Doku über Kölner Silvesternacht bei RTL+ „Dann waren da überall Hände“

Köln · Hunderte Frauen wurden in der Kölner Silvesternacht 2015/16 Opfer sexueller Gewalt. Wie konnte es dazu kommen? Eine dreiteilige RTL+-Dokumentation zeigt die gesellschaftlichen und politischen Zusammenhänge. Journalisten, Opfer und Politiker ordnen die Ereignisse aus unterschiedlichen Perspektiven ein.

 Menschen stehen am 31. Dezember 2015 vor dem Kölner Hauptbahnhof. In der Silvesternacht waren Frauen sexuell belästigt und ausgeraubt worden.

Menschen stehen am 31. Dezember 2015 vor dem Kölner Hauptbahnhof. In der Silvesternacht waren Frauen sexuell belästigt und ausgeraubt worden.

Foto: dpa/Markus Boehm

Lisa S. kam am 31. Dezember 2015 mit ihren beiden Cousinen nach Köln, um ins neue Jahr zu feiern. Noch im Hauptbahnhof, kurz vor dem Ausgang zum Dom, spürte sie plötzliche eine Hand auf ihrem Hintern. „Dann waren da überall Hände“, sagt sie. „Mein Kleid wurde hochgerissen, jemand griff mir in den Schritt.“ Mit beiden Ellbogen habe sie sich durchgeboxt nach draußen. „Es hat sich angefühlt wie eine Ewigkeit.“

Lisa S. erinnert sich in der dreiteiligen Dokumentation des Streamingdienstes RTL+ an den Abend, der heute als „Kölner Silvesternacht“ bekannt ist. Mehr als 500 Frauen wurden vor fast sechs Jahren Opfer sexueller Gewalt. Viele Tatverdächtige kamen aus den Maghreb-Staaten. Die Dokumentation zeichnet die Ereignisse nach. Sie setzt bereits viele Monate vor der Silvesternacht an und zeigt eindrücklich, wie es in Deutschland zu einer Wende in der Flüchtlingsdebatte kam.

Geflüchtete wurden 2015 in Deutschland zunächst von vielen herzlich begrüßt. In München wurde applaudiert, als Tausende Menschen mit Zügen ankamen. „Welcome to Germany“ stand auf Schildern, die die Menschen im Hauptbahnhof hoch hielten. „Zwischen Wut und Willkommen“ heißt der erste Teil der Doku, denn es gab auch Rechtspopulisten, die Ängste schürten. Die AfD bekam Zulauf, auf Pegida-Demos wurde gegen Politiker gehetzt. Es gab Brandanschläge auf geplante Flüchtlingsunterkünfte.

Kölns heutige Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) war damals als Sozialdezernentin unter anderem für die Unterbringung und Integration von Flüchtlingen zuständig. Zehn Wochen vor der Silvesternacht wurde sie auf einem Kölner Wochenmarkt niedergestochen, sie überlebte nur knapp. Es war der Tag vor der Oberbürgermeisterwahl. Reker wurde am Folgetag wiedergewählt, während sie im Koma lag. Der Täter gab später vor Gericht als Motiv Rekers „liberale Flüchtlingspolitik“ an.

Der zweite Teil der Doku „Die Nacht der Ohnmacht“ dreht sich um die Silvesternacht. Der Zuschauer ist nah dran: Original-Notrufe dokumentieren die Hilflosigkeit der Opfer. Auf dem Bahnhofsvorplatz ist keine Polizei, während die Stimmung unter vielen jungen Männern schon früh aggressiv wird, Böller werden in die Menschenmenge geworfen. Erst gegen 22 Uhr beginnt der Einsatz der Hundertschaftsbeamten. „Als ich dort angekommen bin, hatte ich das Gefühl, mich trifft der Schlag“, erzählt der damalige Einsatzleiter Thorsten Meyer. „Es herrschte eine völlig enthemmte Stimmung dort.“ Die Dokumentation versucht die Ereignisse aus unterschiedlichen Perspektiven einzuordnen und bietet nach fast sechs Jahren auf diese Weise eine umfassende Sicht auf die Ereignisse. Zu Wort kommen Opfer der Silvesternacht, Polizisten, Wissenschaftler, Politiker und Journalisten.

Der dritte Teil beschäftigt sich mit den „Folgen einer Nacht“. Die AfD sieht ihre Befürchtungen bestätigt, die Medien werden als „Lügenpresse“ verschrien, weil nur nach und nach das Ausmaß der Silvesternacht bekannt wurde. Die Kölner Polizei hatte am 1. Januar 2016 zunächst von „friedlichen Feiern“ gesprochen. Polizeipräsident Wolfgang Albers kostete die Kommunikation nach der Silvesternacht seinen Job.

Die juristische Aufarbeitung wurde mühsam. Mehr als 1200 Strafanzeigen waren bei der Staatsanwaltschaft eingegangen, identifiziert und angeklagt wurden 46 Personen, von denen 36 verurteilt wurden – nur zwei wegen sexueller Nötigung.

Henriette Reker erzählt am Ende der Doku sehr offen von einem Traum, den sie nach dem Attentat immer wieder hatte. Im Traum wird sie mit einer schwarzen Kapuze über dem Kopf weggeführt und hingerichtet. Kölns Oberbürgermeisterin setzt sich auch weiterhin für eine humane Flüchtlingspolitik ein. „Es gibt keine Alternative zu Mitmenschlichkeit“, sagt sie.

Die Dokumentation „Die Kölner Silvesternacht“ steht ab dem heutigen Donnerstag, 9. Dezember, beim Streamdienst RTL+ bereit.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort