NRW-Innenmister Herbert Reul spricht sich für Änderungen aus Missbrauchsfälle in Wermelskirchen entfachen erneut Debatte um Datenschutz

Köln · Die in Wermelskirchen aufgedeckten Fälle von schwerstem sexuellen Kindesmissbrauch haben eine alte Debatte neu entfacht: die über längere Speicherfristen von Verbindungsdaten, um Täter identifizieren zu können.

 NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) sprach sich im Zusammenhang der Aufdeckung der Missbrauchsfälle in Wermelskirchen für Änderungen beim Datenschutz aus.

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) sprach sich im Zusammenhang der Aufdeckung der Missbrauchsfälle in Wermelskirchen für Änderungen beim Datenschutz aus.

Foto: dpa/Federico Gambarini

Die Aufdeckung äußerst brutaler Missbrauchsfälle im nordrhein-westfälischen Wermelskirchen hat die Debatte um das Verhältnis von Daten- und Kinderschutz neu entfacht. Ermittler beklagen seit längerem, dass sie von vielen pädo-sexuellen Tätern zwar die IP-Adressen ermitteln können, eine Identifizierung dann aber oft scheitert, weil die zugehörigen Nutzerdaten bereits gelöscht sind.

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) sprach sich für Änderungen beim Datenschutz aus. Es dürfe bei Hinweisen auf den Missbrauch von Kindern nicht sein, dass Ermittler „nur bis zur IP-Adresse kommen“, sagte Reul am Dienstag im „Morgenecho“ auf WDR 5. Politische Akteure müssten zu einer „intelligenten Lösung“ kommen.

Reul begrüßte den Gesetzentwurf der schwedischen EU-Kommissarin Ylva Johansson. Der sieht vor, dass Internet-Unternehmen verpflichtet werden können, die privaten Nachrichten ihrer Nutzer nach illegalen Missbrauchsbildern zu durchleuchten.

Allein im vorigen Jahr waren nach EU-Angaben 85 Millionen Fotos und Videos entdeckt worden, auf denen der sexuelle Missbrauch von Kindern gezeigt wird. Bürgerrechtsgruppen kritisieren den Entwurf als „Einfallstor für Massenüberwachung“. EU-Innenkommissarin Johansson hatte dagegen betont, es solle nur gezielt nach Missbrauchsdarstellungen gefahndet werden.

Der Deutsche Kinderschutzbund sprach sich ebenfalls für den EU-Entwurf aus. „Das Scannen der Datenbanken verpflichtend zu machen, finden wir richtig“, sagte Vorstandsmitglied Joachim Türk am Dienstag der dpa. Längere Speicherfristen seien ebenfalls angebracht: „Gerade bei neuem Material ist Gefahr im Verzug, weil der Missbrauch der Kinder noch andauern kann.“ Es sei nicht hinnehmbar, dass die Daten gelöscht seien, bevor Ermittler Kinder aus den Fängen ihrer Peiniger befreien können.

Allerdings müsse sichergestellt werden, dass Kinder und Jugendliche nicht ihrerseits kriminalisiert werden, wenn sie intime Fotos von sich verschicken, die für die Ermittler unter die Kategorie Kinderpornografie fallen, sagte Türk. In Österreich gebe es entsprechende Ausnahmetatbestände.

Die Polizeigewerkschaften sprechen sich ebenfalls für die Vorratsdatenspeicherung aus. Der Vize-Bundeschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Michael Mertens, sagte der „Neuen Osnabrücker Zeitung“: „Der Täterschutz darf nicht vor den Opferschutz gehen. Wir
müssen Freiheiten beim Datenschutz aufgeben, um Kindern solche
Taten zu ersparen.“ Die Vorratsdatenspeicherung sei „ein richtiger Schritt in die richtige Richtung“.

Auch der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, sagte der „NOZ“: „Wir brauchen eine Vorratsdatenspeicherung, um in die digitale Vergangenheit von Tatverdächtigen schauen zu können.“ In Deutschland ist die gesetzliche Mindestspeicherpflicht der
Telekommunikationsanbieter ausgesetzt, nachdem das
Bundesverfassungsgericht sie gekippt hatte.

Ermittler hatten am Montag über brutalsten Missbrauch von Kindern berichtet, das jüngste Opfer war einen Monat alt. Hauptbeschuldigter ist ein 44-Jähriger aus Wermelskirchen, der seine Dienste als Babysitter im Internet angeboten und sich so seinen Opfern genähert haben soll. Mit Dutzenden weiteren Männern habe er zudem kinderpornografische Bilder und Videos von „unvorstellbarer Brutalität“ getauscht. Bislang wurden 73 Verdächtige und 33 Opfer identifiziert. Ermittler hatten von einer neuen Dimension der Brutalität gesprochen. Es handele sich um brutalste Vergewaltigungen.

Eine Spur des Hauptbeschuldigten im Fall Wermelskirchen war schon bei den Ermittlungen zum Münsteraner Missbrauchskomplex aufgetaucht. Der Haupttäter im Münsteraner Fall hatte den in der Schweiz ansässigen Messengerdienst „Wire“ genutzt, um mit ihm zu kommunizieren.

Ein Rechtshilfeersuchen an die Schweiz sei aber ohne Erfolg geblieben: Die IP-Adressen, die den Wermelskirchener möglicherweise hätten überführen können, seien nicht übermittelt worden, teilte das NRW-Innenministerium am Dienstag auf dpa-Anfrage mit.

Die Unabhängige Beauftragte der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Kerstin Claus, hatte ebenfalls angemahnt, Datenschutz und Kinderschutz besser in Einklang zu bringen. Der Kinderschutz dürfe „nicht immer hinten anstehen“.

(toc/dpa)
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