Prozess zum Missbrauchsfall Wermelskirchen „Ich habe sie danach getröstet“

Köln · Im Prozess zum Missbrauchsfall Wermelskirchen hat sich der Angeklagte ausführlich zu den Vorwürfen geäußert. Er gesteht, erzählt im Plauderton, beantwortet beflissen Nachfragen. Für die Zuhörer ist gerade das verstörend.

Der Angeklagte im Missbrauchskomplex Wermelskirchen beim Betreten des Gerichtssaals in Köln.

Der Angeklagte im Missbrauchskomplex Wermelskirchen beim Betreten des Gerichtssaals in Köln.

Foto: dpa/Oliver Berg

Der Babysitter kam mit dem Tesla, einem 80.000-Euro-Wagen, und niemand fragte sich, warum dieser gut verdienende Mann eigentlich am Feierabend oder am Wochenende für acht bis 15 Euro Stundenlohn auf kleine Kinder aufpasst. „Nein“, sagt Marcus R. auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters Christoph Kaufmann. „Ich wurde danach nie gefragt.“ Rückblickend könne er sagen, dass er offenbar den Eltern gegenüber derart überzeugend aufgetreten sei, dass niemand Verdacht geschöpft habe. „Ich hatte schnell einen guten Draht zu den Kindern“, sagt er.

Es ist der zweite Tag im Prozess um den Missbrauchskomplex Wermelskirchen, und der Angeklagte Marcus R., 45 Jahre alt, verheiratet und kinderlos, gesteht, für alle Taten in der Anklage verantwortlich zu sein. Es geht vor dem Kölner Landgericht um mehr als 120 Fälle teils schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern. R. hat seine Taten umfassend dokumentiert, früher per Videokamera, später mit dem Mobiltelefon. Alle Videos hat er mit Nummern und Namen versehen und archiviert. „Die Taten sind abscheulich, und ich bereue sie wirklich zutiefst“, sagt er. „Ich habe in einer Parallelwelt gelebt.“ In dieser Welt habe es immer nur Bestätigung für die Taten gegeben. Er brauche nun professionelle Unterstützung: „Ich bitte um eine Therapiemöglichkeit.“ In Richtung der Nebenklage-Anwälte, die die Familien der Opfer vertreten, entschuldigt er sich. „Ich habe mir ihr Vertrauen erschlichen und es missbraucht“, sagt er. „Ich werde mit dieser Schande ein Leben lang leben müssen.“

In Chats mit anderen Pädophilen sei die Möglichkeit diskutiert worden, sich als Babysitter Zugang zu Kindern zu verschaffen. Auch wegen seiner Vorliebe für Windeln bot R. sich auf Betreuungsportalen als Babysitter für kleine Kinder, aber auch behinderte Kinder an. Er erzählt das im Plauderton, beflissen beantwortet er Nachfragen. Bevorzugt habe er Jungs bis vier Jahre. „Aber ich war da flexibel – man kann ja nicht immer eine Auswahl treffen.“ Der IT-Experte hatte ein Jahresgehalt von rund 180.000 Euro brutto. „Aber bei den Babysitter-Jobs ging es Ihnen ja nicht ums Geld“, sagt Richter Kaufmann. R. schaut ihn an und nickt wieder mehrfach: „Korrekt.“

In seiner Tasche, die er fürs Babysitten packte, hatte er nicht nur Sexspielzeug, Stativ und Schlaftabletten, sondern auch einen Türkeil. Damit habe er Zeit gewinnen wollen, wenn die Eltern mal zu früh zurückgekommen wären, sagt er. „Ich habe ihn dann aber nie benutzt.“ Er habe aber nicht nur „sexuelle Dinge“ mit den Kindern getan, sondern auch alles, was ein Babysitter eben so mache. „Gespielt, vorgelesen, rausgegangen“, sagt er. „Mir war wichtig, dass sie nicht nur vor dem Fernseher sitzen.“ Kaufmann sagt: „Hätten sie es mal lieber gemacht, die Kinder vor den Fernseher gesetzt.“ Der Angeklagte führt aus, er habe schon ein schlechtes Gewissen gehabt, wenn ein Kind während des Missbrauchs geweint habe. „Ich habe sie danach getröstet“, sagt er. Insgesamt würde er sich als hilfsbereiten, offenen Menschen beschreiben, sagt er. „Abgesehen von dieser dunklen Seite.“

Ein Urteil wird Ende Februar erwartet.

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