Gute Frage... Darf man Klimakleber von der Straße ziehen?

Düsseldorf · Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ kleben sich immer häufiger auf Straßen fest. Der Düsseldorfer Rechtsanwalt Ingo Bott erklärt, unter welchen Umständen man als Autofahrer selbst einen „Kleber“ wegtragen darf – und wann nicht – und wann Nötigung vorliegt.

Klimakleber blockieren Berliner Allee in Düsseldorf
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Klimakaktivisten blockieren Berliner Allee in Düsseldorf

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Foto: Andreas Bretz

Sitzblockaden, Kartoffelbrei-Attacken und Flughafen-Demonstrationen: Die Gruppierung „Letzte Generation“ protestiert seit einem Jahr mit einer Reihe von Maßnahmen für mehr Klimaschutz – und dabei kleben sich Mitglieder der Bewegung regelmäßig auf Hauptstraßen fest, um den Verkehr zu blockieren. Bei vielen Autofahrern führt das zu Frust; einige stellen sich die Frage, ob sie die „Kleber“ selbst vom Asphalt lösen und wegtragen dürfen.

„Ich dürfte Notwehr gegen die Kleber üben, wenn ein rechtswidriger Angriff auf mich vorliegt. Das könnte dann der Fall sein, wenn es sich um Nötigung der Kleber gegen mich handelt“, sagt der renommierte Düsseldorfer Rechtsanwalt Ingo Bott von der Kanzlei Plan A. Nach den Grundsätzen der sogenannten Zweite-Reihe-Rechtsprechung kann Bott zufolge eine Nötigung nur dann angenommen werden, wenn man tatsächlich physisch und nicht nur psychisch am Weiterfahren gehindert werde. „Sofern vor mir kein weiteres Fahrzeug steht, was mich tatsächlich am Weiterfahren hindert, liegt nach dieser Rechtsprechung keine Nötigung und damit auch kein Angriff auf mich vor, womit ein Wegtragen als Notwehrhandlung ausscheidet“, erklärt der Jurist.

Es gebe aber auch Umstände, die es erlauben, einen „Kleber“ selbst wegzutragen. „Anders könnte es sein, wenn über die bloße körperliche Anwesenheit der Kleber ein besonderer Druck auf mich ausgeübt wird, weil ich etwa durch die feste Verbindung der Personen mit der Straße tatsächlich und nicht nur psychisch am Weiterfahren gehindert werde. Dann dürfte ich unter Notwehrgesichtspunkten versuchen, die Personen zu entfernen“, so Bott weiter.

Düsseldorf: Klimaaktivisten kleben sich auf Straße fest
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Klimaaktivisten kleben sich in Düsseldorf auf Straße fest

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Foto: Christoph Schroeter

Bislang entfernt fast ausschließlich die Polizei die Kleber vom Asphalt und führt sie ab. Weil davon ausgegangen wird, dass sich diese Vorfälle weiter häufen werden, rüstet das NRW-Innenministerium gegen Klima-Aktivisten auf, die sich auf Straßen festkleben: In den kommenden Tagen sollen laut Innenministerium mehr als 10.000 Polizisten dafür ausgebildet werden, festgeklebte Hände vom Asphalt zu lösen. Bislang gab es nur wenige Beamte, die landesweit dafür im Einsatz waren. Laut Ministerium soll die Einsatzdauer so deutlich verkürzt und die Gefahr für Verkehrsteilnehmer reduziert werden.

Ingo Bott verweist auf Paragraf 859, Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB): „Ein Recht, die Personen wegzutragen, könnte sich daraus ergeben. Hiernach kann derjenige, der daran gehindert wird, mit seinem Besitz ungestört umzugehen, diese Störung abwenden“, erklärt der Strafverteidiger. Das Wegtragen der Personen dürfte nicht als Nötigung qualifiziert werden, „sofern hierzu eine Berechtigung vorliegt. Diese kann sich je nach Konstellation aus dem Notwehrrecht ergeben oder aus meinem Recht, die Besitzstörung zu beenden“, betont Bott. „Eine Anzeige ist immer möglich. Dann ist es Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden das Verhalten der Kleber zu bewerten“, sagt er.

Die „Letzte Generation“ hält den Protest für absolut friedlich und einen Akt des zivilen Widerstands ähnlich der Bürgerrechtsbewegung in den USA in den 1960er Jahren. „Gewaltfreie Provokationen im Sinne von Aufregern und Empörung – ja“, sagt Gründungsmitglied Henning Jeschke. Menschen dürften aber nicht verletzt werden. „Wenn mich jemand schlägt oder so, dann muss ich auch die Fassung bewahren“, sagt er. Das werde trainiert.

Die Gruppe selbst hat bis Ende Januar 1250 Straßenblockaden in ganz Deutschland gezählt, rund 800 Menschen hätten sich bei Blockaden festgeklebt. Mehr als 1200 Mal kamen Protestierende in Polizeigewahrsam. In vielen Großstädten legten sie nicht nur den Verkehr lahm, sondern machten Polizei und Politik schwer zu schaffen. Allein in Berlin meldete die Polizei bis Mitte Januar rund 262.700 Einsatzstunden für die Proteste der „Letzten Generation“. 770 Tatverdächtige sind in der Hauptstadt aktenkundig, 2700 Strafanzeigen gestellt. Inzwischen rollt eine Prozesswelle.

Eine Strafbarkeit wegen Nötigung erfordert laut Bott den Einsatz von Gewalt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts genüge ein rein psychischer Zwang dafür noch nicht. Da eine im Stau befindliche Person jedenfalls theoretisch trotz der Klimakleber weiterfahren könnte, entfalte sich Gewalt nach der „Zweite-Reihe-Rechtsprechung" erst bei den Fahrern, die durch die erste Reihe tatsächlich physisch ausgebremst werden.

„Schlussendlich kommt es auf den Einzelfall an. Hier können die Details entscheidend sein“, sagt Bott. Er verweist auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2001, die beispielsweise eine Gewaltanwendung - und damit auch eine Nötigung - bejaht, als es darum ging, dass sich Personen in einer Einfahrt angekettet hatten. „Da es hier jedenfalls auch um einen physischen - und nicht nur einen psychischen - Widerstand ging, genügte das den Gewalt-Maßstäben Rechtsprechung“, so der Düsseldorfer Strafrechtsexperte.

 Protestaktion der „Klimakleber“  auf der Berliner Allee in Düsseldorf.

Protestaktion der „Klimakleber“ auf der Berliner Allee in Düsseldorf.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Zwischenzeitlich seien die Instanzgerichte dazu übergegangen, bei Verurteilungen wegen Nötigung auch Freiheitsstrafen ohne Bewährung auszusprechen. Zuletzt habe etwa das Amtsgericht Heilbronn auf zu vollstreckende Freiheitsstrafen von drei beziehungsweise zwei Monaten entschieden. „Zwar sind Strafen unter sechs Monaten nach dem Strafgesetzbuch nur ausnahmsweise zulässig, etwa dann, wenn besondere Umstände in der Persönlichkeit des Täters dafürsprechen. Genau das hatte das Amtsgericht allerdings angenommen. Ob und wie die Entscheidung die gewünschte erzieherische Wirkung entfaltet, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Im konkreten Fall hat sich der verurteilte Täter direkt im Anschluss wieder auf eine Straße geklebt“, so Bott.

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