Missbrauchsfall Lügde Kritik an Abriss ohne Spurensicherung - wurden Beweise verbrannt?

Düsseldorf/Lügde · Der mutmaßliche Tatort im Missbrauchsfall Lügde wurde von den Ermittlern längst freigegeben. Doch bei Abrissarbeiten tauchen immer noch Datenträger auf. Auf die Polizei kommen weitere Fragen zu.

Missbrauchsfall in Lügde: So sieht der Campingplatz nach dem Abriss aus
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So sieht der Campingplatz in Lügde nach dem Abriss aus

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Foto: dpa/Guido Kirchner

Nach den Funden weiterer Datenträger bei den Abrissarbeiten am mutmaßlichen Tatort des Kindesmissbrauchs von Lügde gerät die Spurensicherung der Polizei erneut in den Fokus. Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP) NRW, Michael Mertens, will wissen, warum der Abriss der Parzelle des Hauptverdächtigen nicht von der Polizei begleitet worden sei. „Die Frage muss man klären“, sagte Mertens am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur.

Die Parzelle war Ende März von den Ermittlern offiziell freigegeben worden. Polizei und Staatsanwaltschaft bekräftigten am Dienstag, es habe nach der intensiven und sehr kleinteiligen Untersuchung der Tatorte „keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass sich auf dem Gelände noch relevantes Beweismaterial befand“. Man habe daher keine Veranlassung gesehen, Beamte tagelang für die Beobachtung der Abrissarbeiten abzustellen oder selbst auf Kosten der Steuerzahler einen Abriss vorzunehmen, betonten die Ermittler.

Am Montag hatte der Abrissunternehmer die Polizei zudem informiert, dass elf Videokassetten, eine CD und eine Mini-CD oben auf einem Müllcontainer mit Abrissschutt gelegen hätten. Nach einer ersten Durchsicht enthielten die Datenträger „keine strafrechtlich relevanten Inhalte, sondern Unterhaltungssendungen“, teilte die Polizei mit. Dass die Datenträger aus der Behausung des Hauptverdächtigen Dauercampers stammten, schlossen die Ermittler aus.

Fotos: Campingplatz in Lügde Tatort in Fällen von Kindesmissbrauch
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Campingplatz in Lügde Tatort in Fällen von Kindesmissbrauch

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Foto: dpa/Guido Kirchner

Innenminister Herbert Reul (CDU) maß den Funden wenig Bedeutung bei. Sie hätten sich „als nicht erheblich für das Verfahren erwiesen“, sagte er. Ob die VHS-Kassetten relevant seien, werde zurzeit ermittelt. Die Ermittlern erklärten: „Nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft ist die Relevanz von Datenträgern für die Beweisführung hinsichtlich der Missbrauchstaten geringer anzusehen, als in der öffentlichen Berichterstattung vermittelt.“

Laut einem Bericht von WDR, NDR und „Süddeutscher Zeitung“ entsorgte der Abrissunternehmer außerdem Kisten und Kartons aus einem zuvor von den Ermittlern nicht durchsuchten Geräteschuppen. Den Inhalt der Kisten habe er nach eigenen Angaben dabei nicht geprüft. Die Container mit dem Schutt seien anschließend zu einer Müllverbrennungsanlage gefahren worden.

Dazu sei der Ermittlungskommission nichts bekannt, hieß es auf dpa-Anfrage bei der Polizei. Der Abrissunternehmer habe die Polizei darüber nicht informiert. Bei der Untersuchung des Geräteverschlags am Montag seien nur Werkzeuge und Metallschrott gefunden worden. Nach bisherigen Erkenntnissen sei der Schuppen wenige Meter neben der Parzelle nicht nur von dem Hauptbeschuldigten genutzt worden, sondern auch von zwei weiteren Personen.

Reul verteidigte die Polizei. „Dass dieser Gerätestand erst jetzt dem Tatverdächtigen zugeordnet werden konnte, liegt an den nur schwer zu klärenden Nutzungsverhältnissen auf dem Campingplatz“, erklärte er. Reul steht wegen der pannenreichen Ermittlungen zunehmend unter Druck. Am Wochenende waren aus der SPD im nordrhein-westfälischen Landtag erste Rücktrittsforderungen laut geworden.

Auf dem Campingplatz in Lügde soll ein 56-jähriger Dauercamper mit einem Komplizen (33) über Jahre hinweg Kinder missbraucht und dabei gefilmt haben. Die beiden Verdächtigen sowie ein 48-Jähriger aus dem niedersächsischen Stade sitzen in Untersuchungshaft.

Um Missbrauch und Gewalt gegen Kinder künftig frühzeitig zu erkennen, will auch das Jugendamt Lippe seine Abläufe verändern und die Kommunikation zwischen den Behörden verbessern. Jugendhilfe, Polizei und Gesundheitsbehörden sollen besser vernetzt werden und sich intensiver austauschen, hieß es in einer Mitteilung. Das gelte auch für die Jugendämter der verschiedenen Städte im Kreisgebiet und über Landesgrenzen hinweg. So sollen Fälle nach einem Umzug nur noch persönlich übergeben werden. Außerdem sollen 25.000 Euro in Präventionsprogramme zu sexualisierter Gewalt und Kinderschutz investiert werden.

Unterdessen steht ein anderer Camper in Nordrhein-Westfalen im Verdacht des sexuellen Kindesmissbrauchs. Eine Familie habe bei der Polizei Viersen Strafanzeige gegen einen 72-jährigen Mann aus Duisburg gestellt, teilten Staatsanwaltschaft und Polizei am Dienstag mit. Die 13-jährige Tochter der Familie habe angegeben, seit mindestens einem Jahr von dem Mann sexuell missbraucht worden zu sein. Es bestehe ein „dringender Tatverdacht“, ein Haftbefehl gegen den Senior sei aber nicht erlassen worden. Die Familie und der Senior kennen sich von einem Campingplatz in Niederkrüchten nahe der holländischen Grenze.

(mba/dpa)
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