Mafia in NRW Die unsichtbare Gefahr

Düsseldorf · Anders als kriminelle arabische Clans nimmt man die italienische Mafia in der Öffentlichkeit nicht wahr. Dabei hat sie das Kokain-Geschäft in Europa fest in ihrer Hand. Und NRW spielt für die Mafia eine wichtige Rolle.

Sechs Menschen wurden 2007 in Duisburg vor einer Pizzeria erschossen. (Archiv)

Sechs Menschen wurden 2007 in Duisburg vor einer Pizzeria erschossen. (Archiv)

Foto: dpa/Oliver Berg

Mehr als 13 Jahre ist es her, als die italienische Mafia in Deutschland aus dem Dunkeln getreten ist und ein Killerkommando vor dem „Da Bruno“, einem damaligen Nobel-Italiener am Duisburger Hauptbahnhof, sechs Italiener mit 54 Schüssen hingerichtet hat. Der Mafia haben die Morde nicht geschadet. „Das genauere Hinsehen der Öffentlichkeit und der Polizei durch den Fall hat sich kaum auf die Aktivitäten ausgewirkt. Die Morde haben vielmehr zu einer noch höheren Professionalisierung der Mafia geführt. Italiener haben nach Duisburg gelernt, unauffällig zu agieren“, sagt der europaweit renommierte Mafia-Experte Sandro Mattioli. Tatsächlich scheint die Mafia in NRW so stark zu sein wie nie zuvor. Das Landeskriminalamt (LKA) zählt mindestens 117 mutmaßliche Mitglieder in NRW; vor fünf Jahren waren es noch 101 Personen. Hinzu kommt eine vermutlich hohe Dunkelziffer. Vier Mafia-Organisationen agieren in NRW: die Camorra, die Cosa Nostra, die ’Ndrangheta und die Apulische. „Seit einigen Jahren ist in Nordrhein-Westfalen vor allem eine Dominanz der ’Ndrangheta zu beobachten, nachrangig jedoch auch der Cosa Nostra“, sagt LKA-Sprecher Andre Faßbender.

In den Großräumen Köln und Wuppertal ist die Cosa Nostra als „Baustellen-Mafia“ (etwa durch bandenmäßige Hinterziehung der Umsatzsteuer) aktiv, im östlichen Ruhrgebiet die Camorra und im westlichen Ruhrgebiet sowie am Niederrhein die ’Ndrangheta. Die Organisationen kommen sich in der Regel nicht ins Gehege bei ihren Geschäften, auch nicht mit Rockern, Russen und Libanesen. Ausgangspunkt der organisierten Kriminalität ist Ermittlern zufolge immer das Streben nach Geld und dem maximalen Profit – und das möglichst unauffällig.

NRW ist für die Mafia so attraktiv, weil es ein prosperierendes Land mit einer guten Infrastruktur und Nähe zu den Niederlanden sei, sagt Faßbender. NRW gilt für die Mafia auch als Rückzugsort, als Operationsort für ihre Geschäfte und als Transitland, um etwa Drogen aus den Niederlanden zu schmuggeln. „Ein weiterer Grund für die Präsenz der Mafia in Nordrhein-Westfalen dürften historisch gesehen jedoch auch die weitreichenden Migrationsbewegungen italienischer Staatsbürger in den 60er und 70er Jahren gewesen sein, welche überwiegend aus den süditalienischen Heimatregionen der Mafia-Organisationen einwanderten“, sagt der LKA-Sprecher, „wobei die Einwanderung einer Minderheit von organisierten Kriminellen dieser Bewegung immanent gewesen sein dürfte.“

Die Hauptkriminalitätsfelder der Mafia in NRW und Deutschland sind laut Polizei: Einfuhrschmuggel und Handel von Kokain, Geldwäsche – häufig unter Nutzung weit verzweigter Gastronomie- und Einzelhandelsstrukturen –, Verschiebung von Autos und Geldfälschung. „Weiterhin gab es diverse Einzelermittlungen wegen Tötungsdelikten, Raub, Geldwäsche, Erpressung, Bedrohung und Steuerhinterziehung“, sagt LKA-Sprecher Faßbender.

In Europa ist das Kokain-Geschäft fest in der Hand der italienischen ’Ndrangheta, der kalabrischen Mafia, Das weiße Pulver, da sind sich die Ermittler einig, stammt zu größten Teilen aus Südamerika. Nach Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA) gelangen die Drogen vor allem über die Häfen Rotterdam und Antwerpen nach Europa und von dort aus dann auch auf den deutschen Markt. In NRW gilt Düsseldorf als Hochburg von Kokain-Konsumenten. Geschmuggelt wird der Stoff in großen Containerschiffen, deren Besatzung darüber in der Regel keine Kenntnis besitzt. NRW und Deutschland fungieren für die Kokainkuriere aber in erster Linie als Transitland. Die Bestimmungsorte sind vor allem Ost- und Südeuropa – insbesondere Italien.

Zu den Kriminalitätsfeldern der Mafia gehört nach wie vor auch die traditionelle Schutzgeld-Erpressung. Diese ist jedoch extrem schwer nachzuweisen, nicht zuletzt wegen mangelnder Anzeigebereitschaft der Opfer. Laut LKA hat es in den letzten Jahren allerdings kaum Ermittlungsverfahren in diesem Deliktbereich gegeben, weil sich die Beweisführung häufig sehr schwierig darstellt. „Der Verdacht der Schutzgelderpressung durch potenzielle Angehörige einer Mafia-Organisation kann in der Regel nicht erhärtet werden“, sagt Faßbender. Selbst wenn sich ein Opfer trauen würde, zur Polizei zu gehen, könne der Nachweis eines strafrechtlich relevanten Tatbestands in der Regel nicht erbracht werden. „Denn derartige Erpressungen erfolgen oft eher subtil und nicht mit brachialer Gewalt“, so der LKA-Sprecher.

Kann man als Italiener einfach in Düsseldorf ein Restaurant eröffnen, ohne Schutzgeld bezahlen zu müssen? „Ich glaube ja, das ist möglich“, sagt Mafia-Experte Sandro Mattioli. Aber natürlich gebe es die Schutzgelderpressung nach wie vor. „Es ist nur heute nicht mehr so, dass man einen Brief mit entsprechenden Anweisungen bekommt und dann kommt jemand vorbei und holt das Geld“, erklärt er. Stattdessen liefe es so: „Man muss bestimmte Produkte von Unternehmen und Herstellern kaufen oder wird dazu gezwungen. Das kann Wein und Olivenöl sein, das kann Pizzateig und Kaffee sein. Auf diese Art wird Schutzgeld bezahlt“, sagt Mattioli. Das habe für die italienischen Clans den Vorteil, dass das in Deutschland nur Nötigung sei mit einem Strafrahmen von maximal zwei Jahren. „Wer mit einer Pistole ins Lokale geht und sagt, er hätte jetzt gerne 500 Euro jeden Monat, begeht hingegen eine gewaltige Straftat. Wer einem Wirt nur sagt, dass er ab sofort nur noch diesen einen bestimmten Wein kaufen soll, begeht lediglich eine Nötigung“, erklärt er.

Zum „Erfolgsgeheimnis“ der Mafia gehört es, dass man sie eigentlich nicht wahrnimmt. „Die italienische Mafia zeigt ein freundlicheres Gesicht in Deutschland in der Öffentlichkeit als arabische Clans. Wahrgenommen werden Italiener hier oft als der nette Gastwirt, der freundliche Unternehmer, der Sunnyboy aus dem Süden“, erklärt der Mafia-Experte. Die italienische Mafia habe schneller gelernt, sich schneller professionalisiert. „In der Tat kann man sagen: Die italienische Mafia verhält sich schlauer als die arabischen Clans, weil sie begriffen haben, dass sie ihre Geschäfte besser machen können, wenn sie nicht im Fokus stehen“, sagt er. Arabische Clanmitglieder posierten hingen mit teuren Autos. „Und alle Welt fragt sich sofort: Wie können sie sich das leisten. Und das fällt der Polizei natürlich auf.“

(csh)
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