Gommemode, smash, hä? Warum viele Jugendsprache nicht verstehen – auch Jugendliche nicht

Analyse | Düsseldorf · Der Langenscheidt-Verlag hat Vorschläge für das Jugendwort des Jahres 2022 gesammelt — viele davon versteht man kaum. Warum entwickeln junge Leute eigene Sprechweisen? Und was sollten Eltern tun, die „ey, Alter“ und „ich schwör“ nicht mehr hören können?

 2021 war Cringe (peinlich berührt sein) das Jugendwort des Jahres.

2021 war Cringe (peinlich berührt sein) das Jugendwort des Jahres.

Foto: dpa/Marijan Murat

Wenn der Langenscheidt-Verlag die Zehnerliste veröffentlicht, aus der alljährlich das Jugendwort des Jahres gewählt wird, fühlen sich viele Menschen sehr alt. Wer kennt schon Wörter wie „gommemode“, was unendlich stark bedeuten soll, „slay“, eine Bezeichnung für Menschen, die selbstbewusst handeln oder „smash“, ein Begriff, der aus einem Computerspiel entlehnt ist und bedeutet, dass man mit jemanden etwas anfangen will? Ganz schön entfernt kann älteren Menschen da die Welt der Jugendlichen erscheinen.

Doch zum einen ist die jährliche Jugendwort-Sammlung nicht repräsentativ. Sie spiegelt, was dem Verlag aus der Bevölkerung gesandt wird. Immerhin liegt die Zahl der Vorschläge in der Regel im fünfstelligen Bereich, und der Verlag prüft jede Einreichung hinsichtlich tatsächlicher Nutzung und Verbreitung des Wortes, sexistischer und diskriminierender Sprache und Fake-Potenzial.

Zum anderen gibt es die eine Jugendsprache nicht. „Genau wie Jugendliche keine homogene Gruppe bilden, ist auch Jugendsprache eine Summe von Stilen, die in diversen Peergroups gesprochen wird“, sagt der Sprachwissenschaftler Nils Bahlo von der Universität Münster. Es könne also gut sein, dass auch viele Jugendliche mit einzelnen Begriffen auf der Auswahlliste wenig anfangen können. Das hat damit zu tun, wie Jugendsprache entsteht. Sie speist sich nämlich aus diversen Trenddomänen – jugendlichen Welten wie Musik, PC-Spiele, Sport, digitale Kanäle. In diesen Domänen stoßen Jugendliche auf Wörter, die sie in ihre Sprechweise einbauen, unter anderem, um zu signalisieren, welcher Peergroup sie angehören. Bahlo zitiert den Titel einer Doktorarbeit: „Tussis, Schlampen, Britneys und wir“ – wir und die anderen: Jugendliche nutzen „ihre“ Sprache, um sich innerhalb ihrer Gruppe zu solidarisieren und von anderen zu distanzieren. Natürlich auch gegenüber der Erwachsenenwelt.

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Indem sie Begriffe aus ihrem Kontext lösen und in ihre Sprechweise einbauen, lernen Jugendliche zugleich, wie Sprache funktioniert – ohne sich diesen Prozess klarzumachen. Es mag also in den Ohren erwachsener Zuhörer schmerzen, wenn Jungendliche Sätze bilden wie: „Digga, läuft bei Dir?“ für „wie geht’s“ oder „das feier ich“, statt das „gefällt mir“ oder „gönn Dir!“ für viel Vergnügen. Doch ist das nicht einfach falsches Deutsch, wie sie oft zu hören bekommen, sondern auch spielerischer Umgang mit Wortbildung und Grammatik. Die Sprechweise von Jugendlichen ist bequem, schnell, ironisch. Sie arbeitet mit Verkürzungen und Verschiebungen, will provozieren. Interessante Dinge werden dann „fett“ oder „porno“ oder sind „leider geil“, aus abschreiben wird „guttenbergen“ und wenn ein Etikett der Unterhose hinten aus der Hose hängt, heißt das „Arschfax“. Auch die gewachsene Vielfalt kultureller Herkünfte fließt in Jugendsprachen ein, und Begriffe wie „Babo“ für den Anführer einer Gruppe oder das arabische Antriebswort „Yalla!“ tauchen in den Unterhaltungen junger Leute auf.

Allerdings müssen Jugendliche ein Bewusstsein dafür entwickeln, wie in welchen Kontexten gesprochen wird – und wie sie sich anpassen. Da kommen die Eltern ins Spiel. Zwar zeigen Erhebungen wie die Shell-Jugendstudie seit Mitte der 1980er Jahre, dass die Distanz zwischen Jugendlichen und Erwachsenen schrumpft, junge Menschen ihre Eltern zunehmend als Freunde empfinden und das auch gut finden. Doch kommt Eltern oder Lehrern immer noch die Rolle zu, Grenzen zu setzen – auch in der Sprechweise. „Junge Leute müssen lernen, situativ angemessen zu sprechen“, sagt Bahlo. Darum sollten Erwachsene durchaus vermitteln, wenn sie die Ausdrucksweise Jungendlicher nervt oder sie Formulierungen für unangemessen halten. „Jugendliche lernen dann, zwischen Stilen zu wechseln, und werden dadurch erst zu kompetenten Sprechern“, sagt Bahlo.

Die jährliche Kür eines Jugendwortes mag wissenschaftlichen Ansprüchen nicht genügen, weil sie recht willkürlich Schlaglichter auf die Sprechweise junger Leute wirft. Doch über das Vorschlags- und Abstimmverfahren tritt doch der Wandel von Sprache zu Tage, der zu Reflexionen einlädt – auch über das, was Sprache bezeichnet. Waren die 60er Jahre etwa noch „dufte“ oder „flott“, wurde es in den 1970ern „hip“ oder „bombastisch“, in den 1980ern „geil“ oder „astrein“ und bis zum Jahrtausendwechsel „krass“ und „granatenmäßig“. Es lässt sich also eine gewisse Überbietungstendenz erkennen, vom zahmen „dufte“ zum auftrumpfenden „granatenmäßig“. In jüngster Zeit werden die Jugendwörter abgekapselter, ausdifferenzierter, und beschreiben auch traurige Gemütszustände. So haben es Begriffe wie „lost“ für sich ahnungslos fühlen, „cringe“ für peinlich berührt sein oder „sus“ für suspekt und „shesh“ als Ausdruck von Genervtsein bei den Jugendwort-Küren weit nach oben geschafft. Das klingt nicht mehr so unbeschwert wie die „hippen“ und „krassen“ Zeiten von früher.

Aber vielleicht ist das auch nur Projektion. Schließlich steht in diesem Jahr der Ausruf „siu“ zur Wahl, der etwas unfassbar Gutes begleitet. Und der „Macher“, also einer, der Dinge ohne zu zögern in die Hand nimmt und gestaltet. Verzagt scheint also auch die Jugend 2022 trotz Klimakrise, Energiekrise und Krieg in der Ukraine nicht zu sein. Die Abstimmung bei Langenscheidt läuft noch bis zum 13. September, am 25. Oktober soll das neue Jugendwort verkündet werden. Zeit läuft, Digga!

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