Großeinsatz nach tödlichem Angriff in Köln Hunderte Polizeikräfte durchsuchen Flüchtlingsunterkünfte – und stürmen falsche Wohnung

Köln · Anfang März wird ein Mann in Köln von etwa 30 Angreifern brutal verprügelt und stirbt. Hunderte Einsatzkräfte haben nun Unterkünfte in Köln und Wuppertal durchsucht. Doch die Beschuldigten sind offenbar abgetaucht. In einem Fall rammten die Einsatzkräfte versehentlich die Wohnungstür zweier Senioren auf.

Nach Gewalttat - Polizei durchsucht Flüchtlingsunterkünfte
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Foto: dpa/Thomas Banneyer

Es war ein regelrechter Gewaltexzess, den ein 37 Jahre alter Mann am Ende mit dem Leben bezahlte: Eine Gruppe von etwa 30 Angreifern lauerte dem Mann im Kölner Stadtteil Höhenberg am 10. März auf. Sie schlugen auf seinen Smart ein, zertrümmerten die Scheiben, zogen ihn aus dem Auto und fügten ihm nach Angaben der Kölner Polizei eine „Vielzahl von Schlägen und Tritten“ und mehrere Stichverletzungen zu. Die Tat geschah am helllichten Tag, Polizisten entdeckten den Schwerverletzen am Nachmittag und versorgten ihn bis zum Eintreffen eines Notarztes. In einer Klinik versuchten Ärzte das Leben des Mannes in mehreren Notoperationen zu retten, doch er starb am 28. März. Die Angreifer waren zunächst zu Fuß vom Tatort geflüchtet, dann mit mehreren Autos.

Was den Ermittlern einer Mordkommission half, waren die Aufnahmen einer Videokamera im Bereich des Tatorts. Sie zeigen das komplette Tatgeschehen. Die Ermittler werteten die Aufnahmen „akribisch aus“, wie der Kölner Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer auf Anfrage unserer Redaktion am Donnerstag sagte. „Der überwiegende Teil der Beschuldigten und deren Tatbeiträge konnten anhand des Videos durch die Polizei benannt werden“, sagte Bremer. An der Identifizierung der Tatbeteiligten seien auch sogenannte Super-Recognizer beteiligt gewesen. Sie sind in der Lage, sich Gesichter ausgesprochen gut einzuprägen und diese wiedererkennen zu können. Auch bei der Auswertung des Videomaterials nach der Kölner Silvesternacht 2015/2016 hatten Super-Recognizer bei der Aufklärung geholfen.

Europaweit zur Festnahme ausgeschrieben

Am frühen Donnerstagmorgen durchsuchten die Ermittler der Mordkommission mit der Hilfe von mehreren Hundert Polizistinnen und Polizisten der Bereitschaftspolizei nun zeitgleich sechs Kölner Wohnungen sowie Zimmer von Beschuldigten in vier Kölner Flüchtlingsunterkünften und einer Unterkunft in Wuppertal. Die Maßnahmen richteten sich vor allem gegen 18 Männer im Alter von 17 bis 60 Jahren, gegen die das Amtsgericht Köln auf Antrag der Staatsanwaltschaft Untersuchungshaft wegen des dringenden Verdachts des gemeinschaftlichen Totschlags angeordnet hatte. Die weiteren Tatbeteiligten sind den Ermittlern namentlich noch nicht bekannt. Um kurz nach 10 Uhr teilte Oberstaatsanwalt Bremer mit: „Bislang konnte keiner der mit Haftbefehl gesuchten 18 Beschuldigten festgenommen werden. Weder unter den Meldeanschriften noch den sonst bekannt geworden Anschriften waren Beschuldige aufhältig.“ Verschiedene Durchsuchungsmaßnahmen dauerten bis zum Nachmittag an, es konnte jedoch letztlich am Donnerstag kein Haftbefehl vollstreckt werden. „Die Beschuldigten werden jetzt europaweit zur Festnahme ausgeschrieben“, sagte Bremer.

Hintergrund der Tat sollen familiäre Streitigkeiten zwischen zwei aus dem ehemaligen Jugoslawien stammenden Großfamilien sein. Es handele sich nicht um Clans, wie Bremer sagte. Der Konflikt zwischen den Familien schwele wohl seit Jahren. „Was genau die Tat ausgelöst hat, wissen wir noch nicht.“ Da in der Unterkunft auf der Boltensternstraße in Köln-Niehl aktuell auch ukrainische Kriegsflüchtlinge untergebracht sind, haben ukrainisch sprechende Polizeibeamte vor Ort über die Hintergründe des Einsatzes informiert.

Versehentlich Wohnung von Senioren gestürmt

Wie die Polizei Köln am Nachmittag mitteilte, kam es bei der Durchsuchung eines Mehrfamilienhaus im Stadtteil Neubrück zu einer Verwechslung, in deren Folge eine 85 Jahre alte Frau einen Schock erlitt. Sie war in ihrer Wohnung, als die Einsatzkräfte die Tür mit einer Ramme aufstießen. „Die Einsatzkräfte hatten an der Haustür des Acht-Parteienhauses bei einem 42-jährigen Mann geklingelt, für dessen Wohnung ein Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Köln vorlag“, erklärte ein Polizeisprecher. Die Beamten hätten die Klingelgeräusche in einer Wohnung im ersten Obergeschoss lokalisiert – dort wohnt aber die Seniorin mit ihrem Ehemann, der ebenfalls 85 Jahre alt ist.

Das Ehepaar hörte offenbar die lautstarken Aufforderungen der Polizei nicht, die Wohnungstür zu öffnen. „Die Bereitschaftspolizisten verschafften sich dann mit einer Ramme Zugang in die Räumlichkeiten“, wie die Polizei mitteilte. Die Seniorin erschrak so sehr, dass sie Kreislaufprobleme bekam, die Einsatzkräfte verständigten Rettungskräfte, die sich um die Frau kümmerten.

Ein Angehöriger brachte sie später vorsorglich ins Krankenhaus. „Eine Opferschutzbeauftragte der Polizei Köln hat mit Hilfe des dolmetschenden Angehörigen in einem persönlichen Gespräch die 85-Jährige betreut und das Bedauern der Polizei zum Ausdruck gebracht“, heißt es. In der Wohnung der eigentlichen Zielperson, die direkt neben der Seniorenwohnung liegt, stellten die Polizisten dann mehrere Messer, eine Softair-Waffe, ein Fleischerbeil und Mobiltelefone sicher. Was die zerstörte Tür des älteren Ehepaares betrifft, so übernimmt die Polizei die Schadensregulierung. Und: „Die Sicherung der Wohnungstür ist beauftragt“, heißt es.

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