einfach ins Blut wegen der Beats. „Aber auch wegen der Texte“, sagt Sascha. „Alles dreht sich um Liebesdramen, glückliche und schlimme Momente, damit hat doch jeder von uns zu tun.“ Er sagt, es gebe wenige Partys, bei denen nicht irgendwann ein Gast vor ihm stehen würde mit der Bitte: „Mach doch mal was vom Wendler.“

 „Überschall“: Marias T-Shirt zeigt den Wendler aus Strass-Steinen.

„Überschall“: Marias T-Shirt zeigt den Wendler aus Strass-Steinen.

Foto: Christoph Reichwein (crei)

Auch Sascha hat Michael Wendler persönlich kennengelernt. Er hat ihn als Moderator sogar oft für einen Internet-Radiosender interviewt, war auf vielen Konzerten und auch mal bei einer Ranch-Party. „Micha ist ein cooler Typ“, sagt er über ihn. Als er die kruden Botschaften im Netz gesehen habe, habe er gedacht: „Der ist doch nicht Herr seiner Sinne. Ich kenne Michael. Das war so gekünstelt.“ Der Sänger warf der Bundesregierung „bezüglich der angeblichen Corona-Pandemie grobe und schwere Verstöße gegen die Verfassung“ vor. Sascha sagt dazu: „Ich dachte erst, das sei ein PR-Gag oder so. Dass der Wendler schon mal tief in die Kerbe haut, weiß ich. Aber dass er das Kantholz mit so einer blöden Aktion direkt durchhaut, hätte ich nie gedacht.“ Wie Maria hofft Sascha, dass Wendler irgendwie doch noch zur Vernunft kommt. „Wo ist der Micha hin, den wir kannten? Man hat ja immer schon Angst, wenn er wieder irgendetwas Neues ankündigt“, sagt Maria.

Das ist auch an diesem Tag so. „Wegen dramatischer Entwicklungen wird mein Telegram-Kanal wieder eröffnet“, hatte Wendler zuvor geschrieben. „Bitte nicht“, sagt Maria. In mehreren Sprachnachrichten kritisiert er nun erneut die Corona-Politik in Deutschland und warnt unter anderem vor einer „Impfpflicht“, die die Bundesregierung implementieren wolle. An diesem Tag spricht er auch von einer Manipulation der US-Wahl. Maria: „Das ist schon kein Fettnapf mehr, der springt direkt in die Fritteuse.“ Am Abend wird sie wieder damit beschäftigt sein, die Wogen auf der Facebook-Seite des Fanclubs zu glätten. Und Sascha wirkt fast ein bisschen verzweifelt. „Ich werde das, was Micha behauptet, niemals teilen, aber weil ich ihn als Mensch so mag, würde ich ihm am liebsten sagen: Was du da verzapfst, ist scheiße. Vergiss Telegram und stell deine Karriere wieder in den Vordergrund!“ Ein paar Minuten ist es still, dann sagt Maria: „Vielleicht fehlen wir ihm einfach! Warum nicht? Kann doch sein, dass nicht nur er und seine Musik uns fehlen, sondern ihm seine Fans und das ganze Drumherum auch.“ Sie zitiert einen Wendler-Song: „Wir war’n, wir sind, wir bleiben.“ Darin heißt es: „Schau ich zurück, dann schwöre ich mir: Mit wehenden Fahnen werd ich nicht mehr untergehen.“ Wenn man die Dinge nüchtern betrachtet, geschieht gerade genau das Gegenteil.

Sascha und Maria denken an Michael Wendler wie an einen guten alten Freund zurück. „Seine Konzerte in der Turbinenhalle, das war einfach eine tolle Zeit“, sagt Sascha. Maria war sogar mit Wendler auf Fanreise in Venedig und auf Sylt. Und einen guten alten Freund lässt man nicht so schnell fallen. „Michael ist ein Sensibelchen“, sagt Sascha. „Leute wie Attila Hildmann nutzen so etwas aus und instrumentalisieren labile Menschen für ihre Zwecke.“ Vielleicht hat Maria recht, sagt Sascha, vielleicht vermisst der Wendler ja wirklich sein altes Leben im Ruhrgebiet – und seine Fans. „Ich fänd‘s schön, wenn wir im nächsten Jahr alle wieder zusammen feiern könnten.“ Marias Handy klingelt, es ist die Melodie eines Wendler-Songs. Die Musik kann doch nichts dafür, sagt sie.

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