Sexueller Missbrauch auf Campingplatz in NRW „Er war ein Magnet für Kinder“

Lügde · Über einen Zeitraum von zehn Jahren sollen auf einem Campingplatz im Kreis Lippe mindestens 23 Kinder sexuell missbraucht worden sein. Drei Männer sitzen in Haft. Der Betreiber des Platzes ist fassungslos. Die Polizei ermittelt auch gegen zwei Jugendämter.

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Campingplatz in Lügde Tatort in Fällen von Kindesmissbrauch

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Foto: dpa/Guido Kirchner

Auf dem Campingplatz Eichwald im Teutoburger Wald „wimmelt es immer von Kindern“. So beschreibt es Frank Schäfsmeier, der den Platz in Lügde seit vielen Jahrzehnten betreibt. Seine eigenen beiden Kinder sind auf dem Campingplatz groß geworden – und sie haben oft bei Andreas V. gespielt, einem Dauercamper, über den Schäfsmeier sagt: „Er war ein Magnet für Kinder.“ Weil der 56-Jährige immer nett mit ihnen umgegangen sei, Späße gemacht habe.

Jetzt haben Polizisten Andreas V.s Holzhütte auf dem Platz mit rot-weißem Flatterband abgesperrt. Der Mann, der mehr als 30 Jahre auf dem Campingplatz gelebt hat, ist Hauptverdächtiger in einem Fall von tausendfachen sexuellen Missbrauchs an Kindern. Die Ermittler gehen von mindestens 23 Mädchen und Jungen aus, die Andreas V. und zwei weitere Beschuldigte auf dem Campingplatz für den Dreh von Kinderpornos missbraucht haben sollen. Die drei Männer sitzen in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft Detmold teilte am Mittwoch auf einer Pressekonferenz mit, dass es sich neben V. um einen 33-Jährigen aus Steinheim bei Höxter und einen 48-Jährigen aus dem niedersächsischen Stade handelt. Der 48-Jährige soll als Auftraggeber fungiert haben.

Der Leiter der Ermittlungskommission „Camping“, Gunnar Weiß, spricht von mehr als 1000 Einzeltaten und sagt im Hinblick auf die Opferzahl: „Es ist wohl nur die Spitze des Eisbergs.“ Nach der Festnahme des 56-jährigen Campers im Dezember hatten sich Opfer bei der Polizei gemeldet, die von Missbrauch berichteten, der bis ins Jahr 2008 zurück geht.

Die bislang bekannten Opfer sind zwischen vier und 13 Jahre alt und stammen aus Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Die meisten sind Mädchen, zudem zwei acht Jahre alte Jungen. V. und der 33-jährige Verdächtige sollen die Kinder im Wechsel missbraucht und die Taten gefilmt haben, wie die Ermittler mitteilten. Beide schweigen zu den Vorwürfen, der dritte Verdächtige hat ein Teilgeständnis abgelegt.

V. lebte mit einem achtjährigen Mädchen in der Hütte, das seit 2017 sein Pflegekind war. Auch das Mädchen gehört wohl zu den Opfern. Campingplatz-Betreiber Schäfsmeier sagt: „Wir alle hier sind geschockt. Das Kind war völlig normal, offen und lustig. Man hat ihm nichts angemerkt.“ Die Mutter einer sechsjährigen Freundin des Mädchens war es, die im vergangenen November die Polizei einschaltete. „Bereits in den ersten Anhörungen der Kinder verdichteten sich Hinweise darauf, dass der Mann sich an beiden Mädchen mehrfach vergangen haben könnte“, sagt eine Sprecherin der Lipper Polizei.

„Er hat eine Wohlfühlatmosphäre geschaffen“

Schäfsmeier hat in den vergangenen beiden Tagen mit vielen Stammgästen seines Campingplatzes gesprochen. „Wir alle fragen uns, wie das unbemerkt bleiben konnte“, sagt er. V. und seine Pflegetochter seien in der letzten Zeit nur zum Schlafen auf dem Campingplatz gewesen. „Er hatte eine Wohnung im Nachbarort, die er jeden Tag renoviert hat.“ Kriminalhauptkommissar Achim Tietz sagt, V. habe das Vertrauen der Kinder gewonnen, weil er sie etwa zu Ausflügen in Freizeitparks eingeladen habe. „Der Mann hat eine Wohlfühlatmosphäre für die Kinder geschaffen, ihnen Geschenke gemacht.“

Das ganze Ausmaß der Taten ist erst im Laufe der Ermittlungen klar geworden, wie es auf der Pressekonferenz hieß. 13.000 Kinderpornodateien, zehn Computer, neun Mobiltelefone und mehr als 40 Festplatten haben die Ermittler sichergestellt. Nicht alle Fotos und Filme sollen die Beschuldigten selbst erstellt haben, ein Datenabgleich im Bundeskriminalamt zeigte, dass auch Filme dabei waren, die offenbar von anderen Pädokriminellen an die Männer weitergegeben worden waren. V. und der 33-Jährige haben sich nach Angaben der Ermittler im Darknet kennengelernt. Darüber haben sie sich offenbar zu den Taten in der Hütte auf dem Campingplatz verabredet. Die Ermittler stellten bei der Durchsuchung Ausrüstung für das Filmen der Taten sicher.

Haben die Behörden versagt?

Im Fokus der Ermittlungen stehen auch die Jugendämter der Kreise Lippe und Hameln-Pyrmont. Oberstaatsanwalt Ralf Vetter sagt: „Wir überprüfen, ob die Behörden Fehler gemacht haben.“ Auf Anfrage unserer Redaktion teilte eine Sprecherin des Landkreises Hameln-Pyrmont mit, die Entscheidung, das Mädchen in die Obhut des Mannes zu geben, habe auf dem Wunsch der Kindsmutter beruht. Sie soll eine gute Bekannte von Andreas V. sein und war wohl mit dem Kind überfordert. „Nach einem Prüfungsverfahren wurde im Januar 2017 ein Pflegeverhältnis für das Kind anerkannt“, heißt es in der Mitteilung.

„Entscheidend war die gute Bindung des Kindes zum Pflegevater, sein Einsatz für das Kind und erkennbare deutliche Verbesserungen des Entwicklungszustandes des Mädchens, die auch durch Berichte aus den betreuenden Einrichtungen belegt wurden.“ Die Wohnsituation auf dem Campingplatz sei „sicherlich nicht optimal“ gewesen, aber kein Indiz für die Feststellung einer Kindeswohlgefährdung. Ende 2016 hatte jemand aus dem Umfeld des Campingplatzes Anzeige gegen den Pflegevater erstattet, wie das Jugendamt Kreis Lippe bestätigte. „Diese Anzeige bezog sich aber auf den Verdacht der Verwahrlosung des Kindes – nicht auf einen möglichen sexuellen Missbrauch“, teilt das Amt mit. Mitarbeiter des Jugendamt gingen den Vorwürfen nach und fanden bei ihrem Besuch ein aufgeräumtes Kinderzimmer in der Holzhütte vor und „ein Kind in gutem Pflegezustand“, wie der Landkreis mitteilt. Konkrete Hinweise auf seelische oder sexuelle Auffälligkeiten oder Übergriffe haben es zu keinem Zeitpunkt gegeben. Das Mädchen ist nun bei einer Pflegefamilie.

Mit Material der dpa

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