Hamminkeln Kellerkind-Eltern "überfordert"

Hamminkeln · Eineinhalb Jahre nachdem ein siebenjähriger Junge in Mehrhoog aus dem Keller des elterlichen Hauses befreit worden war, sagten seine Mutter und sein Stiefvater gestern in Duisburg vor Gericht aus.

Hamminkeln: Kellerkind-Eltern "überfordert"
Foto: KLXM.de

Zu Beginn des Kellerkind-Prozesses vor dem Landgericht in Duisburg haben gestern die Mutter (28) und der Stiefvater (29) ausführlich ausgesagt. Sie haben zugegeben, den damals sieben Jahre alten Jungen mehrmals im Keller ihres Reihenhauses in Mehrhoog eingesperrt zu haben. Was sich im Kellergefängnis genau abgespielt hat, liegt weiter im Dunkeln. Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft, der Junge sei in einem Speisfass gefangen gewesen, bedeckt mit einer schweren Tischplatte, stritt das verheiratete Paar ab. Auch Nahrung sei ihm nie verweigert worden.

"Mein Sohn war immer schmal"

Nach der Befreiung des Jungen durch Polizei und Jugendamt hatten Ärzte Unterernährung festgestellt. "Mein Sohn war immer sehr schmal", sagte die Mutter. Sie beteuerte, auf die Ernährung ihres Sohnes aus erster Ehe geachtet zu haben. Zumal er zwischenzeitlich unter schwerem Durchfall gelitten habe. Außerdem hatten Mediziner laut Anklageschrift einen Vitamin-D-Mangel diagnostiziert. Das deute darauf hin, dass der Junge länger nicht ausreichend Sonne abbekam.

Zunächst schilderte der Stiefvater durchaus redebegabt die Entwicklung vom Leben in einer weitgehend normalen Familie hin zu einer für alle Beteiligten unerträglichen Situation, aus der es kein Entrinnen zu geben schien. Alles habe damit angefangen, dass der Junge begonnen habe sich zu widersetzen, indem er sich eingenässt und eingekotet habe. Weil sein Zimmer zwischendurch nicht bewohnbar gewesen sei, habe das Kind — wie manche Gäste — im Keller auf der Matratze schlafen müssen.

Der Konflikt habe sich immer mehr zugespitzt. Der Junge, um den er sich anfangs wie um seinen eigenen Sohn gekümmert habe, habe sich schließlich geweigert, sich auszuziehen und zu waschen, wenn er wieder mal in die Hose gemacht hatte. Aus Wut habe er ihn dann in den Keller geschickt, so der Stiefvater. Dort habe der Siebenjährige oft stundenlang im Speisfass gestanden, sich geweigert, duschen zu gehen. Dass man ihn schließlich in den Keller sperrte, um mit den Kleinen wegzufahren, sei eine "Flucht vor den unerträglichen Auseinandersetzungen" gewesen. Obwohl den Eltern klar war, dass alle Grenzen überschritten waren, haben sie sich keinen fachlichen Rat geholt. Auf Druck der Familie hätten sie das Jugendamt nicht eingeschaltet. Aus Angst, dass man ihnen den Jungen und auch die beiden Kleinen wegnehme. Doch sie hätten vorgehabt, das Schweigen zu brechen. Der Alarm besorgter Nachbarn ist ihnen zuvor gekommen.

Internet Bisherige Berichterstattung unter: www.rp-online.de/wesel

(RP/jul)
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