Bluttat in Regionalbahn Messerangreifer in NRW dreimal verurteilt – Sondersitzung im Landtag beantragt

Update | Düsseldorf · Ibrahim A., der in einem Regionalzug in Schleswig-Holstein zwei Menschen getötet haben soll, lebte zuvor lange in NRW. Schon in dieser Zeit trat er mehrfach polizeilich in Erscheinung – jetzt muss die Landesregierung unangenehme Fragen beantworten.

Zwei Tote bei Messerattacke im Zug nahe Brokstedt
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Foto: dpa/Jonas Walzberg

Der Fall des 33-Jährigen, der in einem Regionalzug bei Hamburg zwei Menschen erstochen haben soll, beschäftigt jetzt auch die Landespolitik in NRW. Bereits am Donnerstag war bekannt geworden, dass es zu dem Mann eine längere Strafakte in Nordrhein-Westfalen gibt. Die Fraktionen von SPD und FDP haben deshalb eine Sondersitzung im Landtag beantragt.

Wie unsere Redaktion erfuhr, wurde der staatenlose Palästinenser in NRW mehrfach rechtskräftig verurteilt. „Der ist dreifach vorbestraft. Das sind Verurteilungen des Amtsgerichts Euskirchen“, sagte Jonas Stallkamp, Sprecher der Staatsanwaltschaft Bonn. Demnach wurde er zum ersten Mal im Jahr 2015 wegen Diebstahls zu einer Geldstrafe verurteilt. 2016 bekam er eine Bewährungsstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung. „Und im Jahr 2018 wurde er für eine Tat aus dem Jahr 2017 wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz zu einer Geldstrafe verurteilt“, sagte Stallkamp. Auch sonst trat der Mann mehrfach polizeilich in Erscheinung. „Unter anderem wegen Körperverletzungen, Sachbeschädigungen und Sexualdelikten“, hieß es aus informierten Kreisen. Neben den drei rechtskräftigen Urteilen sollen einige Verfahren eingestellt worden sein.

Bei dem Angriff in dem Regionalzug von Kiel nach Hamburg waren am Mittwochabend eine 17-Jährige und ein 19-Jähriger gestorben. Fünf weitere Menschen wurden verletzt. Gegen den mutmaßlichen Täter Ibrahim A. wurde Haftbefehl erlassen. Ihm werden zweifacher heimtückischer Mord und viermal versuchter Totschlag vorgeworfen.

In ihrem Antrag betonen die Landtagsfraktionen, dass der Mann offenbar „ein justizbekannter Mehrfachstraftäter“ sei, der „insbesondere auch in Nordrhein-Westfalen bereits in erheblichem Maße auffällig geworden sein soll“. Man bitte „um einen umfassenden schriftlichen Bericht zu den Tatvorwürfen und den Strafverfahren, die gegen den mutmaßlichen Täter in der Vergangenheit in Nordrhein-Westfalen aktenkundig geworden sind.“

Ibrahim A. lebte nach seiner Ankunft in Deutschland jahrelang in NRW. Nach Informationen unserer Redaktion hatte er 2015 einen Asylantrag in Düsseldorf gestellt; diesem soll aber bis heute nicht stattgegeben worden sein. Auf Anfrage wollte sich die Stadt mit Verweis auf laufende Ermittlungen nicht dazu äußern. Seit 2015 galt A. in NRW immer wieder als wohnungslos. Er lebte in Euskirchen, wo er bis Dezember 2020 gemeldet war. 2021 zog er dann nach Kiel; die Gründe dafür sind noch nicht bekannt. Dort beging er dann weitere Straftaten wie schwere Körperverletzung.

Erst vor wenigen Tagen war der 33-Jährige auf Beschluss des Landgerichts Hamburg aus der Justizvollzugsanstalt Billwerder entlassen worden, wo er wegen eines Gewaltdelikts in Untersuchungshaft saß. Nach Angaben der Hamburger Justizbehörde war der Verdächtige wenige Tage vor der Attacke im Zug noch psychiatrisch beurteilt worden. „Ein Psychiater hat kurz vor der Entlassung keine Fremd- und Selbstgefährdung festgestellt“, sagte eine Sprecherin. Deshalb habe es auch keine belastbaren Anhaltspunkte dafür gegeben, eine rechtliche Betreuung zu beantragen oder den sozialpsychiatrischen Dienst einzuschalten.

Palästinenser fiel unter „subsidiären Schutz“

Seine Aufenthaltsgenehmigung bekam A. in Euskirchen aufgrund seines subsidiären Schutzstatus. Unter diesen fallen oft Bürgerkriegsflüchtlinge. Er gilt, wenn laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge „weder der Flüchtlingsschutz noch die Asylberechtigung gewährt werden können und im Herkunftsland ernsthafter Schaden droht“.

Bereits unmittelbar nach seiner ersten Verurteilung hatte die Ausländerbehörde des Kreises Euskirchen eine Verwarnung gegen den Mann ausgesprochen. „Darüber hinaus wurden regelmäßig Auszüge aus dem Bundeszentralregister angefordert, um bei möglichen weiteren Verurteilungen tätig werden zu können“, sagte der Sprecher des Kreises unserer Redaktion. Die Verurteilungen hätten aber keine Aberkennung des subsidiären Schutzstatus vorgesehen. Eine Abschiebung sei daher ausgeschlossen gewesen.

Sollte A. nun wegen der Angriffe in der Regionalbahn rechtskräftig verurteilt werden, würde der Schutzstatus wohl widerrufen werden, sagt Philipp Pruy, Anwalt für Migrationsrecht. „Das hat aber keine Konsequenzen, weil er dann geduldet werden muss“, betont der Jurist. Er besitze dann zwar keine Aufenthaltserlaubnis mehr, falle aber in die Duldung, weil es keine Abschiebung in die palästinensischen Autonomiegebiete gebe. Pruy: „Egal, ob er einen Schutzstatus hat oder nicht, er wird nicht abgeschoben.“

Hintergrund ist die Herkunft des Mannes. Grundsätzlich gebe es staatenlose Palästinenser verschiedener Staatszugehörigkeit, sagte Pruy. A. soll aber aus den palästinensischen Autonomiegebieten kommen. „Da ist es so, dass man eine Abschiebung androhen kann, es bleibt aber folgenlos, da es keine Abschiebung dorthin gibt“, erklärte Pruy. Das habe zwei Gründe: Diese Autonomiegebiete seien keine Staaten im völkerrechtlichen Sinne und eine tatsächliche Abschiebung sei nicht möglich, da es keine Reisemöglichkeiten dorthin gebe, zum Beispiel keinen aktiven Flughafen, und auch keine sonstigen Anlaufstellen. „In den vergangenen zehn Jahren hat es mit Sicherheit keine Abschiebung in die palästinensischen Autonomiegebiete gegeben“, sagte Pruy, „und davor auch nicht. Mir ist kein einziger Fall bekannt.“

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