Missbrauchskomplex Wermelskirchen Kinderschutzbund fordert verstärkten Kampf gegen Täter im Internet

Berlin / Wermelskirchen · Der Deutsche Kinderschutzbund fordert bei Verdachtsfällen sexualisierter Gewalt im Internet eine Speicherung der Daten für vier Wochen. Im Missbrauchskomplex Wermelskirchen müsse nun der Blick vor allem auf die Opfer gelenkt werden.

 Cybergrooming: Erwachsene geben sich in Chats oft als Kinder und Jugendliche aus. (Symbolbild)

Cybergrooming: Erwachsene geben sich in Chats oft als Kinder und Jugendliche aus. (Symbolbild)

Foto: Bretz Andreas/Bretz, Andreas (abr)

Nachdem Staatsanwaltschaft und Polizei Köln am Montag über Details zum Missbrauchskomplex Wermelskirchen informiert haben, hat der Deutsche Kinderschutzbund sich am Freitag in Berlin mit der Frage „Was braucht der Kinderschutz?“ beschäftigt. Vorstandsmitglied Joachim Türk sagte: „Wir gehen davon aus, dass fast jeder Fall sexualisierter Gewalt gegen Kinder auch eine digitale Komponente hat.“ Sei es der Austausch Pädokrimineller in Chats, die Tatvorbereitungen, aber auch der Austausch von Bildern und Videos sowie die Dokumentation der Taten. „Wir können die Taten nicht bekämpfen, ohne im Internet aktiv zu sein“, sagte Türk. Der Kinderschutzbund begrüße das Vorhaben der EU-Kommission, die Plattformen in die Pflicht zu nehmen. „Der erste Schritt ist, dass die Plattformen das Risiko minimieren, selbst missbraucht zu werden, weil ihre Server von Pädokriminellen genutzt werden.“

Ein regelmäßiges Scannen der Plattformen nach bedenklichen Inhalten sei unerlässlich. „Wir plädieren aber auch dafür, die IP-Speicherfrist zu verlängern – auch, weil die Ermittler zeitlich kaum nachkommen.“ Türk nennt etwa das „Quick-Freeze“-Verfahren, bei dem Telekommunikationsdaten zum Zwecke der Strafverfolgung vorübergehend gesichert, also eingefroren, werden können. Er sprach von einem Zeitraum von vier Wochen. Der Europäische Gerichtshof hatte im April zwar bekräftigt, dass das flächendeckende Speichern von Kommunikationsdaten auch dann gegen EU-Recht verstößt, wenn es dem Kampf gegen schwere Straftaten dient. Beim Quick-Freeze-Verfahren könnten sich über IP-und Nutzeradressen aber die Verbindungen zu Verdächtigen herstellen lassen. „Ich denke, der Europäische Gerichtshof könnte diesen Weg mitgehen“, sagte Türk.

Der Kinderschutzbund plädiert zudem dafür, dass in Gamer-Chats die Moderatoren stärker darauf geschult werden, Fälle von Cybergrooming rechtzeitig zu erkennen. Von Cybergrooming spricht man, wenn eine erwachsene Person im Netz Kontakt mit Kindern oder Jugendlichen aufnimmt, um sich deren Vertrauen zu erschleichen und sie später zu sexuellen Handlungen zu bewegen.

Die Erziehungswissenschaftlerin Sabine Andresen sagte mit Bezug auf den Fall Wermelskirchen: „Wir müssen den Blick jetzt vor allem auf die Betroffenen richten.“ Es müsse sichergestellt werden, dass sie bestmöglich versorgt werden und Therapieplätze bekommen. „Das muss Priorität haben – das geht uns alle an.“ Beim Thema sexuelle Gewalt gegen Kinder herrsche nach wie vor das Bild vor, der Täter sei der unbekannte Fremde, sagte Andresen. „In den allermeisten Fällen sind es aber Personen aus dem nahen Umfeld der Kinder.“ Sie plädiert deshalb dafür, noch viel intensiver über Täterstrategien zu informieren – an Schulen oder Kindergärten, in der Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften und anderen Pädagogen, aber auch im Gespräch mit Eltern.

Der Präsident des Kinderschutzbundes, Heinz Hilger, hob hervor, dass die Aufdeckung der Missbrauchskomplexe in Nordrhein-Westfalen auch der Priorität zu verdanken sei, die NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) gesetzt habe – und der damit verbundenen verbesserten personellen und technischen Ausstattung der Polizei. „Ich würde mir wünschen, dass alle Bundesländer diesen Weg gehen“, sagte Hilger. Laut Kinderschutzbund werden in Deutschland täglich 49 Kinder Opfer sexualisierter Gewalt.

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