Verkehrskollaps in NRW? Neue Ideen gegen den Stau-Wahnsinn

Düsseldorf · Schwer und zäh schieben sie sich über die Autobahn, bremsen im "Elefantenrennen" Autofahrer aus, verstopfen Rasthöfe. Und die Zahl der Lastwagen auf Deutschlands Straßen wird in den nächsten Jahren noch rapide steigen. Lässt sich ein Verkehrskollaps abwenden? Und wenn ja, wie?

 Lastwagen und Autos stehen in einem Stau auf der Autobahn 2 (Symbolbild).

Lastwagen und Autos stehen in einem Stau auf der Autobahn 2 (Symbolbild).

Foto: dpa

Schon jetzt sind viele deutsche Autobahnen und Landstraßen heillos überfüllt, vor allem in Nordrhein-Westfalen. Morgens, nachmittags, freitags ist zügiges Fahren in den Ballungszentren kaum möglich. Autofahrer freuen sich, wenn es überhaupt vorangeht. Abends, wenn die Lastwagenfahrer einen Stellplatz für ihre Ruhezeit suchen müssen, platzen die Rasthöfe aus allen Nähten. Und es kommt noch schlimmer: Das Bundesverkehrsministerium rechnet mit einer Zunahme des Lkw-Güterverkehrs um rund 39 Prozent bis 2030.

Nochmal fast doppelt so viele Lastwagen auf Deutschlands Straßen wie jetzt, und das in den kommenden 13 Jahren? Zwar geht die Prognose von einem florierenden Wirtschaftswachstum aus; sollte sich die Konjunktur verschlechtern, würde sich das auch in weniger Gütern niederschlagen. Trotzdem ist davon auszugehen, dass immer mehr Lkw über die Straßen rollen.

Nordrhein-Westfalen ist besonders betroffen: Das Bundesland ist dicht besiedelt, hat mit Duisburg den größten Binnenhafen Europas und liegt als Hinterland der Häfen Zeebrügge, Antwerpen, Rotterdam und Amsterdam genau auf der Achse des Ost-West-Transitverkehrs. Wie also sieht das Szenario für den Verkehr des Landes angesichts der absehbaren Belastungen aus?

Trotz des geplanten Ausbaus des Güterverkehrs auf der Schiene: "Das meiste wird in den nächsten 10 bis 15 Jahren noch auf der Straße stattfinden", sagt Jürgen Peters. Er ist Geschäftsführer des Berliner Innovationszentrums für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ). "Die Nadelöhre bleiben", sagt er, und an diesen Verkehrsknotenpunkten käme die Politik nicht um Investitionen herum. Doch mit dem Ausbau einer Autobahn sei das Problem nicht gelöst. Alle Verkehrssysteme seien gefragt. "Aber grundsätzlich wird man die Intelligenz in die Fahrzeuge legen müssen", erklärt der Verkehrsexperte.

Seine Prognose ist nicht so düster, wie man meinen könnte: "Es werden Lösungen gefunden werden, allein schon aus wirtschaftlichen Gründen", sagt Peters. Ein Ansatz, der schon bald Realität auf deutschen Straßen sein soll, ist das sogenannte Platooning. Über eine Software erkennen die Lkw sich dabei gegenseitig und fahren mit geringerem Abstand in einer Kolonne hintereinander her. "Es sitzt also noch jemand am Steuer, aber die Erkennungssoftware weiß, wer vor, hinter und neben einem fährt", erläutert Peters.

Erfasst werden Fahrzeug- und Zuladungsdaten an den Lastwagen, das Fahrtempo wird automatisch angepasst. "Das ist technisch kein Problem und auch kein Kostentreiber." Neue Fahrzeuge seien grundsätzlich damit ausgerüstet. Der Vorteil: eine höheres Durchschnittstempo für alle. Weil es die Kosten senkt, rechne es sich auch für die Transporteure. Getestet wird das System bereits in den Benelux-Ländern; 2018 soll es in Deutschland auf der A9 zwischen Nürnberg und München erprobt werden. "Bis 2030 ist das längst Usus", sagt Peters.

Doch das ist nur ein Baustein von vielen. Zentrale Impulse werden in Zukunft von den Städten ausgehen: "Viele wollen lebenswerter werden und nicht notwendigen Verkehr abschaffen", erläutert Peters. Helfen soll die sogenannte Citylogistik, bei der sich das Prinzip 'Gleiche Güter - verschiedene Empfänger' umkehrt in 'Verschiedene Güter - gleiche Empfänger'.

Dafür sollen riesige Verteilzentren außerhalb der Wohngebiete entstehen. Transporteure liefern dort ihre gesamte Ladung ab. Dann werden die Güter auf kleinere Fahrzeuge umgeladen und zum Kunden gebracht - zusammen mit anderen Waren, die er bestellt hat. Dadurch müssen Kunden nicht mehr einzeln angefahren werden. Die Logistik wird billiger, das Verkehrsaufkommen kleiner. Transporte müssten aber generell teurer werden, meint Peters.Problematisch sei besonders der Gratis-Rückversand im Online-Handel.

Denkbar sind dem Verkehrsexperten zufolge noch viele weitere Szenarien, etwa im Bereich autonomes Fahren, wo eines Tages selbststeuernde Fahrzeuge nachts auf bestimmten Routen Waren ausliefern könnten. Oder moderne Lastwagen, die so leise fahren, dass man sie auch nachts wieder auf die Straße schicken kann, um die Autobahnen tagsüber zu entlasten.

Pläne wie in Bergisch Gladbach, den innerstädtischen Güterverkehr in Röhren unter der Erde zu transportieren, sieht Peters hingegen skeptisch: "Alles, was sich im Untergrund abspielt, ist sehr teuer und aufwendig. Ich sehe das nicht in NRW, wo es bestehende Stadtinfrastrukturen gibt, in die man eingreifen müsste."

Eine ganze Menge sei dagegen in der Luft möglich. "Die Frage ist nur, was wirtschaftlich sinnvoll ist", sagt Peters. Eines sei gewiss: Digitalisierung, Automatisierung und Robotik würden einen enormen Sprung machen. "Wir können uns noch gar nicht vorstellen, was alles passieren wird." Spürbar im Alltag der Menschen ankommen werde die ganz große technologische Entwicklung allerdings erst zwischen 2030 und 2050. In den nächsten Jahren werden Autofahrer sich also noch weiterärgern müssen.

(RP)
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