Prozess um Einsturz von Kölner Stadtarchiv „Verkettung unglücklicher Umstände“

Köln · Im Prozess um den Einsturz des Kölner Stadtarchivs sind drei von vier Angeklagten freigesprochen worden. Das Kölner Landgericht verurteilte einen Bauüberwacher zu acht Monaten auf Bewährung. Für den Stiefvater eines Opfers ist das Urteil „wie ein Schlag ins Gesicht.“

 Ein Angeklagter (m.) sitzt vor der Urteilsverkündung im Prozess um den Einsturz des Kölner Stadtarchivs in einem Gerichtssaal.

Ein Angeklagter (m.) sitzt vor der Urteilsverkündung im Prozess um den Einsturz des Kölner Stadtarchivs in einem Gerichtssaal.

Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

Es ist kaum Platz in Saal 210 des Kölner Landgerichts, wo am Freitagmorgen nach einem sehr aufwändigen und zeitintensiven Prozess um den Einsturz des Kölner Stadtarchivs das Urteil verkündet wird. Gegenüber der Anklagebank sitzt hinter all den Kamerateams und Fotografen der 18 Jahre alte Marvin mit seinem Vater. Die beiden wirken angespannt, sprechen nicht. Marvins Halbbruder Kevin K. starb am 3. März 2009 beim Einsturz des Archivs. Der Bäckerlehrling war 17 Jahre alt. Marvin ist als Nebenkläger im Prozess aufgetreten. Er wollte wissen, warum sein Bruder sterben musste. Neben Kevin K. kam damals der 24 Jahre alte Khalil G. ums Leben.

Wenig später verurteilt die 10. Große Strafkammer einen Bauüberwacher der Kölner-Verkehrsbetriebe (KVB) zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten auf Bewährung wegen fahrlässiger Tötung. Die drei anderen Angeklagten - zwei Bauleiter von Baufirmen und eine KVB-Mitarbeiterin - werden freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft hatte für drei der vier Angeklagten Bewährungsstrafen gefordert.

Der Vorsitzende Richter Michael Greve sagt: „Wir wollten die Einsturzursache klären - das ist uns gelungen.“ Das Gebäude sei wegen eines gravierenden Fehlers beim Bau einer Schlitzwand eingestürzt. „Andere Einsturzursachen sind ausgeschlossen.“ Es sei ein Wunder, „dass nicht mehr Menschen ihr Leben verloren haben oder erheblich verletzt wurden.“

Einsturz des Kölner Stadtarchivs 2009
20 Bilder

Einsturz des Kölner Stadtarchivs 2009

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Foto: Oliver Berg

Der verurteilte Bauüberwacher hat nach Überzeugung des Gerichts seine Aufsichtspflichten an der Baustelle vernachlässigt. Letztlich habe jedoch eine „Verkettung unglücklicher Umstände“ zur Katastrophe am Waidmarkt geführt. Schon im Sommer 2005 waren Arbeiter demnach beim Aushub der Grube in 25 Metern Tiefe auf einen Steinblock gestoßen, den sie nicht beseitigen konnten. Stattdessen baggerten sie weiter - um das Hindernis herum. Auch das Erdreich unter dem Stein wurde nicht ausgehoben. An dieser Stelle entstand dann das Loch in einer Betonwand, durch das kurz vor dem Einsturz vier Jahre später große Mengen Sand und Kies in die Baugrube gelangten. „Dem Gebäude wurde förmlich der Boden weggezogen“, sagt Greve. Er lobt die „akribische Arbeit“ sämtlicher Sachverständigen im Verfahren, die in den vergangenen neun Jahren viele Methoden angewendet hätten, die gerade erst entwickelt worden seien.

Den drei freigesprochenen Angeklagten konnte die Kammer letztlich keine Pflichtverletzung nachweisen, die ursächlich für den späteren Einsturz waren.

Der Prozess war im Januar gestartet und stand unter großem Zeitdruck, weil im März 2019 die absolute Verjährungsfrist endet. „Auch die Kammer hatte immer wieder Bedenken, dass wir das Verfahren nicht rechtzeitig zu Ende bringen“, sagt Richter Greve. An 48 Verhandlungstagen wurden 79 Zeugen gehört - viele konnten sich nach so langer Zeit gar nicht mehr erinnern. Die Ermittlungsakten umfassten 15.000 Seiten. Beim Einsturz des Archivs wurden mehrere hundert Jahre alte Archivalien verschüttet. Die Kosten für die Bergung und Restaurierung der Materialien beziffert die Stadt Köln heute schon auf 1,3 Milliarden. Richter Greve spricht von „Archivalien von unschätzbarem Wert“. „Die Restaurierung wird noch mehrere Jahrzehnte dauern und geschätzt einen weiteren dreistelligen Millionenbetrag kosten“, sagt Greve.

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Foto: dpa, obe tba

Marvin war fünf Jahre alt, als sein Halbbruder in den Trümmern starb. Nach der Urteilsverkündung sagt er: „Ich muss das erst einmal verdauen.“ Für seinen Vater sind die Freisprüche „wie ein Schlag ins Gesicht.“ Es fühle sich an, als habe das Gericht einen Einzigen herausgepickt, der jetzt für alles verantwortlich sein soll. Rechtsanwalt Bernhard Scholz hat die beiden im Prozess vertreten. Er sagt: „Wir sind insgesamt zufrieden, dass die Aufarbeitung nach so vielen Jahren ein Ende gefunden hat.“

Offiziell ist der Komplex noch nicht ganz abgeschlossen. Vor einer weiteren Kammer des Landgerichts läuft ein Verfahren gegen einen Baggerfahrer und einen Polier, das abgetrennt worden war. Beide sind schwer krank. Dass sie vor Ende der Verjährungsfrist wieder gesund werden, ist aber eher unwahrscheinlich. Am Nachmittag teilten die KVB mit, dass der verurteilte Mitarbeiter der Bauüberwachung angekündigt hat, gegen das Urteil Revision einzulegen.

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