Apotheker warnen vor Einnahme Jodtabletten in NRW ausverkauft
Düsseldorf · Um für eine Nuklearkatastrophe vorzusorgen, haben sich viele Menschen mit Jodtabletten eingedeckt. Die Einnahme ist aber nicht nur sinnlos, sondern auch gesundheitsgefährdend. Schilddrüsenkranken fehlen dagegen die Medikamente.
Die Angst vor einem atomaren Angriff auf Westeuropa und vor einem Unfall in einem der ukrainischen Atomkraftwerke hat dazu geführt, dass Jodtabletten in Nordrhein-Westfalen derzeit nicht mehr lieferbar sind. „Das ist eine schlimme Situation“, sagt Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbands Nordrhein, „denn Patienten mit einer Schilddrüsenerkrankung können aktuell nicht versorgt werden.“ Nicht einmal mehr die Rohstoffsubstanz Kaliumjodid, mit der Jodlösungen zur Desinfektion oder hochdosierte Jodidlösungen hergestellt werden, sei noch zu bekommen. Dabei sind die in Apotheken erhältlichen Jodtabletten im Fall eines nuklearen Unfalls oder Erstschlags vollkommen nutzlos. Die Apotheken rufen daher dazu auf, nur noch Jodidtabletten in den Apotheken zu kaufen, wenn sie medizinisch notwendig sind.
Tatsächlich versorgen die Katastrophenschutzbehörden die Bevölkerung mit Jodtabletten, wenn der Einsatz sinnvoll erscheint. Dazu werden rund 200 Millionen Einheiten gelagert. Die Medikamente sollen dafür sorgen, dass sich radioaktives Jod, dass bei einem nuklearen Unfall freigesetzt werden kann, nicht in der Schilddrüse einlagert. Allerdings sind diese Tabletten hochkonzentriert, sie bewirken eine Jodblockade, die Schilddrüse wird mit nicht-radioaktivem Jod gesättigt. Laut Preis enthalten diese speziellen Tabletten 65 Milligramm Jod, während die von den Apotheken vertriebenen Mittel gerade mal auf 100 bis 200 Mikrogramm Jod kommen. Im Verhältnis sei das von der Wirksamkeit so, als „wenn man bei Glatteis mit einem Salzstreuer über die Straße geht“.
Die Einnahme der hochdosierten Jodtabletten darf nur nach ausdrücklicher Aufforderung erfolgen und nur in der von den Behörden genannten Menge. Voraussetzung für die Jodblockade ist die Einnahme einer hohen Dosis innerhalb eines engen Zeitfensters von wenigen Stunden, bevor oder nachdem man der Wolke mit radioaktivem Jod ausgesetzt war. In einem Notfall berechnen die Behörden das örtliche und zeitliche Eintreffen der radioaktiven Wolke, messen die Konzentration an radioaktivem Jod und informieren die Bevölkerung.
Auch die Verbraucherzentrale NRW warnt davor, ohne ärztliche Indikation zu Jodtabletten zu greifen. Ein dauerhafter Jodüberschuss könne sogar die Gesundheit gefährden. Langfristig könnten sich eine Schilddrüsenunterfunktion und ein Kropf entwickeln, zudem sei es möglicherweise problematisch für Patienten mit einer Veranlagung für eine Autoimmunerkrankung der Schilddrüse. Andererseits benötigen viele Menschen, die an einer Schilddrüsenfehlfunktion leiden, täglich Jodtabletten, bekommen sie aber nicht mehr. Wie lange der Lieferengpass noch anhalte, sei momentan nicht absehbar, sagt Preis. Erste Hersteller hätten aber Nachlieferungen für die kommenden Wochen angekündigt.
Die Verbraucherzentrale NRW weist auch darauf hin, dass hochdosierte Jodtabletten nur vor einer Verstrahlung der Schilddrüse schützen, aber nicht vor einer Schädigung anderer Organe. Außerdem können bei einem nuklearen Störfall auch weitere radioaktive Stoffe wie Cäsium oder Strontium freigesetzt werden, die Krebs und Leukämie verursachen. Gegen diese Stoffe sind Jodtabletten völlig wirkungslos. Dazu kommt, dass Menschen über 45 Jahren im Ernstfall überhaupt keine hochdosierten Jodtabletten erhalten. Bei ihnen droht eine gefährliche Entgleisung des Stoffwechsels, die als problematischer angesehen wird als das Risiko einer potenziellen Krebserkrankung, die erst Jahrzehnte später auftritt.