Festnahmen in NRW und Italien Millionenbetrug mit erfundenen Corona-Testzentren

Köln · Eine Betrüger-Bande soll sich mit der Abrechnung von erfundenen Corona-Tests im Raum Köln mehr als 16 Millionen Euro ergaunert haben. Dabei sollen sie ganz simpel vorgegangen sein. Was bekannt ist.

 Eine Mitarbeiterin in Schutzkleidung führt einen Coronatest durch. Im aktuellen Betrugsfall existierten anstatt der Testzentren nur Briefkästen. (Symbolbild)

Eine Mitarbeiterin in Schutzkleidung führt einen Coronatest durch. Im aktuellen Betrugsfall existierten anstatt der Testzentren nur Briefkästen. (Symbolbild)

Foto: dpa/Christophe Gateau

Im Frühjahr dieses Jahres wurden die Mitarbeiter einiger Banken aufmerksam, weil ein Millionenbetrag auf verschiedenen Konten hin- und herverschoben wurde. Sie erstatteten Anzeigen wegen des Verdachts der Geldwäsche und brachten die Ermittlungen gegen inzwischen 22 Beschuldigte ins Rollen. Der Verdacht der Kölner Ermittler: banden- und gewerbsmäßiger Betrug mit Corona-Testabrechnungen zum Nachteil der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein.

In den frühen Morgenstunden durchsuchten 190 Polizeikräfte am Dienstag Wohnungen in Köln, Bergisch Gladbach, Hürth, Siegburg, Langenfeld und Palermo. In der italienischen Küstenstadt Licata auf Sizilien wurde ein 31-Jähriger mit einem europäischen Haftbefehl festgenommen, der als Drahtzieher der Betrügerbande gilt. Drei weitere Haftbefehle wurden in Nordrhein-Westfalen gegen weitere mutmaßliche Organisatoren des Millionen-Betrugs vollstreckt: Die Polizei nahm drei Männer, 34, 42 und 46 Jahre fest, alle haben ihren Hauptwohnsitz in Köln.

Kölns Kripo-Chef Michael Esser teilt am Nachmittag im Polizeipräsidium mit, dass im Frühjahr sechs Millionen Euro sichergestellt wurden. „Das ist aber nur ein minimaler Anteil dessen, was betrügerisch erlangt worden ist“, sagt er. Die Ermittler gehen davon aus, dass bei der KV insgesamt mehr als 21,5 Millionen Euro zu Unrecht eingereicht worden sind. 16,6 Millionen Euro zahlte die KV tatsächlich an die Betrüger aus. Nach Abzug der bereits beschlagnahmten sechs Millionen fehlen rund elf Millionen Euro.

Zu den 22 Beschuldigten kommen neun weitere, die sich noch auf Sizilien aufhalten sollen. Die Ermittler gehen davon aus, dass sie nach Deutschland eingereist waren, um hier gegen einen mageren Lohn Konten zu eröffnen, womit die Köpfe der Bande den Geldbewegungen einen „legalen Anstrich“ verleihen wollten, wie Kriminaldirektor Esser sagt. „Ziel aller polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Maßnahmen ist in erster Linie, dem Staat das zu Unrecht gezahlte Geld zurückzuholen.“

Die Betrüger sollen recht simpel vorgegangen sein. „Es hat selbst uns erfahrene Ermittler erstaunt, dass man mit wenigen vorbereitenden Handlungen letztendlich unentdeckt so viel Geld beiseite schaffen kann“, sagt Esser.

So sollen die Tatverdächtigen ein gefälschtes Schreiben der Stadt Köln an die KV Nordrhein geschickt haben, in dem die Stadt angeblich die Existenz eines Testzentrums bescheinigt. Dabei wurde eine real existierende Teststellen-Nummer eingefügt. Die KV gewährte einen Zugang zum Abrechnungsportal, wo die durchgeführten Tests gemeldet werden konnten.

Die Tatverdächtigen sollen in Köln Briefkästen von Tatbeteiligten genutzt haben, um die Post der KV zu erhalten. Manche gehörten zu Wohnungen, ein Postkasten hing an einem Eis-Café. Insgesamt führten die Betrüger nach aktuellem Ermittlungsstand neun Testzentren in Köln und ein Testzentrum in Langenfeld auf, wofür sie monatlich Coronatests abrechneten. „Kein einziges Testzentrum hat existiert, kein einziger Coronatest wurde durchgeführt“, sagt Esser.

Die Verdächtigen reichten allein für Februar für ein Testzentrum mehr als 185.000 angeblich durchgeführte Antigen-Tests ein – pro Tag wären das rund 6000 Tests gewesen. „Runtergebrochen wären das 4,6 Tests pro Minute gewesen, wenn das Testzentrum 24 Stunden am Tag geöffnet gehabt hätte“, sagt Esser. Doch die KV zahlte das Geld für die angeblich gemachten Tests aus, ohne die Zahlen zu hinterfragen. Insgesamt wollten die Beschuldigten 1,9 Millionen Tests abrechnen.

Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer spricht von einem Tatzeitraum von Juni 2021 bis Mai 2022. Alle vier Festgenommenen sind schon polizeibekannt. Der 31-Jährige, der als Hauptbeschuldigter gilt, wurde 2019 vom Landgericht Köln wegen Betrugs zu einer neunmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt. Gegen ihn wurde auch schon wegen Sozialleistungsbetrug und Steuerhinterziehung im Baugewerbe ermittelt. Zu den aktuellen Tatvorwürfen sagt Bremer: „Die ausgezahlten Gelder wurden sehr schnell auf andere Konten transferiert, zum Beispiel auf die von Baufirmen – deshalb konnten wir bisher auch nur einen Teil des Geldes sicherstellen.“

Das Ermittlungsverfahren ist nicht das einzige: Allein bei der Staatsanwaltschaft Köln gibt es nach Angaben von Bremer noch 50 weitere offene Verfahren wegen des Vorwurfs des Abrechnungsbetrugs im Zusammenhang mit Testzentren gegen insgesamt 76 Beschuldigte.

Weitere 1500 Verfahren laufen gegen 2000 Beschuldigte wegen des Verdachts des Subventionsbetrugs. Dabei geht es vor allem um Corona-Soforthilfen. „Der Schaden liegt hier geschätzt bei 16 Millionen Euro“, sagt Bremer. Der Staat habe in der historischen Situation einen gewaltigen Vertrauensvorschuss geleistet, der von vielen ausgenutzt worden sei. „Mehr Bürokratie zu wagen, ist nicht in allen Fällen die schlechteste Idee“, sagt Bremer. Durch die unbürokratische Hilfe hätten Kontrollmechanismen teils komplett gefehlt.

Die Ermittlungen dauern sowohl in Deutschland als auch in Italien an.

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