Jugendforscher zu „Friday for Future“ „Jugendliche sind engagierter als früher“

Berlin · Klaus Hurrelmann ist Jugendforscher an der Hertie School of Governance in Berlin. Er beobachtet, dass Jugendliche sich wieder mehr für Politik interessieren. Seine Erklärung: Sie können es sich leisten.

Herr Hurrelmann, Sie untersuchen seit Jahren das soziale Verhalten und Engagement von Jugendlichen. Haben Sie Veränderungen beobachtet?

Seit etwa fünf bis sechs Jahren finden wir deutliche Hinweise darauf, dass sich in der Einstellung der zwölf bis 16-Jährigen etwas verschiebt. Das politische Interesse unter Jugendlichen ist größer geworden. Im Zeitraum davor bestand eher weniger Interesse an gesellschaftlichen Gestaltungsfragen. Einen Tiefpunkt diesbezüglich konnten wir in der 15. Shell-Jugendstudie von 2006 ausmachen, als sich die weltweite Finanzkrise ankündigt hat.

Inwiefern bedingen weltpolitische Ereignisse der Art denn die Werte der Jugend?

Die junge Generation nimmt Strömungen sehr intuitiv auf. Für die Generation der damals zwölf- bis 16-Jährigen vermuten wir, dass ihr geringfügiges gesellschaftliches Engagement stark mit einer fehlenden beruflichen Perspektive zusammenhing. Die Zeit der Pubertät ist besonders prägend und formativ, bei der Generation der vor der Jahrtausendwende Geborenen fiel sie mit einer Zeit der wirtschaftlichen Krise zusammen. Umfragen ergaben, dass die wirtschaftliche Absicherung für die jungen Menschen damals ganz weit oben stand, in ihrem politischen Interesse waren sie quasi gelähmt.

Und das hat sich für die folgende Generation geändert?

Die Generation der heute unter 20-Jährigen, also die nach 2000 Geborenen, spürt, dass sich die Lage auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt verbessert hat. Sie fühlt sich existentiell sicherer. Ihre Aufmerksamkeit richtet sich jetzt auf internationale Probleme, Terror und Umweltthemen. Weil die Jugendlichen ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt als positiv bewerten, können sie sich dieses Engagement leisten und auch mal riskieren, dass unentschuldigte Fehlstunden auf dem Zeugnis notiert werden oder eine Note nach unten rutscht.

Wie ordnen Sie unter diesem Aspekt die Schülerstreiks ein, die derzeit Woche für Woche im Rahmen der „Fridays for Future“-Bewegung stattfinden?

Eine politische Bewegung versucht Aufmerksamkeit zu generieren, zum Beispiel durch einen Regelbruch, einen Akt zivilen Ungehorsams. Die streikenden Schüler wurden dabei sicherlich beeinflusst durch die Protestbewegung im Hambacher Forst. Das Umweltthema war da sehr anschaulich und die Bewegung spielt für die Jugendlichen eine symbolische Schlüsselrolle. Neu ist, dass das politische Interesse diesmal in der großen Mehrheit bei der Schülerschaft liegt, die Gruppe der Studierenden ist bei den Umweltstreiks ja relativ klein. Wenn die Bewegung anhält, wäre das Alter ihrer Anhänger historisch neu und einmalig.

Können Sie an Ihren Studien festmachen, inwieweit diese Schüler tatsächlich umweltbewusst leben?

Unseren Umfragen zufolge verhalten sich drei bis sechs Prozent der Schüler tatsächlich umweltbewusst. Allerdings muss man auch davon ausgehen, dass diese nochmal zehn bis zwölf Prozent der restlichen Schüler für ihr Anliegen begeistern.

Gibt es auch Angaben dazu, inwieweit dieses Umweltinteresse mit einem Bildungsgrad zusammenhängt?

Das Engagement hängt stark mit dem Bildungsgrad zusammen, denn es braucht eine gewisse Bildungssensibilität, um ein Interesse dafür zu wecken. Es sind eindeutig mehr Gymnasiasten unter den Streikenden, aber auch Schüler von Gesamtschulen, die das Thema Umwelt im Unterricht besprochen haben.

Wie sollten Schulen auf die Streiksituation reagieren?

Ich persönlich empfehle den Lehrern und Schulleitern, hart zu reagieren und deutlich zu machen, wie die Regeln sind: nämlich dass Schulpflicht vorgeht. Nur so kann den Streikenden signalisiert werden, dass man sie ernstnimmt. Sie brechen mit dem Schuleschwänzen ja bewusst die Regeln, um ihren Protest zu unterstreichen. Wenn die Schulen das Streiken einfach tolerieren und zum Beispiel davon absehen, unentschuldigte Fehlstunden aufzuschreiben, dann wird dieser Protest unterpflügt. Dem Engagement der Schüler könnte dadurch der Wind aus den Segeln genommen werden, sie könnten sich nicht ernstgenommen fühlen.

Glauben Sie, dass die Bewegung Bestand hat?

In der Vorgängergeneration äußerte sich politisches Interesse eher in punktuellen Aktionen, zum Beispiel, indem Unterschriften gesammelt wurden. Die Aktivitäten waren mehr auf das Thema bezogen, als dass sie sich über einen Zeitraum und bestimmte Gruppe erstreckten. Ob das Engagement der Schüler weiter anhält, wird sich zeigen. Aktivisten suchen sich immer wieder neue Anlässe für ihren Protest, wie Ende Januar die Tagung der Kohlekommission. Eine politische Bewegung verlangt Disziplin, Ausdauer und Widerstandsfähigkeit. Wenn das bei 15 Prozent der Schüler der Fall ist, kann von einer politischen Bewegung die Rede sein.

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