Polizeieinsatz jährt sich Der Hambacher Forst und die verpuffte Räumung

Kerpen · Am 13. September vergangenen Jahres begann eine der größten und umstrittensten Polizeieinsätze Nordrhein-Westfalens: Die Baumhäuser von Besetzern im Hambacher Forst wurden geräumt.

 Ein Protestplakat hängt im Hambacher Forst in den Bäumen.

Ein Protestplakat hängt im Hambacher Forst in den Bäumen.

Foto: dpa/Roland Weihrauch

Eigentlich hat der Mann keine Zeit. An dem schönen Tag will er noch viel schaffen an seiner Baustelle. Sein Blick wandert zu einer Gruppe von Stieleichen im Hambacher Forst. In luftiger Höhe ist schon die Plattform fixiert. Es ist eine Art Fundament für die neue Baumhütte. Sie soll Teil dieses Ortes werden, den irgendwer mal wegen der Eichenbäume „Oaktown“ (deutsch: „Eichenstadt“) genannt hat. Genauer gesagt ist es „Oaktown 2“.

Kostenpflichtiger Inhalt „Oaktown“ Nummer 1 ist vor einem Jahr bei einem der größten Polizeieinsätze des Landes beseitigt worden - ein Ort mit fantasievollen Hüttenkonstruktionen in zum Teil schwindelerregenden Höhen.

Kaum hatte die Polizei alle illegal gebauten Hütten-Dörfer mit Namen wie „Beechtown“, „Cozytown“ oder „Gallien“ geräumt, das schwere Gerät und die Mannschaftswagen abgezogen, hingen in dem Wald am Braunkohletagebau Hambach wieder die ersten Kletterseile in den Bäumen. Die erste Vorbereitung für Bau neuer Hütten. Mittlerweile gibt es nach Schätzungen der Aachener Polizei wieder bis zu 60 Hütten und andere Konstruktionen in den Bäumen. Geräumt hatten die Beamten damals 86 Baumhäuser.

Die Waldbesetzer im Hambacher Forst sind noch immer da. Sie waren auch nie richtig weg - auch wenn mittlerweile einiges darauf hindeutet, dass der Wald wohl bewahrt und nicht für den Tagebau Hambach gerodet werden könnte. Die Strukturwandelkommission hatte den Wunsch geäußert, das sehr alte Waldgebiet zu erhalten. Was in dem Fall damit passiert? RWE ist Eigentümerin. „Wie eine neue Planung dann aussehen kann, wird sich im Rahmen dieses Prozesses ergeben“, sagt RWE-Sprecher Guido Steffen.

Dem Mann in „Oaktown“, der sich Stube nennt, geht es längst nicht mehr nur um den Tagebau Hambach und den Hambacher Wald. „Das geht so nicht weiter, das muss gestoppt werden“, sagt er. In seinem ruhigen Tonfall schwingt ein leicht ostdeutscher Dialekt mit. Ein Teil seines Lebens ist bürgerlich, sagt er. Er ist deutlich älter als die meisten im Wald. Mit „das“ meint er die weitere Braunkohleförderung und die Klimazerstörung, auch die Durchsetzung „privater Interessen“ auf Kosten der Erde. Er unterstütze nicht die Klimabewegung, nicht die Jungen im Wald. „Ich unterstütze die Erde.“

Hambacher Forst: Bilder der Räumung der Baumhäuser vom 13. September 2018
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Polizei räumt Baumhäuser im Hambacher Forst

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Foto: dpa/Henning Kaiser

Bei der Räumung im vergangenen Herbst lebte er in seiner Baumhütte in „Gallien“. Auf die Frage, wie das denn war, als die Polizei kam, steigen ihm die Tränen in die Augen: Das Kreischen der Sägen, das Krachen der Bäume, die für den Hubwagen gefällt wurden, die vielen Polizisten im Wald mit Helmen, viele auch mit Schutzschilden. Für viele - nicht nur aus der Klimabewegung - war das eine Machtdemonstration des Staates. Baumbesetzer reagierten, indem sie von oben Fäkalien auf die Polizisten auskübelten.

Die massive Polizeipräsenz hat auch ganz normale Bürger wie Franz-Josef Bolz nachhaltig beeindruckt. Der 54-Jährige wohnt noch immer in dem Dorf Morschenich am Hambacher Forst - obwohl die meisten schon umgesiedelt sind. „Ich ging mit dem Hund spazieren und musste meinen Ausweis zeigen. Als ich sagte, dass ich hier lebe, sagte der Polizist mir, dass in diesem Dorf keine Menschen mehr leben. Da waren Polizisten im Einsatz, die hatten überhaupt keine Vorstellung, was hier passiert.“ Freunde, die mit dem Motorrad zu Besuch kamen, habe die Polizei zur Alkohol- und Drogenkontrolle aufgefordert. „In Deutschland denkt man, hier hat alles sein Recht und seine Ordnung. Und dann bekommt man den Eindruck von einem Polizeistaat.“

Wenn die Polizei eine widerrechtliche Besetzung im Hambacher Forst beende, dann sei das ihre Entscheidung, stellt RWE fest. „Angesichts der Tatsache, dass dort unzählige Straftaten begangen wurden, bei denen auch Mitarbeiter von uns verletzt wurden, war die Maßnahme nach unserer Einschätzung absolut gerechtfertigt“, antwortet RWE-Sprecher Steffen auf die Frage nach den nachhaltigen Effekten der Räumung.

Nach der Veröffentlichung zweier von der Landesregierung in Auftrag gegebene Rechtsgutachten, die zu der Räumung geführt haben, ist politischer Streit entbrannt: Mit welcher Motivation ließ die Landesregierung räumen? Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte unlängst, dass keine rechtsfreien Räume mehr zugelassen werden dürften, auch nicht im Hambacher Forst mit den illegal errichteten Baumhäusern. Um dieses Ziel zu erreichen, müsse man die Wege gehen, die rechtlich möglich seien. In dem Fall sei es das Baurecht gewesen. Die Landesregierung hatte die Räumung mit Sicherheitsmängeln an den Hütten begründet.

Die Grünen sehen sich dagegen in ihrer Vermutung bestätigt, dass die Landesregierung einen Grund gesucht habe, um RWE die Rodung zu ermöglichen - die nach einem gerichtlich verfügten vorläufigen Rodungsstopp bisher nicht umgesetzt wurde. RWE hatte nach der Gerichtsentscheidung außerdem angekündigt, bis zum Herbst 2020 nicht roden zu wollen. Auch die SPD wirft Reul Etikettenschwindel vor.

Ungeachtet des Streits auf der politischen Bühne beobachtet die Aachener Polizei, dass sich nach der Räumung nichts verändert hat: Die Schwere und die Dichte der Straftaten, die sie im Verbindung mit der Besetzerszene bringt, hat sich nach Angaben eines Polizeisprechers nicht verändert.

Viele Einheimische nennen ihren Wald nicht Hambacher Forst, sondern Bürgewald. An diesem Morgen ist es ruhig im Wald. Die Besetzer sind entspannt. Ein Jahr nach dem großen Polizeieinsatz könnte man meinen, die Räumung habe es nicht gegeben.

(hsr/dpa)
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