Nahost-Konflikt Landtag debattiert über antisemitische Vorfälle in NRW – Juden fordern verstärkten Schutz

Düsseldorf · Der eskalierte Nahost-Konflikt hinterlässt auch in NRW Spuren: In mehreren Städten wurden israelische Flaggen verbrannt. Im Landtag gibt es eine Sondersitzung zu den Vorfällen. Zahlreiche Politiker melden sich in der Debatte zu Wort.

 Eine Polizistin steht vor der Neuen Synagoge im Düsseldorfer Stadtteil Golzheim (Archiv).

Eine Polizistin steht vor der Neuen Synagoge im Düsseldorfer Stadtteil Golzheim (Archiv).

Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

Die antisemitischen Ausschreitungen der vergangenen Tage sollen am Donnerstag auch den nordrhein-westfälischen Landtag beschäftigen. CDU und FDP haben eine Sondersitzung des Innenausschusses beantragt, wie die FDP-Landtagsfraktion am Freitag mitteilte. Unter anderem solle es um den Polizeieinsatz in Gelsenkirchen gehen.

In mehreren NRW Städten hatte es in den vergangenen Tagen antisemitische Angriffe gegeben:

Eine Polizeikette hatte am Mittwochabend einen antisemitischen Demonstrationszug an der Gelsenkirchener Synagoge gestoppt. Die Polizei sprach von etwa 180 Menschen, die sich unangemeldet versammelt hatten. In einem per Twitter verbreiteten Video des Zentralrats der Juden sind Sprechchöre mit antisemitischen Inhalten zu hören. Zu sehen sind Menschen unter anderem mit palästinensischer, türkischer und tunesischer Flagge.

Auf dem Video ist zu sehen, dass Beamte trotz der Parolen nicht eingriffen. Das oberste Ziel sei der Schutz der Synagoge gewesen, hatte die Polizei am Donnerstag erklärt. Es seien zunächst nicht genug Beamte vor Ort gewesen, um gleichzeitig Tatverdächtige aus der Menge zu ziehen. Als weitere Beamte eingetroffen seien, habe sich der Demonstrationszug bereits wieder aufgelöst, hieß es.

In der Nacht zum Mittwoch waren zudem vor Synagogen in Münster und Bonn israelische Flaggen angezündet worden. In Solingen verbrannten Unbekannte in der Nacht zum Donnerstag eine vor dem Rathaus gehisste israelische Flagge. Der Staatsschutz hat in diesem Fall die Ermittlungen übernommen. Ob es sich um einen oder mehrere Täter handele, sei noch ungewiss. Solingens Oberbürgermeister Tim Kurzbach (SPD) hatte von einer „schändlichen Tat“ gesprochen. In Düsseldorf wurde ein Feuer auf einer Gedenktafel eines ehemaligen Synagogen-Standorts gelegt.

Nach den anti-israelischen und antisemitischen Ausschreitungen in Nordrhein-Westfalen haben die jüdischen Gemeinden eine raschere Verstärkung der Sicherheitsmaßnahmen gefordert. „Sollte die Politik jetzt jedoch zu viel Zeit verstreichen lassen, um das Leben und die Sicherheit der Juden zu schützen, dann könnte es passieren, dass wir scharenweise Deutschland den Rücken zukehren - auch wenn das die meisten eigentlich nicht möchten, weil Deutschland ihre Heimat ist“, sagte der Landesvorsitzende der Jüdischen Gemeinden in NRW, Oded Horowitz, in einem WDR-Interview. Die jüngsten Vorfälle machten „große Angst“, sagte er. „Es ist wirklich sehr verunsichernd.“ Den Juden schlage Hass sowohl aus dem rechten als auch aus dem linken und dem radikal islamistischen Lager entgegen.

Von der Politik forderte Horowitz eine „Aufklärungskampagne“ mit Fakten zu Israel, aber auch zu den Beziehungen zwischen Deutschland und Israel. Vor allem in den sozialen Medien kursierten viele Informationen, die verzerrt oder schlicht falsch seien. Überhaupt würden die Vorfälle auf den Straßen begleitet „von einer schier unglaublichen, einseitigen Kampagne gegen Israel und uns Juden in den sozialen Medien“, sagte Horowitz weiter. „Viele Leute weinen einfach vor Angst und Entsetzen.“

Zugleich lobt Horowitz den Einsatz etwa von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet oder Innenminister Herbert Reul, wenn es um den Schutz jüdischer Einrichtungen gehe. Aber es müsse zügig gehandelt werden. Die Sicherheitsvorkehrungen in und vor jüdischen Einrichtungen müssten weiter erhöht werden. „Ein Zögern könnte zu noch mehr Verunsicherung unter uns Juden führen.“

Der israelische Botschafter in Deutschland, Jeremy Issacharoff, bat die deutschen Behörden, die Sicherheit jüdischer Gemeinden gegen antisemitische Übergriffe zu gewährleisten. „Ich bitte die deutschen Behörden dringend, alles dafür zu tun, für die Sicherheit unserer Gemeinde hier zu sorgen“, sagte Issacharoff am Freitag im ARD-„Morgenmagazin“. Die israelische Regierung sei besorgt über die antisemitischen Vorfälle. Der Konflikt im Nahen Osten habe nichts mit der jüdischen Gemeinschaft hier in Deutschland zu tun, sagte Issacharoff.

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) verurteilte die antisemitischen Proteste. Es sei „erschreckend, nicht akzeptabel, unerträglich, wenn auf deutschem Boden antisemitische Parolen skandiert werden“, sagte er am Freitag im WDR5-„Morgenecho“. Bei den Teilnehmern der Proteste handle es sich nicht nur um palästinensische Gruppen, sondern allgemein um „Menschen aus dem arabischen Raum“. Reul erklärte, man habe als Reaktion auf die Vorkommnisse im Nahen Osten den Schutz der jüdischen Einrichtungen in NRW hochgefahren. So würden „extrem bedeutende Einrichtungen“ rund um die Uhr bewacht, in anderen Einrichtungen gebe es ein „gewisses Schicht- und Abwechslungsmodell“. Zudem habe das Land NRW in den vergangenen Jahrzehnten „sehr viel Geld“ investiert, um die Einrichtungen wie etwa Synagogen sicher zu machen.

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, appellierte an die Islam-Verbände, mäßigend zu wirken. Er rufe die Verbände auf, „sich von Gewalt gegen Jüdinnen und Juden und von Angriffen auf ihre Gotteshäuser zu distanzieren, zu Gewaltfreiheit aufzurufen und deeskalierend auf die muslimische Gemeinschaft in Deutschland einzuwirken“, sagte Klein am Freitag. Für ihn sei es entsetzlich zu sehen, „wie offensichtlich hier Juden in Deutschland für Handlungen der israelischen Regierung verantwortlich gemacht werden, an denen sie ganz und gar unbeteiligt sind“, fügte er hinzu. Eine solche Sichtweise sei „purer Antisemitismus“, sagte Klein. Solidarität mit Palästinensern oder Kritik an der israelischen Regierung seien keine Rechtfertigung für Vorfälle wie in Bonn, Gelsenkirchen und anderen deutschen Städten.

Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, hat die antisemitischen Proteste vor Synagogen scharf kritisiert. „Ich verurteile entschieden solch widerliche Szenen“, sagte Mazyek unserer Redaktion. „Wer Rassismus beklagt, selbst aber solch antisemitischen Hass verbreitet, hat alles verwirkt. Wer angeblich Israelkritik üben will, dann aber Synagogen und Juden angreift, greift uns alle an und wird meinen Widerstand bekommen“, sagte Mazyek.

„Es ist unerträglich, dass in NRW Antisemitismus hemmungslos zur Schau getragen und jüdische Einrichtungen und Menschen bedroht und angegriffen werden“, unterstrich der innenpolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, Marc Lürbke. Hier müsse die Demokratie glasklar Haltung zeigen. „Das Brüllen von antisemitischen Parolen hat rein gar nichts mit Demonstrationsfreiheit, dem Recht auf Meinungsäußerung oder einer kritischen Position zum Nahostkonflikt zu tun“, sagte Lürbke. „Antisemitismus und Volksverhetzung sind keine Haltung, sondern ein Verbrechen.“

Bundeskanzlerin Angela Merkel verurteilte die antisemitischen Übergriffe und Kundgebungen in Deutschland auf das Schärfste. Zwar respektiere die Bundesregierung das Demonstrationsrecht, ließ Merkel am Freitag über ihren Sprecher Steffen Seibert erklären. „Wer solche Proteste aber nutzt, um seinen Judenhass herauszuschreien, der missbraucht sein Demonstrationsrecht“, sagte er. Antisemitische Proteste werde „unsere Demokratie nicht dulden“. Seibert machte im Namen der Kanzlerin klar, dass Kritik am Vorgehen der israelischen Regierung im Nahostkonflikt niemals ein Vorgehen gegen jüdische Bürger und Einrichtungen rechtfertigen könne. Wer in Deutschland jüdische Einrichtungen angreife, „der zeigt damit schon, dass es ihm nicht um Kritik an einem Staat und einer Regierung geht, sondern um Aggression und Hass gegen eine Religion und diejenigen, die ihr angehören.“

Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner kritisierte den anhaltenden Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen auf Israel als „Akte des Terrors“. Beim FDP-Bundesparteitag verurteilte er am Freitag zugleich antisemitische Ausschreitungen in Deutschland. „Es darf auch zukünftig kein Zweifel bestehen, wo Deutschlands Platz ist, nämlich an der Seite der Menschen in Israel, dessen Existenzrecht Teil unserer Staatsraison ist“, betonte Lindner. „Die Hamas indessen ist eine Terrororganisation.“ „Genauso wenig können wir Antisemitismus in welcher Form auch immer in Deutschland tolerieren. Hetze oder Gewalt gegen Einzelne unter uns richtet sich immer gegen die Freiheit dieser Gesellschaft insgesamt“, sagte Lindner. Er forderte zugleich, die deutsche Außenpolitik müsse wieder aktiv Beiträge in der Europäischen Union und in der transatlantischen Partnerschaft leisten, um dem Friedensprozess im Nahen Osten eine neue Dynamik zu geben. Am Ende solle eine friedliche Nachbarschaft des Staates Israel und eines Staates der Palästinenser stehen.

Mit einem eindringlichen Appell hat der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, die Gesellschaft zum Engagement gegen Antisemitismus aufgerufen. „Wir erwarten, dass die Bürger sich gegen diesen Antisemitismus stellen, und zwar lautstark und öffentlich“, sagte er am Freitag in einem Grußwort an den FDP-Parteitag mit Blick auf die jüngsten Vorfälle. „Wir erwarten Solidarität auch in den sozialen Medien“, fuhr Schuster fort. „Sie können sich gar nicht vorstellen, mit welcher Menge an übelsten Kommentaren wir es gerade auf Facebook, Twitter und Instagram zu tun haben. Die sozialen Medien explodieren geradezu mit Hetze gegen Juden.“

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, verurteilte die Anfeindungen gegen Juden und Angriffe auf Synagogen in Deutschland. Politische Diskussionen mit unterschiedlichen Meinungen über den Nahostkonflikt müssten geführt werden, erklärte er am Freitag. Angriffe auf Synagogen hätten aber nichts, „aber auch gar nichts mit Politik zu tun“, ergänzte er. Sie richteten sich gegen Jüdinnen und Juden als Glaubensgemeinschaft. „Mit Meinungsfreiheit hat das nichts zu tun. Denn Antisemitismus ist keine Meinung, sondern eine menschenverachtende Haltung“, betonte Bedford-Strohm.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag und CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen setzt im Nahost-Konflikt auf die USA als Vermittler. „Diese amerikanische Administration hat eine Chance und darum die Pflicht, eine neue diplomatische Initiative zu ergreifen“, sagte Röttgen am Freitag im Deutschlandfunk. „Die USA spielen einen aktiven Part, sie haben den Beauftragten im Außenministerium für dieses Thema sofort entsandt“, sagte er. Die EU spiele hingegen praktisch keine Rolle. Sie könne, wenn dann flankierend, etwas tun, etwa die realen Lebensbedingungen für die palästinensischen Bevölkerung erträglicher machen.

Aus Solidarität mit Israel haben Österreichs Kanzler Sebastian Kurz und Außenminister Alexander Schallenberg auf ihren Amtsgebäuden die Fahne des Landes hissen lassen. „Ich verurteile die seit Tagen stattfindenden Angriffe auf Israel aus dem Gazastreifen auf das Schärfste“, begründete Kurz am Freitag den Schritt. Israel habe das Recht auf Selbstverteidigung gegen diese Angriffe. „Für die über tausend Raketen, die bislang von der Hamas und anderen Terrorgruppen aus Gaza auf Israel abgeschossen wurden, gibt es keine Rechtfertigung“, sagte Schallenberg. Die Regierung in Wien stehe unerschütterlich hinter Israels Sicherheit. Kurz und Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu verbindet eine enge politische Freundschaft.

Militante Palästinenser im Gazastreifen haben nach Angaben des israelischen Militärs bislang fast 2000 Raketen auf Israel abgefeuert. Israel macht die im Gazastreifen herrschende, islamistische Hamas für alle Angriffe aus der Region verantwortlich. Das israelische Militär seinerseits hat Ziele im Gaza-Streifen als Reaktion auf den Beschuss angegriffen. Dort starben nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Gaza Dutzende Menschen seit der Eskalation der Gewalt.

Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern hat sich während des muslimischen Fastenmonats Ramadan und nach der Absage der palästinensischen Parlamentswahl immer weiter zugespitzt. Als Auslöser gelten etwa Polizei-Absperrungen in der Jerusalemer Altstadt, die viele junge Palästinenser als Demütigung empfanden. Hinzu kamen Auseinandersetzungen von Palästinensern und israelischen Siedlern im Jerusalemer Viertel Scheich Dscharrah wegen Zwangsräumungen sowie heftige Zusammenstöße auf dem Tempelberg (Al-Haram al-Scharif).

(mba/jd/dpa/AFP/Reuters)
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