Katholische Kirche Quereinsteiger sollen gegen Priestermangel in NRW helfen

Bonn · Gerade mal zehn Männer ließen sich vergangenes Jahr in NRW zum Priester weihen. Auf der Suche nach neuen Predigern baut die katholische Kirche auch auf Quereinsteiger. Aber wer gibt heute noch seine Karriere auf, um die frohe Botschaft zu verkünden?

 Leere Kirchen, fehlender Nachwuchs: die katholische Kirche steckt in der Krise (Symbolbild).

Leere Kirchen, fehlender Nachwuchs: die katholische Kirche steckt in der Krise (Symbolbild).

Foto: dpa/Friso Gentsch

Gutes Geld und viel Stress und noch mehr Arbeit. Über Jahre führt Lukas Boving ein solch normales, weltliches Leben. Nach seinem Schulabschluss arbeitete der gebürtige Dürener für verschiedene Werbeagenturen in Köln und zuletzt in Hamburg, ehe er sich im Januar 2010 eine kurze Auszeit nahm und für ein Wochenende zur Meditation ins Benediktinerkloster Nütschau (Schleswig-Holstein) ging. „Dort habe ich mich dann verliebt“, sagt Boving, „in das Klosterleben. In die Suche nach Gott“.

Acht Jahre später sitzt der heute 41-Jährige in Ordensgewand in einem Jugendherbergs-ähnlichen Essenssaal. Aus Lukas Boving ist Bruder Lukas geworden, aus einer kurzen Werbe-Pause ein Gelübde auf Ewigkeit. Und mehr noch: Der Benediktinermönch mit kaufmännischer Ausbildung ist seit rund drei Jahren auch Anwärter auf das Priesteramt: „Ich möchte noch tiefer eintauchen, meinen Glauben noch intensiver leben“, sagt Bruder Lukas.

 Priester auf Umwegen: Bruder Lukas (l.) und Alexander Kramer auf dem Gelände von St. Lambert.

Priester auf Umwegen: Bruder Lukas (l.) und Alexander Kramer auf dem Gelände von St. Lambert.

Foto: Clemens Boisserée

Seit 2015 lebt und betet der Mönch deshalb nicht mehr im norddeutschen Kloster, sondern in Lantershofen, an der Grenze zwischen Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Hier, wo sonst wenig zu finden ist, lässt sich in aller Ruhe nach Gott suchen. Wohl auch deshalb leistet sich die katholische Kirche hier seit 1972 das Studienhaus St. Lambert, eine bundesweit einzigartige Einrichtung. Denn nur hier können Berufsaussteiger ohne Abitur und Studium innerhalb von vier Jahren zum Priester werden.

Und von denen kann die katholische Kirche jeden Einzelnen gut gebrauchen.

Düstere Aussichten im Erzbistum Köln

Die Zahl der neu geweihten Priester in NRW-Bistümern erreichte 2018 einen Tiefstand. Gerade mal zehn Männer empfingen die Weihe. 2017 waren es noch 18, 2014 21 Neulinge. Besonders im größten deutschen Bistum, in Köln, verzeichnete man eklatant weniger Absolventen: waren es 2017 noch neun Priester, kamen dieses Jahr nur drei hinzu – und das Bistum selbst versprüht wenig Optimismus: „Bis ins Jahr 2030 wird sich die Zahl aller Pastoralen Dienste halbieren, die Mehrzahl von ihnen wird dann über 50 Jahre alt sein“, stellte der Diözesanpastoralrat, das wichtigste Beratungsgremium von Kardinal Woelki, im vergangenen Sommer fest.

Bruder Lukas sagt dazu: „Priester zu werden hat einen schlechten Ruf. Die Missbrauchsfälle sind natürlich eine Katastrophe. Aber das Priesteramt widerspricht auch dem aktuellen gesellschaftlichen Trend: eine enge Bindung ist für viele uncool geworden.“ Auch in seinem Umfeld habe manch einer die Hände über den Kopf zusammengeschlagen, als seine Entscheidung für das Klosterleben bekannt wurde. „Aber ich vermisse man altes Agenturleben keine Sekunde. Ich habe für mich festgestellt, dass Arbeit und Geld nicht alles sind. Dass das Leben besseres für mich bereit hält“, sagt der Mönch. Im kommenden Frühjahr soll er die Weihe zum Priester erhalten -„auch ohne große Lateinkenntnisse.“

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Foto: dpa/Alessandra Tarantino

Denn anders als im Theologie-Studium, das Grundlage für eine Teilnahme an bischöflichen Priesterseminaren ist, wird in Lantershofen kein Latinum benötigt. Böse Zungen könnten da sagen: In der (Priester-)Not frisst nicht nur der Teufel Fliegen. Doch als Anwärter zweiter Klasse versteht St. Lambert seine Schüler nicht. „Hier leben und lernen bodenständige Menschen, die aus der Praxis kommen und in die Praxis wollen“, stellt der stellvertretende Hausleiter und Subregens Philip Peters fest. Wert wird auf den persönlichen Werdegang und die Motivation der angehenden Glaubenshirten gelegt. Wer aufgenommen werden will, muss mindestens 26 Jahre alt sein und eine Berufsausbildung abgeschlossen haben. Peters sagt: „Wer mit Anfang oder Mitte 20 direkt von der Uni ins Seminar eines Bistums kommt, ist häufig blauäugiger und unreflektierter. Wir dagegen erleben im Glauben und im Leben gefestigtere Menschen, weshalb auch nur wenige den Weg wieder abbrechen.“

Kaum noch Priester-Nachwuchs

Anwärter wie der 28-jährigen Alexander Kramer bestätigen diese Beobachtungen. Der gelernte Verfahrensmechaniker aus Baden-Württemberg kommt aus einer christlich geprägten Familie, war in seiner Jugend Messdiener „und hatte schon immer dieses Gefühl, dass ich Gott näher kommen möchte.“ Dennoch arbeitete er zunächst neun Jahre in seinem weltlichen Beruf, ehe er sich vom Bistum Augsburg nach Lantershofen entsenden ließ. Kramer sagt: „Ich brauchte die Zeit und die Erfahrung im weltlichen Leben, um mir meiner Entscheidung sicher zu sein.“

Über Jahre war der spezielle Ausbildungsort zwischen Bonn und Koblenz für die Kirche ein Erfolgsprojekt. Mittlerweile aber wird auch in St. Lambert die Krise sichtbar. Noch vor zehn Jahren waren alle 70 Seminarplätze samt Wohnungen voll belegt. Als Bruder Lukas 2015 seine Ausbildung begann, waren es immer noch über 40. Im Herbst 2018 leben noch 28 Anwärter auf dem großzügigen Areal. Diese Zahl reicht aber, um immer noch bundesweit größtes Priesterseminar zu sein. Zum Vergleich: Im Bistum Paderborn durchlaufen derzeit 16 Männer das Seminar, in Köln 15 und im Bistum Essen sechs.

Tatenlos zusehen wie die Zahlen weiter zurückgehen will man in St. Lambert freilich nicht. In der Hoffnung, von neuen kirchlichen Skandalen verschont zu bleiben, hat das Haus in diesem Jahr eine große Werbekampagne gestartet – entwickelt vom ehemaligen Werbefachmann Bruder Lukas. Der Subregens hofft vor allem auf mittelfristige Erfolge: „Wichtig ist, dass Menschen wissen, dass es uns gibt. Vielleicht merkt einer dann in drei oder vier Jahren, dass er sich berufen fühlt, macht sich auf den Weg und landet hier.“

(cbo)
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