Hohe Strafen im Lügde-Prozess gefordert „Tief verwurzelte Neigung“

Detmold · Der Lügde-Prozess um hundertfachen Kindesmissbrauch geht in die Schlussphase. Die Staatsanwaltschaft plädiert für lange Haftstrafen. Und fordert, dass die Angeklagten auch danach im Gefängnis bleiben.

Lügde/Detmold: Missbrauchsprozess startet
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Missbrauchsprozess um Fälle in Lügde startet

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Foto: dpa/dpa/Bernd Thissen

Der achte Verhandlungstag vor dem Landgericht Detmold ist am Freitag mit den ersten Plädoyers zu Ende gegangen. Zuvor hatte eine Gutachterin unter anderem beschrieben, wie Andreas V. an das Pflegekind gekommen war.

Staatsanwältin Jaqueline Kleine-Flaßbeck forderte in nichtöffentlicher Sitzung für Andreas V. (56) wegen derKostenpflichtiger Inhalt hundertfachen Vergewaltigung von Kindern 14 Jahre Gefängnis und anschließende Sicherungsverwahrung. Der Mitangeklagte Mario S. (34) soll nach der Vorstellung von Staatsanwältin Helena Werpup zwölfeinhalb Jahre hinter Gitter und danach ebenfalls in Sicherungsverwahrung.

Das Gesetz hätte eine Höchstforderung von 15 Jahren ermöglicht, doch die Staatsanwältinnen mussten Milderungsgründe berücksichtigen – die Geständnisse der beiden Angeklagten und den Umstand, dass beide nicht vorbestraft sind. So führte zuletzt vor allem die unterschiedliche Zahl der Verbrechen dazu, dass für Mario S. eineinhalb Jahre weniger beantragt wurden.

Auch die ersten der 18 Opferanwälte plädierten am Freitag. Sie kritisierten zum Teil, dass die Staatsanwaltschaft zwischen beiden Angeklagten Unterschiede gemacht hatte. Opferanwalt Peter Wüller forderte 14,5 Jahre Gefängnis für beide Angeklagten: „Ich vertrete unter anderem ein Mädchen, das vier Jahre alt war, als es missbraucht wurde. Sechs Monate Rabatt für ein Zweckgeständnis sind deshalb in meinen Augen mehr als genug“, sagte er.

Wie hoch auch immer das Urteil ausfallen wird – an der Verhängung der Sicherungsverwahrung wird das Gericht wohl kaum vorbeikommen, denn das Gutachten von Dr. Marianne Miller aus Waltrop ließ keinen Interpretationsspielraum. Hatte die Ärztin am Donnerstag bereits Mario S. als Pädophilen beschrieben, der auch nach einer langen Haft noch eine Gefahr darstelle, so kam sie am Freitag im Fall von Andreas V. zum gleichen Schluss.

Die Gutachterin sagte, Andreas V. sei eine narzisstische Persönlichkeit. Er sei pädophil und habe eine Präferenz für Mädchen im Grundschulalter. „Er bagatellisiert das.“ Neben sexuellen Motiven kämen bei ihm auch noch Machtbedürfnis und Überlegenheitsgefühl als Gründe für die Taten in Frage. „In ihm gibt es eine tief verwurzelte Neigung, solche Straftaten zu begehen“, sagte Dr. Miller. „Ich sehe eine hohe Rückfallgefahr, an der auch eine lange Gefängnisstrafe nichts ändert.“ Eine erfolgreiche Therapie hält die Gutachterin für nahezu ausgeschlossen: „Dagegen sprechen sein Alter und seine narzisstisch-dissoziale Persönlichkeit.“ Zur Herkunft des Angeklagten sagte die Fachärztin für Psychiatrie, Andreas V. sei in einem behüteten Elternhaus mit zwei älteren Zwillingsschwestern aufgewachsen. „Er hat dort weder Gewalt noch Missbrauch erfahren.“

In ihrem Gutachten gab die Ärztin auch das wieder, was ihr Andreas V. über seine Pflegetochter erzählt hatte. „Danach war die Mutter dieses Mädchens selbst noch ein Kind, als er sie im Freibad neben dem Campingplatz kennenlernte und sie dann dort immer wieder traf.“ Sehr jung habe diese Frau eine Tochter bekommen – von wem, das wisse er nach eigenen Worten nicht. Die Mutter habe das Mädchen von Anfang an nicht gewollt und ein halbes Jahr gebraucht, um die Tochter erstmals in den Arm zu nehmen. Als das Mädchen neun Monate alt gewesen sei, habe die Mutter es zu ihm auf den Campingplatz gebracht. „Danach hat sie es angeblich jedes Wochenende bei ihm abgegeben.“ Als das Mädchen vier oder fünf gewesen sei, habe die Mutter ihn angerufen und gesagt, er könne es für immer haben. „Da saß die Mutter angeblich in einem Nagelstudio, und er hat das Mädchen aus dem Kindergarten geholt.“

Andreas V. habe das Kind zu sich genommen und das Jugendamt informiert. Das habe ihm nach seinen Worten ein Jahr später vorgeschlagen, er solle doch einen Antrag stellen, Pflegevater zu werden. Das habe er getan. Die Mutter habe zugestimmt, und er habe sie in den Jahren danach nur noch einmal gesehen. Die Tochter sei ihr egal gewesen.

Diese Angaben widersprechen der bisherigen Darstellung des Jugendamts Hameln-Pyrmont, das behauptet hatte, die Mutter habe darauf bestanden, das Kind auf den Campingplatz zu geben.

Am 30. August sollen die letzten Plädoyers gehört werden, am 5. September will das Gericht sein Urteil sprechen.

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