Tag der Menschen mit Behinderung „Wir müssen weiterdenken als nur von hier bis zur abgesenkten Bordsteinkante“
Düsseldorf · Anlässlich des internationalen Tages der Menschen mit Behinderung am 3. Dezember warnte die Landesbehindertenbeauftragte Claudia Middendorf vor „Lücken in der Inklusion“. Diese hätten sich vor allem in der Corona-Pandemie aufgetan.
Middendorf sagte am Freitag in Düsseldorf: „Menschen mit Behinderungen sahen sich zum Teil besonderen Entbehrungen ausgesetzt und speziell für Kinder und Jugendlichen war die Corona-Pandemie eine ungewohnte Zeit der Einschränkungen“.
Kinder und Jugendliche mussten wegen der Schließung der Schulen zeitweise zu Hause unterrichtet werden. Sie hätten ganz besonders unter Kontaktbeschränkungen zu ihren Freunden gelitten, sagte die Beauftragte der NRW-Landesregierung für Menschen mit Behinderung. Dabei sei deutlich geworden, dass es noch in vielen Bereichen an Teilhabemöglichkeiten für junge Menschen mit Behinderung mangele. „Kinder und Jugendliche müssen daher entsprechend ihrer Bedarfe und Bedürfnisse individuell gefördert und Barrieren überwunden werden“, betonte Middendorf.
Einen Abbau von Barrieren im Alltag forderte auch die Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Selbsthilfe. „Unsere Gesellschaft würde viel enger zusammenwachsen und gerechte Lebensbedingungen für alle schaffen, wenn wir bei politischen und gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen die Lebenswelten und Bedarfe von Menschen mit Behinderung von Anfang an mit einbeziehen würden“, sagte der Bundesgeschäftsführer der BAG Selbsthilfe, Martin Danner.
In der Gesellschaft sei man „noch lange nicht dort, wo wir laut UN-Behindertenrechtskonvention sein sollten und könnten. Wir müssen gemeinsam weiterdenken als nur 'von hier bis zur abgesenkten Bordsteinkante'!“, mahnte er. Die Inklusion müsse schon bei der Planung von Projekten und Initiativen mitgedacht und umgesetzt werden. Ein nachträglicher Abbau von Barrieren dauere „zumeist immer länger, kostet mehr Geld und ist häufig gar nicht optimal an die Lebenswelt von Menschen mit Behinderung anzupassen“, erklärte Danner.
Auch der Sozialverband VdK in NRW sieht noch Defizite. „Barrierefreiheit ist und bleibt im alltäglichen Leben eben oftmals leider immer noch ein Fremdwort. Selbst da, wo sie gesetzlich geregelt ist“, sagte der VdK-Landesvorsitzende Horst Vöge. In den Bereichen Wohnen, Mobilität, Gesundheitsversorgung und Digitales würden behinderte Personen „immer noch ausgegrenzt“. Zudem werde der Kreis der Betroffenen immer größer: Nach einer aktuellen Statistik ist die Zahl der anerkannt schwerbehinderten Menschen in NRW bis Ende 2021 auf mehr als 1,92 Millionen Menschen angestiegen, das seien fast elf Prozent der Bevölkerung in dem Bundesland.
Für eine gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung auch in den Bereichen Sexualität, Schwangerschaft und Familienplanung sprach sich der Verein Donum Vitae aus. Für diese Personengruppe müssten „passgenaue Zugänge der Beratung“ gewährleistet sein. „Eine Partnerschaft eingehen, eine Familie gründen, die freie Entfaltung der Persönlichkeit und der Schutz vor Diskriminierung - das ist für Frauen und Männer mit Behinderung keine Selbstverständlichkeit“, sagte der Bundesvorsitzende von Donum Vitae, Olaf Tyllack.