Neues Lagebild der NRW-Polizei Zuwanderer begehen mehr Straftaten - werden aber auch häufiger zu Opfern

Düsseldorf · Zuwanderer begehen nach einer polizeiinternen Auswertung vor allem Rohheitsdelikte und Diebstähle. Aber Flüchtlinge werden auch immer häufiger zu Opfern. Landesweit stehen die Flüchtlingsheime zur Hälfte leer.

 Polizisten stehen vor einer Flüchtlingsunterkunft in Duisburg (Archiv).

Polizisten stehen vor einer Flüchtlingsunterkunft in Duisburg (Archiv).

Foto: Christoph Reichwein (crei)/Reichwein, Christoph (crei)

Der Einsatzbefehl kommt per Funk. In einer kommunalen Flüchtlingsunterkunft am Niederrhein soll es einen Streit unter Bewohnern geben. Polizeikommissar Pascal Bodenkämper* (*Name geändert) fährt mit zwei Kollegen hin. Als sie eintreffen, ist alles schon vorbei. Die Gemüter haben sich beruhigt. Die Polizisten atmen durch. Denn solche Einsätze könnten schnell aus dem Ruder laufen, sagt Bodenkämper. „Wir wissen nie, was uns dort erwartet. Es kann alles friedlich verlaufen, es kann aber auch schnell eskalieren“, sagt der Polizist. So wie bei einem Einsatz am 3. August in einer Flüchtlingsunterkunft in Düsseldorf-Benrath, bei dem zwei Polizistinnen von einem 24-jährigen Bewohner leicht verletzt wurden.

Einer polizeiinternen Auswertung zufolge begehen Zuwanderer in Nordrhein-Westfalen mehr Straftaten als vor einem Jahr. So zählte die Polizei im Juni 4569 Delikte – 506 Fälle mehr als im Juni des Vorjahres, als die Zahlen zum ersten Mal erhoben wurden. Das geht aus dem Lagebild „Zuwanderer“ des Landesamtes für zentrale polizeiliche Dienste (LZPD) in Duisburg hervor, das unserer Redaktion vorliegt. Zudem hätten Zuwanderer schon im April und Mai dieses Jahres ähnlich viele Straftaten begangen wie im Juni. Die Zahl sei in den vergangenen Monaten nahezu konstant, heißt es dazu in dem Bericht. Demnach handelt es sich bei dem Großteil der Fälle um sogenannte Rohheitsdelikte wie Körperverletzung (1305) sowie Diebstähle (1116). Aber auch Zuwanderer selbst wurden in dem Vergleichszeitraum häufiger zu Opfern. So registrierte die Polizei in diesem Juni insgesamt 2009 Straftaten gegen Zuwanderer, 393 Fälle mehr als im Juni 2017. Mit 445 Fällen wurden im Juni Zuwanderer aus Syrien am häufigsten zu Opfern von Straftaten, gefolgt von Irakern (164) und Afghanen (137).

Nur noch wenige Polizeieinsätze mit Zuwanderungsbezug

Trotz der Zunahme an Straftaten gab es im Juni die wenigsten Polizeieinsätze mit Zuwanderungsbezug überhaupt. So zählten alle Kreispolizeibehörden des Landes zusammen 21.015 Fälle – rund 1400 weniger als im Juni 2017. Ausrücken mussten die Polizisten etwa wegen Hausfriedensbruchs, Körperverletzungsdelikten, Brandmeldealarm und Randale.

Pascal Bodenkämper hat schon mehrere Einsätze in Asyleinrichtungen hinter sich. Noch nie sei er dabei attackiert worden. Aber bedrängt, und das häufig. „Ruckzuck stehen die Bewohner in einem Pulk um einen herum und reden zum Teil in den unterschiedlichsten Sprachen auf einen ein“, sagt er. Das sei sehr unangenehm, weil die Gemüter dabei nicht selten erhitzt seien. „Ich sage es ganz ehrlich: Ich mache diese Einsätze nicht gerne.“ Auch wenn er selbst noch nicht attackiert worden sei, rechne er immer mit einem Angriff. „Ich bin immer vorsichtig und schaue mir jede Bewegung an. Viele führen ein Messer bei sich. Und das kann auch schnell gezückt werden.“

Tatsächlich ist bei den Gewalttaten häufig ein Messer die Tatwaffe. Das Lagebild führt eine Reihe besonders schwerwiegender Delikte auf, die sich im Juni ereignet haben (siehe Grafik). In Witten stach ein 14 Jahre altes iranisches Mädchen einem 18-jährigen Iraker mit einem Messer zweimal in den Hals. In einem Oberhausener Flüchtlingsheim erlitt ein Marokkaner (23) eine zwölf Zentimeter lange Schnittwunde am Hals, als ein 30-jähriger Tunesier mit einem Messer auf ihn einstach. Das Opfer konnte sich mit einem Sprung aus dem Fenster retten. Schockierend ist auch die Vergewaltigung einer 20-Jährigen aus El Salvador in Essen. Die Frau war am 10. Juni gegen 23 Uhr auf dem Rückweg von ihrem Freund zu ihrer Gastfamilie. Da sie sich in der Gegend nicht auskannte und ihr Handyakku leer war, sprach sie einen 21-jährigen Iraker an, um ihn nach dem Weg zu fragen. Er bot ihr an, dass sie ihr Handy in seiner Wohnung aufladen könnte. Dort vergewaltigte er sie. Nach 45 Minuten konnte sie flüchten.

Belegungssituation in den Unterkünften entspannt

Seit April kommen dem Bericht zufolge wieder mehr Flüchtlinge in NRW an. So stieg die Zahl registrierter Zuwanderer im Juni auf 3194 (April 2530; Mai 2867). Dennoch ist die Belegungssituation aller Unterbringungseinrichtungen noch entspannt. Nur 45 Prozent der Kapazitäten sind ausgelastet. Die ehemals stark frequentierte Balkanroute spielt laut Lagebild bei Flüchtlingen keine Rolle mehr. „Sie reisen jetzt vermehrt über die Benelux-Staaten nach Deutschland ein“, so ein ranghoher Sicherheitsbeamter. „Während die Außengrenzen zu Bayern durch die Bundespolizei gut geschützt werden, sind die Grenzen in NRW offen wie ein Scheunentor und so gut wie unbewacht. Das wissen die Schlepperbanden genau und nutzen das aus“, so der Experte. Und längst nicht alle ließen sich in der Landesaufnahmeeinrichtung in Bochum registrieren. „Wir wissen im Prinzip nicht, wer alles im Land ist.“

Auch wenn die Unterkünfte derzeit deutlich leerer sind als zu Zeiten des großen Flüchtlingszuzugs vor drei Jahren, soll sich mancherorts nichts an der teils aufgeladenen Stimmung in den Heimen geändert haben. „Das liegt daran, dass dort so viele unterschiedliche Nationalitäten unter einem Dach vereint sind“, sagt Bodenkämper.

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