Klagen gegen Zeugnisnoten „Eltern sollten erst einmal eine Nacht darüber schlafen“

Düsseldorf · Viele Eltern schalten einen Anwalt ein, wenn ihr Kind eine Fünf auf dem Zeugnis hat. Der Düsseldorfer Rechtsanwalt Jörg Sion erklärt, wann es sich lohnen kann, gegen eine schlechte Note vorzugehen.

 Zeugnis (Symbolbild).

Zeugnis (Symbolbild).

Foto: dpa/Ina Fassbender

Etwa 2,5 Millionen Schüler in NRW haben ihre Zeugnisse bekommen. Vermutlich sind nicht alle zufrieden, manche werden sich ungerecht benotet fühlen. Dann kann ein Gespräch mit dem Lehrer oder der Schule helfen. Viele Eltern wenden sich aber auch an einen Rechtsanwalt, der sich auf Schulrecht spezialisiert hat. Einen Anwalt wie Jörg Sion aus Düsseldorf. Jeden Sommer bearbeitet der Rechtsanwalt 12 bis 15 Zeugnisfälle.

Herr Sion, die Schüler in NRW haben die Zeugnisse bekommen. Hatten Sie schon Anrufe von wütenden Eltern?

Jörg Sion So können Sie sich das nicht vorstellen. Natürlich sind die Eltern nicht erfreut, wenn ihr Kind mit einer Fünf nach Hause kommt. Einige haben sich auch schon in den vergangenen Tagen bei mir gemeldet, weil sie durch Hinweise der Lehrer bereits wussten, wie das Zeugnis ausfallen wird. Viele kommen dagegen erst in den nächsten zwei, drei Wochen, denn grundsätzlich bleibt ihnen ein Monat Zeit, um Einspruch einzulegen. Aber ich erlebe die Eltern nicht wütend. Sie schimpfen auch nicht über den Lehrer. Sie sind einfach enttäuscht.

Was erhoffen sich die Eltern dann von Ihnen?

Sion Manchmal geht es nur darum, dass eine Note schlechter ausgefallen ist als erhofft. Der Schüler hat zum Beispiel eine Vier anstatt einer Drei bekommen. Aber meistens geht es darum, dass ein Schüler die Klasse wiederholen oder die Schule sogar verlassen soll, und das wollen die Eltern verhindern. Ich kann das verstehen. Eltern sind daran interessiert, dass ihre Kinder die bestmögliche Ausbildung bekommen und nicht eine Ehrenrunde drehen oder zum Beispiel das Gymnasium verlassen müssen.

Nehmen Sie jeden Fall an?

Sion Nein. Nur wenn ein Fall erfolgversprechend ist. Wenn zum Beispiel Eltern sagen, ihr Sohn habe in einem Fach eine Fünf bekommen, habe aber eine Vier verdient – dann kann ich damit allein wenig anfangen. Lehrer haben einen Beurteilungsspielraum. Wie sie einen Schüler einstufen und welche Note sie ihm geben, kann nur eingeschränkt überprüft werden, denn auch Richter sind grundsätzlich an diesen Beurteilungsspielraum gebunden. Ich muss Eltern deshalb erst einmal klar machen, dass es nicht auf die eigene Einschätzung ankommt, sondern dass ich Ansatzpunkte dafür brauche, ob eine Note oder eine Nicht-Versetzung ungerechtfertigt sein könnte.

Welche Ansatzpunkte können das sein?

Sion Die einzelnen Noten, die ein Schülers während eines Halbjahres bekommen hat. Wenn seine Klassenarbeiten immer mit Vier benotet wurden, ist eine Fünf am Ende auf dem Zeugnis erst einmal merkwürdig. Trotzdem kann die Note berechtigt sein. Gerade in einer Fremdsprache kommt es sehr stark auf die mündliche Mitarbeit an. Deshalb schaue ich mir auch die Noten dafür und für weitere Leistungen wie Referate an. Ich überprüfe außerdem die einzelnen Klassenarbeiten. Auch sie können falsch bewertet worden sein. Manchmal lasse ich mir auch die Zeugnisse vom Vorjahr vorlegen. Aber wenn ein Schüler immer eine Fünf in Englisch hatte, dann ist es wenig erfolgversprechend, dagegen vorzugehen.

Viele Schüler fühlen sich von einem Lehrer einfach ungerecht behandelt. Was mache Sie dann?

Sion Das ist schwer zu verifizieren. Ich nennen Ihnen ein Beispiel. Auf einer Düsseldorfer Schule hat eine Lehrerin einmal einer Schülerin gesagt: „Bei mir schaffst Du das Abi nie.“ Das war eine klare Aussage vor der Klasse, und die Schülerin hat das Abi tatsächlich nicht geschafft. Sie wandte sich deshalb an mich, und wir sind wir vor Gericht gezogen, weil dieser Satz sich danach anhörte, dass die Lehrerin voreingenommen war. Unser Fall wurde zunächst von einer Richterin verhandelt, die in einem Vorgespräch mit mir sagte, dass sie der Schülerin wohl Recht geben werde. Aber dann ging sie in den Mutterschutz, ein anderer Richter übernahm den Fall und bewertete ihn anders. Aus seiner Sicht hatte die Lehrerin die Schülerin mit dem Satz motivieren wollen. Ich kann das bis heute nicht verstehen. Aber das Beispiel zeigt, wie schwer es ist, solche Fälle zu gewinnen.

Wie oft ziehen Sie in Zeugnisfällen vor Gericht?

Sion Vielleicht sieben oder acht Mal am Ende eines Schuljahres. Denn viele Fälle werden vorher entschieden. Der Ablauf ist so: Angenommen, Sie melden sich bei mir, dann lege ich Widerspruch ein und schreibe eine Begründung dazu. Die Schule ruft die Zeugniskonferenz zusammen und schaut sich den Fall an. Meistens lehnt sie den Widerspruch ab und leitet ihn an die Bezirksregierung als Schulaufsichtsbehörde weiter, die das Anliegen prüft. Und erst wenn diese entscheidet, dass die Note nicht geändert wird, dann überlege ich mit meinen Mandanten, ob wir vor Gericht ziehen. Denn das kostet Geld.

 Jörg Sion, Anwalt für Schulrecht.

Jörg Sion, Anwalt für Schulrecht.

Foto: Jörg Sion

Wie viel kostet es, mit Hilfe eines Anwalts gegen eine Note oder ein Zeugnis vorzugehen?

Sion Der Widerspruch kostet ungefähr 480 Euro. Wenn es vor Gericht geht, fallen noch Gerichtskosten an, es entstehen auch weitere Anwaltskosten, deshalb kommen für eine Klage noch einmal etwa 700 Euro zusammen. Man sollte deshalb nur ein Verfahren einleiten, wenn man Aussicht auf Erfolg hat. In den 27 Jahren, in denen ich Fälle des Schulrechtes bearbeite, ein hat sich ein Gespür dafür ergeben, welcher Fall keine Erfolgsaussicht hat.

Was raten Sie also Eltern, wenn ihr Kind eine Fünf bekommen hat und nicht versetzt werden soll?

Sion Sie sollten erst einmal eine Nacht darüber schlafen und sich noch einmal anschauen, wie ihr Kind im Laufe des Halbjahres beurteilt worden ist. Wenn sie sich die Note auf dem Zeugnis dann immer noch nicht erklären können, dann würde ich das überprüfen lassen.

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